Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Breslauer Autos gingen einst in den Export bis nach Moskau
An der Tauentzienstraße 124 [ul. Kościuszki] der Ohlauer Vorstadt [Przedmieście Oławskaie] von Breslau rollten einst Luxuslimousinen und sportliche Coupés vom Band. Heute stehen an dieser Stelle moderne Wohn- und Geschäftshäuser der „Neuen Manufaktur“, die kaum an die Auto-Pionierzeit erinnern. Doch der automobiltechnische Geist lebt weiter – nicht zuletzt durch den langjährigen Leiter des Stadtmuseums zu Breslau Maciej Łagiewski und die Fremdenführerin und Autorin Małgorzata Urlich-Kornacka. Letztere führte Mitte Juni ein Podiumsgespräch mit Christian J. Börner, dem Urenkel des Beckmann-Fabrikgründers. „Das ist eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden“, sagte sie.
Die Geschichte beginnt jedoch nicht mit einem Auto, sondern mit Metallrohren, und zwar in der Klosterstraße [ul. Traugutta]. Otto Beckmann (1841–1897), der spätere Firmengründer, stellte zunächst Gas- und Wasseranlagen her.
1885 begann er dann mit einem völlig neuen Produkt: Fahrräder. Ottos Unternehmen nannte er selbstbewusst: „Erste Schlesische Velociped-Fabrik“ – ein Hinweis, dass er als Pionier galt. Sein Sohn Paul (1866–1914) wuchs zwischen Schraubenschlüsseln und Satteln auf und half von Kindesbeinen bei der Konstruktion der Velocipeden. Doch seine Vision war es, Autos zu produzieren.
1898 war es dann so weit. In seinem neuen Werk in der Tauentzienstraße 124 rollte das erste in Breslau gebaute Auto auf die Straße. Der kleine Wagen hatte einen französischen Einzylinder-Motor und bot Platz für zwei Fahrgäste, die sich gegenübersaßen. Dessen Höchstgeschwindigkeit betrug erstaunliche 35 Kilometer in der Stunde. Motiviert vom Erfolg, entwickelte Beckmann immer neue, verbesserte Modelle. Ab 1904 wurden sogar eigene Motoren gebaut. Die Firma wurde in „Otto Beckmann & Co. Motorwagen-Fabrik“ umbenannt. Die Fahrzeuge aus Breslau waren nicht nur technisch innovativ, sondern galten auch als zuverlässig und hochwertig – mit Details wie einer Dreigangschaltung, die von der damaligen Fachpresse für ihre Bergtauglichkeit gelobt wurde. Die Firmen- und Familiengeschichte fasste Christian Börner in seinem Buch: „Automobilfabrik Otto Beckmann, Breslau“ zusammen.
Die „Beckmänner“, wie man die Autos nannte, wurden auf Automobilmessen gezeigt und in ganz Deutschland verkauft. Sie gingen ebenso in den Export nach Moskau und Skandinavien. Beim Autorennen Breslau–Wien 1902 belegten sie die ersten drei Plätze. Und Beckmann saß häufig selbst hinter dem Steuer. Der Breslauer Historiker Łagiewski hält Beckmann sogar für den Vorreiter bei der Herstellung von Sicherheitsgurten. Um seine drei Kinder bei der Fahrt über holprige Straßen zu schützen, so Łagiewski, habe Beckmann sie nämlich mit eigens genähten Ledergurten an die Sitze geschnallt.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs endete die Erfolgszeit. Beckmann starb 1914, und da keines seiner Kinder volljährig war, geriet das Unternehmen in die Krise. 1926 kaufte Opel die Beckmann-Werke mit rund 150 Mitarbeitern.
Heute gibt es nur noch einen einzigen Original-Beckmann, den Phaeton 21/45 PS von 1911. Dieses Modell war damals so teuer wie ein Mercedes. Heute befindet sich der Wagen in einer privaten Sammlung in Norwegen. Aber an die Geschichte der Breslauer Beckmänner wird in der schlesischen Metropole heute wieder erinnert. Das frühere Verwaltungsgebäude der Firma in der Klosterstraße 124 wurde aufwendig saniert. Im September 2023 wurde im Beisein des Gründerurenkels Christian J. Börner an der Fassade eine Gedenktafel enthüllt. Weil man jedoch oft achtlos an Informationstafeln vorbeiläuft, bringt Urlich-Kornacka Breslaubesuchern – auch in deutscher Sprache – in ihren Führungen diese Geschichte näher. Neben den pfiffigen Beckmann-Gründern erwähnt sie auch, dass Georg Haase, der einstige Besitzer der größten Lagerbierbrauerei Schlesiens und Freund der Beckmanns, sich gerne bei Autorennen hinters Steuer eines Beckmanns setzte. Übrigens hatte sich Haase am Ohlauer Stadtgraben eine repräsentative Villa bauen lassen, die heute Sitz des Generalkonsulates der Bundesrepublik Deutschland ist, aber das ist eine andere Geschichte ...