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Der Wochenrückblick

Merkels Mosaik

Warum die Altkanzlerin so merkwürdig still ist, und wie sie uns dennoch alles Nötige gesagt hat

Hans Heckel
20.04.2024

Erinnern Sie sich noch an Helmut Schmidt? Natürlich, sogar die Jüngeren unter Ihnen kennen ihn, denn selbst Jahrzehnte nach seiner achtjährigen Kanzlerschaft nahm der SPD-Politiker noch mit großer Hingabe Stellung zu allen möglichen politischen Fragen, wobei er das „Staatsmännische“ in seiner Zeit als Polit-Pensionär noch viel deutlicher hervorkehrte als in seiner aktiven Phase. Nachfolger Helmut Kohl hätte es vielleicht auch gern so gehalten. Dem Armen aber flog kurz nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt die Spendenaffäre um die Ohren, und der Pfälzer zog sich beleidigt von der Bühne zurück.

Gerhard Schröder wiederum konnte die Rolle des weisen „Elder Statesman“ eine ganze Weile spielen, bis diese komfortable Position wegen seiner besonderen Beziehungen zu Putin und Russland in den Fronten des Ukrainekriegs zerrieben wurde. Er scheint's mit Fassung zu tragen, aber vermissen tut er die schöne Rolle doch.
Aber was ist eigentlich mit Angela Merkel? Die ist fast unsichtbar geworden. Warum nur? Ein ausgeprägter Hang zu Bescheidenheit und ein Mangel an Machtbewusstsein kann es kaum sein. Sie war länger oben als Schmidt und Schröder zusammen. Das schafft man nicht ohne eingefleischten Machtinstinkt. Und bescheiden darf man da auch nicht sein, sonst bringt man es gar nicht so weit, geschweige denn, dass man sich so lange an der Spitze halten könnte.

Was ist es dann, das sie die Öffentlichkeit scheuen lässt? Hütet Merkel gar ein düsteres Geheimnis, das bei allzu viel öffentlicher Präsenz auffliegen könnte?

Na ja, „düster“ ist es schon, nur ein Geheimnis macht die Ex-Kanzlerin immer weniger darum. Was ich damit andeuten will? Nun, es geht schlicht um die Tatsache, wer die Politikerin Merkel wirklich war und wofür sie in Wahrheit immer gestanden hat und noch heute steht.

Die letzten Schuppen müssen den verdutzten Christdemokraten Anfang dieses Monats von den Augen gefallen sein. Wie es Sitte und Tradition ist, hatten sie die Frau, die 18 Jahre lang ihre Parteichefin war, zu ihrem Bundesparteitag eingeladen. Sie schlug kühl aus, eine Teilnahme sei nicht vorgesehen, ließ eine Merkel-Sprecherin knochentrocken verlauten. Nur Tage nach dem Parteitag aber tritt sie beim feierlichen Abschied von Jürgen Trittin auf, der sich nach Jahrzehnten aus der Politik zurückzieht. Wie nett von ihr. Für die CDU hat sie keine Zeit, für einen stramm linken Grünen-Veteran schon.

Was heißt das? Ist sie im Herzen eher ein Grüne denn eine Schwarze? Hat sie die braven CDUler die ganze Zeit hinters Licht geführt? Und ob sie das hat, und man hätte es viel früher erkennen können. Als sie im Juli 2021 gefragt wurde, wie sie den kommenden Wahlabend verbringen wolle, bezeichnete sie im ersten Anlauf die CDU als „die Partei, die mir nahesteht“, um sich schnell zu verbessern, „ähäm, deren Mitglied ich bin“.

Die Freud'sche Fehlleistung konnte nicht vielsagender ausfallen: „... die mir nahesteht“, also nicht einmal „... der ich nahestehe“. Mit anderen Worten: Die CDU mag mich zwar, aber was ich von der CDU halte, steht auf einem anderen Blatt. Distanzierter geht es kaum. Konsequenterweise lehnte sie den ihr angetragenen CDU-Ehrenvorsitz 2022 ab und trat im Jahr darauf auch noch aus der Konrad-Adenauer-Stiftung aus. Und geht eben lieber zu einem Grünen als zur CDU.

Die großen politischen Entscheidungen ihrer Kanzlerschaft wie der rabiate Atomausstiegs-Beschluss von 2011 oder die völlige Grenzöffnung von 2015 ff. erscheinen so in einem viel klareren Licht.

Jetzt kramen sie in den Scherben
Die Frage bleibt, warum die Schwarzen das alles mit sich haben machen lassen. Man fühlt sich an trübe Sekten erinnert: Hier die Gutgläubigen, die ihren Guru mit glasigen Augen anhimmeln, dort der gerissene Sektenführer, der die ihm „nahestehenden“ Anhänger insgeheim verachtet für deren Blödheit. Und als er sie irgendwann zurücklässt, streckt er ihnen aus der Ferne noch grinsend den Mittelfinger entgegen.

Auch das, was hinter Merkels großer Strategie steckte, sieht nun anders aus als bisher. Die Strategie bestand darin, dem linken Lager einfach die Themen wegzunehmen, um sie zu CDU-Positionen zu erklären. „Demobilisierung des Gegners“ nannte die Berliner Medien-Szene diesen Trick voller Anerkennung, und viele in der CDU waren mächtig stolz auf den scheinbar genialen Coup.

In Wahrheit war das aus CDU-Sicht in etwas so schlau wie der Ladenbesitzer, der sich anlässlich der alljährlichen Mai-Krawalle selbst die Schaufenster zerdeppert, um dem anrollenden Mob ein Schnippchen zu schlagen. So kramt die CDU noch heute in den Scherben ihrer zermerkelten Programmatik, weshalb sie verblüffend wenig Honig saugen kann aus der Dauerkrise der Ampelregierung.

Ja, da können wir jetzt ordentlich lachen über die geleimten CDUler, was für Nasen! Aber stopp, Merkel war ja nicht nur 18 Jahre lang CDU-Häuptling, sondern auch über ewige 16 Jahre hinweg Kanzlerin. Und ihr Verhältnis zu Deutschland stand dem zur CDU in Innigkeit nicht nach. Hängen geblieben ist die Szene am Wahlabend 2013, als sie ein kleines Deutschlandfähnchen angewidert von der Bühne entsorgte. Zur Erklärung hieß es später aus der CDU-Zentrale, man wolle die Nationalfarben nicht für parteipolitische Zwecke „vereinnahmen“.

Vier Jahre später waren fast alle CDU-Wahlplakate in Schwarz-Rot-Gold gehalten. Das zum Thema „Vereinnahmung“. Und zur Fahnenszene 2013 war gerade erst Halbzeit der „Ära Merkel“, die Mehrheit der Deutschen hielt ihr also trotz allem noch weitere acht Jahre die Stange. Daher sollten wir uns ein bisschen bremsen bei der Häme über die CDU-Leute.

Selbst nach dem Ende ihrer Amtszeit vermochte es Merkel, ihrem Land noch einmal einen richtig fetten Haufen ins Nest zu legen. Als sie Gefahr lief, wie Schröder wegen ihrer Russlandpolitik rundgemacht zu werden, erfand sie die Mär, dass das Minsker Abkommen von 2015 nicht abgeschlossen worden sei, um Frieden an der fragilen Ukraine-Flanke zu stiften. Sondern, um Putin hinters Licht zu führen, damit Kiew Zeit gewinne, um aufzurüsten.

Von Bismarck (dem „ehrlichen Makler“) über Stresemann bis Kohl lebten deutsche Außenpolitiker davon, dass ihre Verhandlungspartner ihnen Vertrauen schenkten, sie für ehrlich hielten. Und nun? Egal, wer Putin folgt und ganz gleich, wann es wieder „normale“ Beziehungen zu Russland geben kann: Im Kreml wird man die Merkel-Mär zu Minsk nicht vergessen und künftig jedem Berliner Emissär zutiefst misstrauen. Auch hier hat „Mutti“ also ganze Arbeit geleistet.

Dass sie sich nun mit der Ehrung von Jürgen Trittin an eine Partei anschmiegt, deren Abneigung gegen Deutschland und die CDU keiner weiteren Bebilderung bedarf, ist nur der Schlussstein in einem historischen Mosaik, das uns das wahre Gesicht der Angela Merkel zeigt. Wie finden Sie's?


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