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Pendler zwischen heißer Liebe und blutigen Schlachten – Ridley Scotts Historiendrama über den französischen Kriegsherrn
Blücher lässt mal wieder auf sich warten. Ganze fünf Stunden oder 19 Kilometer, so klagt der Herzog von Wellington, braucht der preußische Generalfeldmarschall noch bis zum Schlachtfeld von Waterloo. Des Herzogs angeblichen Spruch „Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen“ vermisst man jedoch in Ridley Scotts „Napoleon“-Epos, das seit dem 23. November in den Kinos läuft.
Davon abgesehen vermisst man in diesem als Napoleon-Biographie getarnten Historienmärchen wenig. Alle bekannten Zutaten sind da: Napoleon bei der Erstürmung von Toulon, vor den Pyramiden in Ägypten, beim Staatsstreich des 18. Brumaire, bei der eigenen Kaiserkrönung in Paris, in Austerlitz mit dem österreichischen Kaiser, im ostpreußischen Tilsit mit dem russischen Zaren, beim Brand in Moskau, auf Elba in der ersten Verbannung, bei Waterloo und auf St. Helena bei der letzten Verbannung.
Mit dem reisefreudigen Napoleon wird man in diesem Film irgendwie selbst zum Weltenbummler, wobei Regisseur Scott den Reiseführer spielt. Es ist wie das Pauschalangebot eines Touristikunternehmens für historische Reisen: Hier wird mal schnell in Austerlitz ausgestiegen, um zu erleben, wie eine von Napoleons Kanonenkugeln getroffene Reiterarmee mit Sack und Pack zwischen den Eisschollen in einem See untergeht. Das Ganze in Zeitlupe mit zerfließendem Blut. Der Tod hat seine eigene Ästhetik. Dann geht es weiter zur nächsten Schlachtenstation nach Borodino vor Moskau und so fort.
Um das Ganze erträglich zu machen, wird man zwischendurch mit einem romantischen Schmachtfetzen berieselt: der Liebesromanze Napoleons mit Joséphine de Beauharnais, wobei unser Reiseführer aus dem Off aus dem Briefwechsel der beiden Turteltäubchen zitiert. Mit Joséphine bekommt dieser Napoleon eine leicht feministische Note. Vanessa Kirby verkörpert sie als selbstbewusste Frau, die ihrem Geliebten ins Gesicht bläst: „Ohne mich wärst du nichts.“
Machte also Frauenpower und nicht siegreiche Schlachten Napoleon zum Kaiser der Franzosen? Woher das Charisma kam, das den „korsischen Rüpel“ kurzfristig zum Herrscher von fast ganz Europa machte, wird auch im Film nicht ganz klar. Denn wäre Napoleon tatsächlich so maulfeil, wortkarg und heiser gewesen, wie ihn Hollywoodstar Joaquin Phoenix im Film spielt, dann wäre er wohl gleich auf Korsika auf der Strecke geblieben.
Doch Regisseur Scott, der einst mit „Alien“ und „Blade Runner“ Meilensteine des Science-Fiction-Films geschaffen hat und mit „Gladiator“ einem antiken Stoff Leben eingehaucht hat, ist für eigenwilliges Filmschaffen bekannt. Sein „Napoleon“ ist eben eine anglophile Version: weniger südländisch impulsiv als britisch abwartend. Das hat durchaus seinen Reiz.
Den größten Reiz bezieht der Film dennoch aus den Schlachtengemälden, die wie opulente Reenactment-Inszenierungen wirken mit Hunderten von Statisten, die dazu noch digital vervielfältigt sind. Manches erscheint auch als „Lebendige Bilder“ von Historiengemälden wie jener von Jacques-Louis David gemalten Szene der Kaiserkrönung. Nur wird der Film dadurch nicht so lebendig, wie es Scott einst mit seinem innovativen „Gladiator“ gelungen ist. Vieles bleibt starr.
Vielleicht ändert sich das in der Fassung, die der 85-jährige Scott für den Streaminganbieter Apple TV+ anfertigt. In der Kinoversion kommt Blücher erst nach zweieinhalb Stunden, doch in der TV-Fassung werden daraus viereinhalb Stunden. Dort wird der Film zur endgültigen Love-Story, in der Napoleons Beziehung zu Joséphine den Mittelpunkt bilden soll.