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Über die jüngsten diplomatischen Bemühungen zur Lösung des Ukrainekriegs, die Folgen für die europäischen Staaten – und die Frage, was insbesondere der Ukraine droht, falls es doch nicht zu einem Frieden kommen sollte
Rund dreieinhalb Jahre nach seinem Ausbruch steht der Ukrainekrieg möglicherweise vor dem Ende. Zumindest stimmen jüngste diplomatische Initiativen des US-Präsidenten hoffnungsfroh. Anlass für eine grundlegende Einordnung des Geschehens.
Herr Kujat, in Bezug auf den Ukrainekrieg gab es zuletzt gleich zwei bedeutende Treffen: zuerst zwischen US-Präsident Trump und dem russischen Präsidenten Putin in Alaska sowie Tage später zwischen Trump und diversen europäischen Regierungschefs, darunter der ukrainische Präsident Selenskyj und Kanzler Merz, in Washington. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Das Treffen in Alaska war bei zahlreichen westlichen Kommentatoren sehr umstritten. So hieß es, es dürfe zu keinem „Deal“ kommen, ohne dass die Ukraine dabei ist. Dabei hatte Trump klar gesagt, dass sein Treffen mit Putin allein der Erörterung diene, es anschließend ein weiteres Gespräch mit Selenskyj geben solle und auf keinen Fall über die Köpfe der Ukraine hinweg entschieden werde. Nach dem Treffen drehte sich die Kritik dann darum, dass angeblich nichts erreicht worden sei. In Wahrheit ist einiges abgeklärt worden. Doch war es eben ein exploratorisches Gespräch, bei dem die Beteiligten ausloteten, wo sie jeweils stehen.
Trump informierte anschließend die europäischen NATO-Verbündeten und den ukrainischen Präsidenten und lud diese zur gemeinsamen Beratung nach Washington. Das Treffen hat jedoch nicht das gebracht, was Trump erwartet hatte, größere Übereinstimmung und Geschlossenheit auf seinem Weg zu einer Friedensvereinbarung, insbesondere im Hinblick auf Sicherheitsgarantien für die Ukraine, den Austausch von Territorien sowie der Frage, ob ein Waffenstillstand Voraussetzung für Friedensverhandlungen ist.
Als größte Knackpunkte auf dem Weg zu einem Frieden erscheinen die Anerkennung der russischen Geländegewinne und die Aufstellung internationaler Friedenstruppen.
Richtig. Die Frage von Friedenstruppen ist Teil des Komplexes von Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Dabei wird auch diskutiert, der Ukraine ein Beistandsversprechen zu geben, dass dem Artikel 5 des NATO-Vertrags vergleichbar ist. Danach wird ein Angriff gegen einen Mitgliedsstaat als Angriff gegen alle betrachtet, aber es wird nicht festgelegt, wie darauf zu reagieren ist. Die Konkretisierung erfolgt in der Verteidigungsplanung der NATO. Da die Ukraine jedoch kein Mitglied des Bündnisses ist und auch nicht sein wird, wären Sicherheitsgarantien analog zu Artikel 5 NATO-Vertrag sehr vage – und nicht das, was die Ukraine wünschen kann.
Dagegen war der Vertragsentwurf vom 15. April 2022, auf den sich die Ukraine und Russland damals in Istanbul weitgehend verständigt hatten, viel präziser. Da wurde klar gesagt, dass im Falle eines Angriffs auf die Ukraine die Garantiestaaten Hilfe leisten, und zwar durch ein sofortiges Ergreifen aller notwendigen Maßnahmen, um die Sicherheit der Ukraine als neutraler Staat wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Zwar waren dazu von Russland und der Ukraine vorgeschlagene Ergänzungen noch strittig, aber durchaus lösbar. Im Grundsatz wäre es für die Ukraine vorteilhafter, bei allen Überlegungen bezüglich ihrer Sicherheit wieder zu diesem Ausgangspunkt zurückzukehren.
Wie steht es um das Thema Friedenstruppen?
Eine Option wäre, die anfangs von Trump favorisiert wurde, ein robustes (europäisches) Kontingent in einer demilitarisierten Zone zur Stabilisierung einzusetzen. Der Bedarf an Streitkräften dafür wäre jedoch sehr groß, vermutlich zwischen 120.000 und 140.000 Soldaten, den die Europäer nicht leisten könnten.
Die zweite Variante, von Frankreich und Großbritannien favorisiert, ist, im Westen der Ukraine eine Art Rückversicherungsstreitmacht von etwa 30.000 Soldaten zu stationieren, die im Fall eines russischen Angriffs zu Hilfe kommen soll. Die Zahl der Soldaten, die beide Staaten aufbringen könnten, ist aber so gering, dass dies praktisch keine Abschreckungswirkung hätte.
In Deutschland wird vor allem diskutiert, ob die Bundeswehr überhaupt in der Lage wäre, sich an einem wie auch immer geplanten Einsatz zu beteiligen. Angeblich könnte die Bundeswehr einen Beitrag von der Stärke einer Brigade, etwa 5000 Soldaten, bereitstellen. Zu bedenken ist jedoch, dass sich immer ein Kontingent im Einsatz befindet, ein weiteres darauf vorbereitet wird und ein drittes gerade seinen Einsatz abgeschlossen hat. Aber die entscheidende Frage ist nicht, ob wir uns an einem derartigen Einsatz beteiligen könnten, sondern ob es in deutschem Interesse ist, das Risiko einzugehen, dass deutsche Soldaten in Kampfhandlungen mit russischen Streitkräften verwickelt werden.
Zudem müsste mit dem zu findenden Modell nicht nur die Ukraine einverstanden sein, sondern auch Russland. Sonst wird es keinen Friedensvertrag geben. Und Russland hat klar gesagt, dass es keine Truppen von NATO-Staaten in der Ukraine akzeptieren werde.
Was wäre denn eine Alternative?
Zum einen, wie nach den Übereinkünften von Minsk, dass die OSZE den Friedensprozess überwacht. Bei diesem Modell bin ich jedoch skeptisch, weil die OSZE als zivile Organisation nicht in der Lage wäre, bei Vertragsverstößen einzugreifen. Sie könnte diese nur zur Kenntnis nehmen und berichten.
Ein anderes Modell ist eine Blauhelm-Mission nach Artikel 7 der UN-Charta. Daran könnten allerdings keine Truppen aus NATO-Staaten teilnehmen, da Russland – siehe oben – ansonsten keinem Friedensvertrag zustimmen würde. Ich habe, auch in Ihrer Zeitung, vor zwei Jahren selbst für eine solche Truppe plädiert, allerdings innerhalb einer demilitarisierten Zone. Es gibt Staaten, die so etwas leisten können, etwa Indien, Brasilien oder Ägypten. Auch China wurde ins Gespräch gebracht. Die Teilnahme der Chinesen hätte, wenn sie bereit wären, einen außerordentlich hohen Stabilisierungseffekt.
Damit wären die Europäer bei dem seit Jahrzehnten schwersten Konflikt auf ihrem Kontinent einmal mehr nur Beobachter. Auch beim Washingtoner Gipfel und erst recht in den dreieinhalb Jahren Krieg hat niemand gefragt, was die europäischen Staaten wollen.
Das kann ich nur unterstreichen. Zu Washington muss man noch einschränken, das dort nicht „die Europäer“ anwesend waren, sondern einzelne europäische Staaten. Die Aspekte rund um den Ukrainekrieg werden ja in den einzelnen Hauptstädten durchaus unterschiedlich gesehen.
Tatsächlich ist es aber so, dass die Europäer im Verlauf des Krieges kaum eine Rolle gespielt haben. Sie haben zwar versucht, Russland mit Sanktionen zu beeindrucken, jedoch keinerlei Vorstoß unternommen, den Krieg diplomatisch zu beenden. Als der ungarische Ministerpräsident Orbán die Europäer aus ihrer Sackgasse herausholen wollte, ist er heftig dafür kritisiert worden. Im Ergebnis dessen hat Europa auf der geopolitischen Bühne keinen Einfluss mehr.
Eine Rolle dürften die europäischen Staaten allenfalls als Zahlmeister spielen. US-Vizepräsident Vance hat erklärt, dass sein Land mit der Finanzierung des Ukrainekriegs „durch“ sei.
So ist es. Auf eine Sache muss man in diesem Kontext jedoch hinweisen: Trump hat immer gesagt, dass der Ukrainekrieg nicht sein Krieg sei. Das stimmt nun nicht mehr. Durch seine zuletzt aktive Rolle ist es jetzt auch sein Krieg geworden. Deshalb muss er auch schnell eine Lösung finden. Aber er hat sich und sein Land auf eine Vermittlerrolle zurückgezogen. Alles, was fortan an Ausstattung und Finanzen zu leisten ist, sollen die Europäer schultern.
Was folgt aus den jüngsten Ereignissen für die Zukunft der NATO?
Für die NATO ändert sich durch diese Entwicklung zunächst nichts. Schon unter Biden gab es aufseiten der Vereinigten Staaten die Tendenz, sich aus dem Ukrainekrieg zurückzuziehen, um sich stärker anderen Konflikten widmen zu können.
Ich glaube, viele Kommentatoren lassen sich in ihrer Analyse der US-Politik von ihrer persönlichen Abneigung gegenüber Trump leiten. So hieß es im Februar nach dem Zerwürfnis von Trump und Selenskyj im Weißen Haus, dass sich die USA aus der NATO zurückziehen wollten. Solche Äußerungen blenden jedoch aus, dass die Amerikaner nicht in Europa und in der NATO sind, weil sie uns einen Gefallen tun wollen, sondern weil sie mit ihrer Präsenz Interessen verfolgen. So befinden sich in Deutschland unter anderem das nationale US-Hauptquartier für Afrika und für den Nahen Osten sowie das größte US-Militärhospital außerhalb der Vereinigten Staaten. Deutschland und Europa sind eine unverzichtbare Drehscheibe für globale amerikanische Einsätze.
Richtig ist jedoch, dass sich die Spannungen innerhalb des Bündnisses durch den Ukrainekrieg verschärft haben. Das hängt wesentlich auch mit dem Engagement der letzten drei Generalsekretäre zusammen, die sich beispielsweise ohne Rücksichtnahme auf die Interessen einzelner Mitgliedsländer für die militärische Unterstützung der Ukraine oder gar deren Beitritt eingesetzt haben. Das ist für die NATO ein viel größeres Problem als die mitunter sprunghaften Aussagen des US-Präsidenten.
Allerdings hat das Bündnis auch in der Vergangenheit schwierige Perioden durchmachen müssen und hat sie überstanden. Insofern bin ich optimistisch für die NATO.
Es sieht so aus, als ob nach dreieinhalb Jahren Krieg ein Frieden in der Ukraine in Sichtweite ist. Lässt sich schon sagen, wer den Konflikt gewonnen hat?
Zunächst ist es richtig, dass wir auf dem Weg zu einem Frieden sind, dieser jedoch noch keineswegs sicher ist. Bis dahin müssen noch viele Hindernisse überwunden werden.
Was die Frage des Siegers angeht, habe ich stets gesagt, dass diesen Krieg niemand gewinnen kann, zumindest politisch. Russland wird die eroberten ukrainischen Territorien behalten, aber dass Finnland und Schweden nun NATO-Mitglieder sind, ist für Moskau ein großer sicherheitspolitischer Rückschlag. Dass die Ukraine den Krieg nicht gewonnen hat, liegt auf der Hand. Sie hat neben den Gebietsverlusten den Tod von hunderttausenden Soldaten und Zivilisten zu beklagen und steht vor der Aufgabe eines gigantischen Wiederaufbaus. Der Westen wiederum ist mit seinem Ziel, Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch zu schwächen, ebenfalls nicht erfolgreich gewesen.
Militärisch hat Russland den Krieg gewonnen. Zwar konnten die ukrainischen Streitkräfte anfangs respektable Erfolge erzielen. Die Russen haben sich jedoch im Laufe der Zeit immer besser darauf einstellt und die Ukrainer nach und nach aufgerieben, sodass es nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis die ukrainische Verteidigungsfront zusammenbricht.
Tragisch für die Ukraine ist, dass es für sie mehrfach Chancen gab, zu deutlich günstigeren Bedingungen aus dem Krieg herauszukommen. Diese wurden jedoch im Irrglauben, Russland besiegen zu können, nicht genutzt, worauf sich die Bedingungen für die Ukraine mit der Dauer des Krieges stetig verschlechtert haben. Sollte es in den nächsten Wochen nicht zu einem Verhandlungsergebnis kommen, dann droht der Ukraine ein Zusammenbruch – militärisch und wahrscheinlich auch politisch. Das will natürlich niemand, das muss auch verhindert werden. Auch deshalb versucht Trump, so schnell wie möglich voranzukommen.
Das Gespräch führte René Nehring.
General a. D. Harald Kujat war unter anderem von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.