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Vor 75 Jahren starb der ostpreußische Autor Ernst Wiechert – Seine Aktualität ist ungebrochen
In Deutschland ist der Dichter Ernst Wiechert (1887–1950) heute weitgehend unbekannt. Gelesen haben von seinen Werken allenfalls noch ältere Menschen. Wer sich in der ostdeutschen Literatur etwas auskennt, hat vielleicht auch Bücher von Ernst Wichert (1831–1902) in seinem Bücherschrank stehen und verwechselt die beiden Schriftsteller, zumal beide den gleichen Vornamen haben.
Ernst Wichert (ohne „ie“) kam aus Insterburg. Er war Jurist und schrieb voluminöse und patriotische historische Romane wie „Heinrich von Plauen“, „Der Bürgermeister von Thorn“ oder „Der Große Kurfürst in Preußen“. Auch er ist heute weitgehend unbekannt und wird nur noch wenig gelesen.
Ernst Wiechert (mit „ie“) wiederum, der um ein halbes Jahrhundert Jüngere, kam aus der Johannisburger Heide, aus Kleinort. Sein Vater war dort Förster, und seine Kindheit verbrachte Wiechert im Walde. Er hat ihn in einem seiner schönsten Romane „Wälder und Menschen“ (1936) beschrieben. Nach Schulzeit und Studium wurde der Ostpreuße Lehrer am Königsberger Hufengymnasium, überlebte die vier Jahre des Ersten Weltkriegs mit Verwundungen an der Ostfront in Galizien und an der Westfront in Frankreich. Er kehrte anschließend wieder in seinen Lehrerberuf zurück, der ihn aber nicht mehr befriedigte.
Anfang der 1920er Jahren schrieb Wiechert seine ersten Romane, von denen er sich später distanzierte. Ihm gelangen Ende der 1920er Jahre aber auch erste Meisterwerke wie „Die blauen Schwingen“, „Der silberne Wagen“ und „Die kleine Passion“. 1929 wählte seine erste Ehefrau Meta den Freitod, und 1930 wechselte er mit seiner zweiten Frau Lilje nach Berlin, wo er noch drei Jahre im Schuldienst tätig war, ehe er sich ab 1933 endgültig in Ambach am Starnberger See dem dichterischen Schriftstellerdasein widmete, ab 1936 auf dem Hof Gagert in Wolfratshausen in Oberbayern.
Kein einfaches Leben nach 1945
In den 1930er Jahren entstand die erste Gruppe seiner Werke, mit denen Wiechert ein bekannter Autor wurde. Romane und Novellen wie „Jedermann“, „Die Flöte des Pan“, „Die Magd des Jürgen Doskocil“, „Die Majorin“, „Der Todeskandidat“, die „Hirtennovelle“ und schließlich „Das einfache Leben“ fanden eine breite Öffentlichkeit, während der Dichter zunehmend mit dem NS-Regime in Konflikt geriet, das er in seinen berühmten Reden an die deutsche Jugend 1933 und 1935 in der Münchner Universität kritisierte. Auch seine Novelle „Der weiße Büffel“, die er in öffentlichen Lesungen vortrug, enthielt eine versteckte, aber gut hörbare Kritik an den Nationalsozialisten.
Die Geduld der Nationalsozialisten fand ein Ende, als sich Wiechert für den seit 1937 im KZ einsitzenden Martin Niemöller einsetzte. Wiechert wurde Anfang Mai 1938 von der Gestapo verhaftet, zwei Monate in München inhaftiert und anschließend in das KZ Buchenwald verbracht, wo er zwei Monate im berüchtigten Steinbruch Zwangsarbeit leisten musste, was ihn an den Rand seiner physischen Existenz brachte.
Nach seiner Entlassung wurde er dem Reichspropagandaminister Goebbels vorgeführt, der ihm „physische Vernichtung“ androhte, wenn er sich nicht in Zukunft ruhig verhielte. Trotz dieser Drohung erschien Wiecherts Bestseller „Das einfache Leben“ 1939 und erreichte eine Auflage von über 250.000.
Ansonsten aber lebte Ernst Wiechert auf seinem Hof Gagert und schrieb im Verborgenen an der zweiten Gruppe seiner Hauptwerke. Für den ersten Band der „Jerominkinder“ erhielt er keine Druckerlaubnis mehr. Also vergrub er ihn in seinem Garten, ebenso wie den zweiten Band seines Hauptwerkes und die 40 „Märchen“, die er im Winter 1944/45 schrieb. Diese Werke wurden, ebenso wie der Bericht über seine Zeit in Buchenwald „Der Totenwald“, erst nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht.
Im November 1945 machte Wiechert mit seiner dritten Münchner Rede noch einmal auf sich aufmerksam. Diese Rede hat Persönlichkeiten wie Ralph Giordano und Roman Herzog lebenslang beeindruckt. Giordano behandelt sie in seinem Buch „Ostpreußen ade“ ausführlich, und Herzog zitierte die Wiechert-Rede in seiner Rede als damaliger Bundespräsident zum 50. Jahrestag des Kriegsendes im Berliner Schauspielhaus vor den vier Repräsentanten der alliierten Siegermächte.
Als Vertreter der „Inneren Emigration“ kam Wiechert jedoch mit den Verhältnissen in Nachkriegsdeutschland nicht mehr zurecht. Zu laut übertönte die Selbstgefälligkeit der aus dem Exil zurückgekehrten Schriftsteller, allen voran die selbstgerechte Erika Mann, die öffentliche Meinung. Wiecherts Stimme wurde nicht nur nicht mehr gehört, sondern teilweise wurde er verhöhnt. Er verlor den Glauben an die Jugend, der lebenslang seine Hoffnung gegolten hatte.
Also wandte er sich in die Schweiz, wo er Freunde hatte und gern gehört wurde. 1948 zog er auf den Rütihof, den ihm Freunde zur Verfügung gestellt hatten, bei Uerikon am Zürichsee. Dort vollendete er 1950 sein Letztwerk „Missa sine nomine“, schon von den Schmerzen seiner Krankheit gepeinigt, die am 24. August 1950 zum Tode führte. Im nahegelegenen Stäfa hat Ernst Wiechert ein Ehrengrab.
Nach seinem Tode wurde es um Ernst Wiechert still. Im Jahr 1972 starb Lilje Wiechert. Von dem langjährigen Wiechertfreund Gerhard Kamin wurde das Erbe an das Museum Stadt Königsberg in Duisburg gegeben, von wo es 2016 nach Lüneburg gelangte und dort im Archiv des Ostpreußischen Landesmuseums lagert.
Übersetzung ins Japanische
Erst in den 1980er Jahren begann die Renaissance Ernst Wiecherts. Die Stadtgemeinschaft Königsberg entdeckte, dass der französisch-deutsche Jesuitenpater Guido Reiner in den 1970er Jahren in Paris eine vierbändige „Ernst-Wiechert-Bibliographie“ publiziert und auch über den Dichter an der Sorbonne promoviert hatte. Mit Guido Reiner wurde 1989 die „Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft“ IEWG gegründet, die im Laufe der Jahre ein reges Leben entfaltete, zunächst unter der Leitung von Guido Reiner, von 1997 bis 2001 unter dem Vorsitz von Hans-Martin Pleßke, danach mit Bärbel Beutner und seit Kurzem unter der Leitung von Michael Friese.
Die IEWG schloss sich 1998 der ALG (Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten) an und entfaltete in den letzten 35 Jahren ein reiches literarisches Leben in zahlreichen Tagungen, von denen zwei in Polen durchgeführt wurden. Die schriftlichen Dokumente umfassen inzwischen sieben Bände der Schriftenreihe, 20 Mitteilungen und über 45 Wiechertbriefe. Die IEWG ist eine mittlere literarische Gesellschaft mit derzeit 138 Mitgliedern, davon 48 in 13 Ländern, darunter Polen, der Schweiz, Russland, Italien und Frankreich.
Man kann sagen, dass ohne die Gründung der IEWG Wiechert dem Vergessen anheimgefallen wäre. Seitdem aber gibt es bis heute ständig neue Überraschungen und aktuelle Entwicklungen. So besuchte den PAZ-Autor im Herbst 2024 aus Japan der Forstwirt und Germanist Dr. Mitsuaki Yamanaka in Lüneburg und sprach mit ihm fünf Stunden über die „Missa sine Nomine“. Eine letzte Mail von Mitte Juli 2025 offenbarte, dass Yamanaka seine Übersetzung der „Missa“ ins Japanische fast abgeschlossen hat. Was für ein Schritt Ernst Wiecherts in den Fernen Osten!
Eine letzte Überraschung
Im Mai 2025 machte der Autor einen längeren Urlaub in Masuren und hatte ein erfreuliches Abendgespräch mit dem Deutschlehrer Czesław Ilwicki aus Lötzen, der gerade dabei ist, den Roman „Die Magd des Jürgen Doskocil“ ins Polnische zu übersetzen. Es gab eine sehr kurzweilige Unterhaltung über die Probleme, die sich bei der Übersetzung von Wiechert-Texten in andere Sprachen, vor allem andere kulturelle Umfelder ergeben.
Die vorerst letzte Überraschung war die Einladung der Schweizer Lesegesellschaft in Stäfa an die IEWG, sich an der Gedenkfeier zum 75. Todestag von Ernst Wiechert zu beteiligen. Die Gedenkfeier wird am 30. August 2025 in Stäfa am Zürichsee stattfinden. Im Mittelpunkt steht die Rede, die Wiechert 1947 an seine Schweizer Freunde gerichtet hat. Sie steht unter dem Titel „Das zerstörte Menschengesicht“ und ist ein sehr beeindruckender Text, der im zehnbändigen Gesamtwerk des Dichters nicht enthalten ist.
Diese Rede wird während der Gedenkstunde in der Kirche von Stäfa, in der Wiechert sie auch gehalten hat, von einem Vorstandsmitglied der IEWG vorgetragen werden. Anschließend wird es ein Podiumsgespräch geben, an dem Mitglieder der Lesegesellschaft und der IEWG teilnehmen. Zu der Veranstaltung werden mehrere hundert Teilnehmer erwartet. Das wird ein würdiges Gedenken für den ostpreußischen Dichter sein.
Natürlich ist die IEWG auch nicht untätig. Zum 75. Todestag erscheint Band 8 der Schriftenreihe. Das Buch „Lasse in der Truhe, was du Gutes hier getan“ enthält erstmalige grundlegende Bearbeitungen der „Märchen“ und der „Jerominkinder“, sowie weitere aktuelle Arbeiten über einzelne Werke des Dichters. Der Band soll zeigen, dass Wiecherts schriftstellerisches Vermächtnis nach wie vor zum Kanon deutschsprachiger Literatur gehört.
75 Jahre nach dem Tod Ernst Wiecherts ist der Dichter also keineswegs vergessen, sondern präsent!
Klaus Weigelt ist Vorsitzender der Stadtgemeinschaft Königsberg e.V. und stellvertretender Vorsitzender der Internationalen Ernst-Wiechert-Gesellschaft.
Michael Friese, Joachim Hensel, Klaus Weigelt: „Lasse in der Truhe, was du Gutes hier getan“. Ernst Wiecherts literarisches Vermächtnis, Quintus Verlag, Berlin 2025, 280 Seiten, 25 Euro
Herwig Brätz am 21.08.25, 05:57 Uhr
Also in Polen ist Ernst Wiechert durchaus bekannt - was die Autoren ruhig hätten erwähnen können.
Ich habe z.B. die "Jerominskinder" nur auf Polnisch gelesen, die Übersetzung erschien in den 90er Jahren.