Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Eine Auswertung des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung zum Tag der Deutschen Einheit in der vergangenen Woche hat ergeben, dass sich die Löhne in Deutschland seit 2014 zwar angenähert haben, das Ost-West-Gefälle aber weiterhin deutlich ist.
Vollzeitbeschäftigte erzielten 2024 in Westdeutschland im Durchschnitt 4810 Euro brutto im Monat, in Ostdeutschland 3973 Euro. Der Abstand beträgt damit 17,4 Prozent. Seit 2014 ist diese Lücke um sieben Prozentpunkte geschrumpft, nachdem sie zwischen 1999 und 2014 nur um 1,6 Punkte gesunken war. Als treibender Faktor wird der Mindestlohn genannt, der 2015 eingeführt wurde und besonders viele Beschäftigte im Osten erfasst hat.
Der Studienautor und Lohnexperte Malte Lübker erklärte: „Beschäftigte in den ostdeutschen Bundesländern haben vom Mindestlohn überdurchschnittlich häufig profitiert – und zwar einfach, weil sich hier in den Jahren nach der Wende ein besonders großer Niedriglohnsektor ausgebreitet hatte.“ Zudem habe die Anhebung auf zwölf Euro die Entwicklung beschleunigt. Die Erhöhung des Mindestlohns im Oktober 2022 habe die Lohnentwicklung in Ostdeutschland noch einmal zusätzlich unterstützt.
Besonders deutlich zeigt sich der Angleichungseffekt am unteren Ende der Verteilung: Im April 2024 lag dort statistisch der Schnitt der Stundenlöhne im Osten bei 12,87 Euro und damit nur ein Prozent unter dem Westwert von 13 Euro, während der Abstand 2014 noch 17,5 Prozent betragen hatte.
Der Osten oft ohne Tarifbindung
Bereits beschlossene Erhöhungen des Mindestlohns auf 13,90 Euro zum 1. Januar 2026 und auf 14,60 Euro zum 1. Januar 2027 werden nach Einschätzung der Studie die Konvergenz weiter fördern. Für die große Mehrheit, deren Entgelte oberhalb der gesetzlichen Untergrenze liegen, gilt jedoch: Der Weg zu besseren Löhnen führt über Tarifverträge. Lübker konstatiert: „Mit Tarifvertrag sind die Löhne in vergleichbaren Betrieben etwa zehn Prozent höher, als wenn der Tarifvertrag fehlt.“ Viele Bereiche arbeiten bereits mit bundeseinheitlichen Tarifen, etwa Banken, Bahn oder Telekommunikation. Andere verhandeln regional, wobei die Unterschiede überschaubar sind. Das tarifliche Lohnniveau im Osten erreicht laut Auswertung inzwischen 98,5 Prozent des Westniveaus.
Problematisch wirkt allerdings die niedrigere Tarifbindung. In Ostdeutschland sind nur 41,7 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden, in Westdeutschland 50 Prozent. Laut Studie unterbieten viele tariflose Arbeitgeber im Osten die Standards besonders deutlich, was die Angleichung ausbremst und die Kluft in tarifarmen Segmenten stabilisiert. Darüber hinaus gibt es ausgeprägte regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern. Die Spannweite innerhalb der alten Bundesländer reicht etwa von Schleswig-Holstein mit durchschnittlich 22,15 Euro je Stunde bis Hamburg mit 26,88 Euro. Der resultierende Abstand von 17,6 Prozent entspricht in etwa dem Gefälle, das sich insgesamt bei den Stundenlöhnen zwischen West (26,56 Euro) und Ost (22 Euro) zeigt. Hier beläuft sich die Differenz auf 18,2 Prozent.
Die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch, ordnet ein: „In Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, bleibt eine wichtige Aufgabe.“ Sie würdigt zugleich die Rolle der Gewerkschaften, was bei einem gewerkschaftsnahen Institut allerdings kein Wunder ist: „Die Gewerkschaften haben Pionierarbeit geleistet und eine Angleichung der Tariflöhne zwischen Ost und West weitgehend durchgesetzt.“
Nach Auffassung der Studienautoren kann eine stärkere Tarifbindung den verbleibenden Abstand verringern. Kohlrausch verweist in diesem Zusammenhang auf die politische Ebene: „Die Tarifbindung zu stärken, auch durch Maßnahmen wie wirksame Tariftreuegesetze, ist ein Beitrag zur inneren Einheit und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Im Kern beschreibt die Untersuchung damit zwei Hebel: Das gesetzliche Mindestlohn-Instrument, das am unteren Rand nahezu Parität geschaffen hat, und die Tarifpolitik, die im mittleren Lohngefüge ihre Wirkung entfaltet. Je weiter die Betrachtung von Mindestlohnnähe und bundeseinheitlichen Branchenstandards wegführt, desto häufiger treten strukturelle Unterschiede hervor, die mit regionaler Branchenstruktur, Betriebsgrößen und Tarifbindung zusammenhängen.
Der Datentrend seit 2014 zeigt eine beschleunigte Annäherung im Vergleich zu den 15 Jahren zuvor, in denen die Lücke nur in Trippelschritten kleiner wurde. Gleichzeitig verdeutlichen die aktuellen Monats- und Stundenwerte, dass der Rückstand im Durchschnittseinkommen dennoch bestehen bleibt und durch regionale Bandbreiten innerhalb des Westens zusätzlich überlagert wird. Aus Sicht der Autoren liegt der Fokus daher auf einem Dreiklang aus stabilen Mindestlohnpfaden, höherer Tarifbindung und der Durchsetzung tariflicher Standards, um Unterbietungswettbewerb in tariflosen Bereichen einzudämmen. Dies gilt besonders in Regionen mit geringer Tarifdichte und in Branchen, die traditionell von niedriger Entlohnung geprägt sind.
Wie wirkt sich der Mindestlohn aus?
Die Auswertung verweist darauf, dass sich der Nachholprozess im Osten nach Einführung des Mindestlohns beschleunigt hat, ohne die Kluft vollständig zu schließen. Ergänzend zeigt der Blick auf den unteren Einkommensteil, dass der gesetzliche Mindestlohn inzwischen weitgehend verhindert, dass sich neue tiefe Spalten öffnen. Für die mittleren Entgeltgruppen bleibt die tarifliche Ordnung der zentrale Mechanismus. Wo sie greift, ist die Differenz gering: Wo sie schwach ist, verfestigen sich Lohnunterschiede.
Damit gewinnt die Frage an Bedeutung, wie die Tarifbindung in ostdeutschen Betrieben gestärkt werden kann, ohne die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit zu konterkarieren. Die in Aussicht stehenden Erhöhungen des Mindestlohns liefern Planungssicherheit am unteren Ende und entfalten laut Ansicht der Autoren in Kombination mit Tarifabschlüssen eine Ankerfunktion. Die von Arbeitgeberseite und Wirtschaftsverbänden oft erwähnten Nachteile des Mindestlohns lässt die Studie jedoch außen vor.