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Merkel gegen den Rest der Welt

Filmisches Protokoll der Asylkrise von 2015 in der ARD. Der Film „Die Getriebenen“ vermeidet Lobhudeleien auf die Kanzlerin

Anne Martin und Harald Tews
12.04.2020

So kann's gehen, wenn Filmemacher die Ereignisse einer Jahrhundertkrise nachzeichnen und von der Aktualität überholt werden: Mitten in der Corona-Schockstarre zeigt „Das Erste“ einen Politthriller über die 63 Tage der Asylkrise im Spätsommer 2015. „Die Getriebenen“ heißt der Film (15. April um 20.15 Uhr), ein ambitionierter Versuch, die ungeheure Dynamik jener Wochen abzubilden und der sehr umstrittenen Haltung der Kanzlerin auf die Spur zu kommen.

Originalszenen mischen sich mit fiktionalen, vor allem die Schnittstellen, wenn die „echte“ Merkel – von hinten – vor die Kameras tritt und die verblüffend ähnlich aussehende Schauspielerin Imogen Kogge – von vorne – ihren Double-Part übernimmt, greifen nahtlos ineinander. Die Fakten basieren auf dem gleichnamigen Sachbuch des „Welt“-Autors Robin Alexander, sie wurden minutiös geprüft, schon um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein.

Was sich die Produktion allerdings herausnimmt, sind fiktionale Einblicke in das normalerweise abgeschottete Privatleben Merkels. Regisseur Stephan Wagner folgt der Regierungschefin bis hinein in ihre Privatwohnung in Berlin, wo sie mit ihrem Ehemann beim Frühstück die Weltlage bespricht. Joachim Sauer wird dabei als ihr liebevolles Korrektiv aufgebaut, der die Gattin mit den Fragen konfrontiert, die sich seinerzeit die halbe Nation stellte: „Seit fünf Jahren tobt der Krieg in Syrien. Du hattest die Unterlagen auf dem Tisch. Aber Du hast es verdrängt, ausgesessen, aufgeschoben.“ In der erfundenen Version springt Merkel auf und gibt dem Ehemann Contra: „Bin ich hier im Hörsaal? Jetzt krieg dich mal wieder ein!“ Sogar hier deutet sich Familienkrach an.

Die Frage bleibt und wird vielleicht nie beantwortet werden: Warum setzt die Pfarrerstochter aus der Uckermark einen Alleingang durch, der sie in ganz Europa isoliert? Warum lässt sie fast eine Million Menschen ins Land, ungezählte davon ohne jegliche Registrierung? Der Film nähert sich an, gibt aber keine eindeutige Antwort. Schwerpunkt ist vielmehr der Intrigenzirkel rund um das Kanzleramt sowie der ungeheure Druck, unter dem die Politiker in jenen Tagen standen. Immer wieder gibt es Bilder, wo Merkel in ihren typischen Blazern über die Gänge eilt, begleitet von ihrer büroleitenden Beamtin Beate Baumann, die ihr die Termine des Tages memoriert – Termine im Minutentakt.

Kein „Propagandasegen“ für Merkel

Berater flüstern ihr ein, dass sie ihr Image als kaltherzige Eiskönigin dringend ändern und ein Asylsucherheim besuchen müsse. Als sie dann zu Schülern spricht und unbeholfen, aber immerhin mitfühlend ein weinendes Asylsuchermädchen umarmt, reibt sich der damalige Vizekanzler Sigmar Gabriel die Hände. „Jetzt geht sie Flüchtlinge streicheln“, hämt ein Mitarbeiter, und der beleibte SPD-Mann lacht wie über einen gelungenen Scherz.

Merkel gegen den Rest der Welt: Vom überforderten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kommt die Nachricht, dass das Dublin-Abkommen, wonach Asylsucher im Land ihrer Erst-Registrierung bleiben müssen, ignoriert wird. Wenig hilfreich auch die Machtkämpfe der Landesfürsten in Bayern: Ministerpräsident Seehofer (Josef Bierbichler) mag sein Reich nicht an den machthungrigen Kronprinzen Markus Söder übergeben, den er für charakterlich ungeeignet hält. Bei den Bayreuther Festspielen redet er der Kanzlerin ins Gewissen, fordert eine Änderung ihrer Asylpolitik: „Mit mir wird es kein ,Weiter so' geben!“ Die Kanzlerin bleibt uneinsichtig. Die europäische Lösung, die Merkel anstrebt, erweist sich als Sackgasse. Betonhart der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der die Asylsucherströme auf dem Bahnhof Budapest nahezu unversorgt stranden lässt.

Wird die Kanzlerin von christlicher Nächstenliebe getrieben oder ist sie schlichtweg entscheidungsschwach? Der Film lässt die Frage offen, deckt aber auch schonungslos ihre politische Konzeptlosigkeit auf. Sie scheint schicksalhaft „getrieben“ zu sein von einer Vasallentreue zur EU. Zusätzlich war sie politisch alleingelassen von einem kränkelnden Innenminister de Maizière, einer damals im Machtkampf von Seehofer und Söder geschwächten Schwesterpartei CSU sowie einem intriganten SPD-Chef Gabriel. Der Vizekanzler, so deutet es der Film an, wollte Merkel mit seiner vorgetäuschten Zustimmung für ihre desaströse Politik der Grenzöffnung ins offene Messer laufen lassen, um sie bei der folgenden Bundestagswahl ausstechen zu können. Am Ende, so weiß man heute, hatte er sich damit vollkommen verrechnet.

Der Film spendet überraschenderweise keinen öffentlich-rechtlichen „Propagandasegen“ für die Kanzlerin, die gerade wegen ihrer Haltung von 2015 im Ausland scheinbar an Anerkennung gewonnen hat. Unter dem Titel „Merkel“ soll der Film daher auch international verkauft werden. Im März waren Kinovorführungen geplant, die wie fast alle wegen der Corona-Krise abgesagt werden mussten.

Der große Asylsucheransturm war gestern, heute ächzt das Land unter der Pandemie. Die anfangs zögerliche Haltung der Kanzlerin, die erst spät Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche einleitete, zeigt, dass sie auch in diesem Fall eine von Wirtschafts-, Viren- und EU-Beratern wieder konzeptlos „Getriebene“ ist.


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Kommentare

Michael M. am 20.04.20, 15:57 Uhr

Vermutlich wird jeder, der den Film gesehen hat, seine Grundüberzeugung bestätigt finden, die er schon vorher hatte. Immerhin gut, dass die Gegenargumente gegen Merkels Politik Erwähnung fanden. Aber wirklich neue Informationen konnte ich darin nicht finden.

Auffallend für mich eine Kanzlerin, die sich weithin in Schweigen hüllt, die keine rationale Abwägung von Pro und Contra erkennen läßt, und eine Regierung, die sich stur über sämtliche Bedenken der Sicherheitsorgane hinwegsetzt.

sitra achra am 16.04.20, 11:50 Uhr

Ich frage mich permanent, welche herausragenden Eigenschaften diese Kanzlerin so populär machen. Ich finde keine. Wahrscheinlich sind ihre sie bewundernden Wähler auch Menschen ohne Eigenschaften.

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