Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Architektur und Städtebau in Preußen während der Weimarer Zeit – 1. Teil: Grundsätzliches
Preußen und modern? Ein größerer Widerspruch ist für viele Zeitgenossen kaum denkbar. Mit dem traditionalistischen Untertanenstaat, so nehmen sie an, kann moderne Architektur nichts zu tun haben. Hatte nicht schon Voltaire beklagt, dass dem Land von Friedrich II. jeder Sinn für Schönheit fehle? Um es vorwegzusagen: Preußen war durchaus modern. Besonders zur Zeit der Weimarer Republik, als Freistaat Preußen mit 13 Provinzen (einschließlich Berlin) und 30 Großstädten zwischen Tilsit und Aachen, Flensburg und Wiesbaden. Dieses Neue Bauen war vor allem zweckmäßige Profanarchitektur in kompromissloser Sachlichkeit, mit funktionalen Grundrissen, schmucklosen Fassaden, kantigen Baukörpern, lichten Innenräumen und flachen Dächern: eine Preußische Moderne. Urbanistische Einzigartigkeit: Großberlin mit knapp vier Millionen Einwohnern.
Die aufkommende architektonische Moderne war oft im parlamentarisch-demokratischen Freistaat Preußen zu finden, auch in den nach dem Ersten Weltkrieg abgetrennten, ehemals preußischen Gebieten. Sie war dem Gemeinwohl verpflichtet, zugleich sozial, ökonomisch, technisch und gestalterisch bahnbrechend. In den anderen Ländern der Weimarer Republik (man denke nur an Bayern) hatte das Neue Bauen Seltenheitswert.
Das preußische Staatsbauwesen war seit Karl Friedrich Schinkel perfekt organisiert. Der Bauherr Deutsches Reich hingegen begann nicht etwa mit der Reichsgründung 1871, sondern erst 1923 zögerlich mit der Etablierung einer eigenen Reichsbauverwaltung in Berlin, zu der später 62 Reichsbauämter kamen. Die Namen der Befürworter moderner Staatsarchitektur im Land Preußen sind wenig geläufig: der fortschrittliche Ministerpräsident Otto Braun (SPD), der den 40-Millionen-Einwohner-Freistaat fast durchgehend regierte, sein für Bauen zuständiger liberaler Minister Hermann Höpker-Aschoff (Deutsche Demokratische Partei), der preußische Bildungsreformer und Kultusminister Adolf Grimme (SPD) sowie der moderne Hochbauabteilungsleiter Martin Kießling.
Ihnen zugeordnet waren Bauabteilungen von 36 Regierungspräsidenten und 13 Oberpräsidenten in den Provinzen. 1500 Baubeamte arbeiteten in 188 Preußischen Hochbauämtern (ab 1931 Staatshochbauämter genannt). Sie entwarfen und leiteten die Bauarbeiten: anfangs noch traditionalistisch, dann gemäßigt-modern und schließlich immer moderner werdend. Das Bauhaus und Walter Gropius hatten damit nichts zu tun.
Die historistische Pracht des Wilhelminismus war mit dem Ersten Weltkrieg untergegangen. Ein letztes Aufbäumen noch vor 1918 hier und da: beispielsweise das Posener Königsschloss (1905–1913), das preußische Regierungsviertel Koblenz (1902–1910) oder das repräsentative Bauensemble Hakenterrasse in der pommerschen Provinzhauptstadt Stettin (1909–1914/1929). Einige Projekte, die das Königreich Preußen noch vor dem Ersten Weltkrieg geplant oder begonnen hatte, wurden in der Zeit der Weimarer Republik in der vorgesehenen traditionalistischen Kostümierung weitergebaut: beispielsweise das Berliner Pergamonmuseum (1906–1930) oder das Land- und Amtsgericht Düsseldorf (1913–1923).
Wirkung über 1933 hinaus
Nicht selten wurden vor 1933 noch modern geplante Gebäude in der NS-Zeit fertiggestellt. Beispielsweise eine Schule in der ostpreußischen Regierungsbezirksstadt Allenstein (1932–1935). Sie wurde dann natürlich nationalsozialistisch umfirmiert. Die NSDAP im Frankfurter Stadtparlament beklagte schon 1929 „undeutschen Stil“ und versprach die „ganz blöden Affenkäfige“ nach der Machtübernahme „abzubrennen“, zumindest aber mit Dächern zu versehen. Längst nicht alles, was in der NS-Zeit gebaut wurde, entsprach Adolf Hitlers Vorstellungen von Blut-und-Boden-Architektur oder germanischem Gigantismus. Bestimmte Bautypen durften im Stil der Moderne gebaut werden: die Werfthallen der Kriegsmarine in Wilhelmshaven (1935–1942), der Flughafen Tempelhof (1936–1941), das Marinelazarett im pommerschen Stralsund (1936–1938), das KdF-Bad Prora (1936–1939), das Volkswagenwerk Wolfsburg (1938/1939).
Wenn es um die Moderne geht, wird das Bauhaus genannt. Von Weimar (1919–1924) und Dessau (1925–1932) aus habe es die moderne Architektur in die Welt getragen. So war es aber nicht. Schlimmer noch: Der egomane Gropius konnte weder zeichnen noch entwerfen noch konstruieren. Er war nicht einmal Autodidakt. Bestes Beispiel ist die ikonische Schuhleistenfabrik im hannoverschen Alfeld (1911–1925), die auf seinen genialen Mitarbeiter Adolf Meyer zurückging. Die Nachkriegs-Kunstgelehrten vergaßen die herausragenden preußischen Architekturschulen und ihre hochqualifizierten Professoren (Breslau, Berlin, Essen, Halle, Düsseldorf etc.). Warum haben die Nachkriegs-Kunsthistoriker die fortschrittlichen Oberbürgermeister und Stadtbauräte des Freistaates Preußen übersehen? Alle mussten ihre kommunale Karriere auf Druck der NSDAP beenden.
Vieles passt nicht zusammen. Höchste Zeit, die 14 Jahre preußische Architekturgeschichte zwischen Hohenzollernmonarchie und NS-Zeit zu erforschen. Die Bauten sind noch da.
Den 2. Teil lesen Sie in der nächsten Ausgabe der PAZ.
Ingo Sommer: „Preußische Moderne: Vom Ende der Pracht und eine neuen Baukunst 1918–1933“, Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Band 59, Duncker & Humblot, Berlin 2024, 1 Karte, 202 teilweise farbige
Abbildungen, 520 Seiten, ISBN 978-3-428-19157-4.