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Alain Finkielkraut, „Ich schweige nicht. Philosophische Anmerkungen zur Zeit“, LMV-Verlag, ein Imprint des Langen-Müller Verlags, München 2021, gebunden, 144 Seiten, 22 Euro
Alain Finkielkraut, „Ich schweige nicht. Philosophische Anmerkungen zur Zeit“, LMV-Verlag, ein Imprint des Langen-Müller Verlags, München 2021, gebunden, 144 Seiten, 22 Euro

Philosophie

Plädoyer eines Linken für die Nation

Alain Finkielkraut wagt einen freundschaftlichen Warnruf an Deutschland

Bernd Kallina
04.06.2022

Das bemerkenswerte Buch des namhaften französischen Philosophen Alain Finkielkraut „Ich schweige nicht. Philosophische Anmerkungen zur Zeit“, das mit einem aktuellen Gespräch zwischen ihm und Peter Sloterdijk beginnt, ist in mehrfacher Hinsicht lesenswert:

Zum einen zeichnet der einflussreiche Intellektuelle seinen persönlichen Werdegang nach, greift dabei kritisch eine Reihe von wichtigen Themen auf, die ihn sein Leben lang begleitet haben: seine jüdische Herkunft, die 68er Bewegung, der Rassismus, Israels Selbstbehauptungskampf sowie die angeschlagene europäische Identität, die er durch die im Westen weit verbreitete Ideologie des Multikulturalismus ernsthaft bedroht sieht.

Dabei kommt er in der Beurteilung für die in Deutschland postnational geprägte politische Klasse zu Schlüssen, die sonst in dieser zugespitzten Deutlichkeit fast nur von „Populisten“ zu hören sind. Im Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom November letzten Jahres stellte Finkielkraut apodiktisch fest, dass eine sinnvolle Politik nur in einer Nation möglich sei, er glaube daher nicht – wie der linke und maßlos überschätzte „BRD-Hausphilosoph“ Jürgen Habermas – an eine Art postnationale Demokratie.

Auch der bei uns viel zitierte „Verfassungspatriotismus“ sei für einen souveränen Staat nicht hilfreich. Finkielkraut wörtlich: „Das ist Unsinn! Ich glaube an das Recht der Nationen, an historische Kontinuität, die Wichtigkeit einer gemeinsamen Sprache, Geschichte und Kultur.“ Dass in Köln seit Kurzem der Muezzin zum Gebet aufrufen darf, quittiert er mit der Frage: „Haben die Deutschen den Verstand verloren? Vielleicht hat sie die Reue so hart getroffen, dass sie zu Idioten geworden sind.“ Das sind offene Worte, einem freundschaftlichen Warnruf mit Signalcharakter gleich, die jenseits der politischen Lager Nachdenklichkeit auslösen sollten.

An vielen Stellen im Buch geht Finkielkraut auf die Problematik multikulturalisierter Gesellschaften ein, „den Zusammenstoß der Kulturen im Inneren nationaler Gemeinschaften“, den er vehement kritisiert, weil er zu schwer beherrschbaren Dauerkonflikten führt. Er registriert dabei: „In den ständig wachsenden Problemvierteln stellt sich die soziale Frage in besonderer Schärfe, aber unter neuen Bedingungen“, nämlich: „Das Soziale lässt sich nicht mehr auf das Ökonomische reduzieren.“ In Folge der brisanten und von den Funktionseliten massiv geförderten Einwanderungsentwicklung komme es zu Spaltungen. Wut und religiöses Eiferertum würden in einer Weise sichtbar, die nichts mehr mit Klassenkampf im traditionell linken Sinne zu tun hätte, so die Bilanz seiner neuen „sozialen Frage“.

Finkielkrauts Abschied von der 68er-Linken beschreibt der französische Intellektuelle als Ablösungsprozess: „Die verführerische Vorstellung von einer globalen Lösung für die Probleme der Menschheit verlor ihren Zauber, als ich allmählich entdeckte, was es konkret bedeutete, ein Mensch unter Menschen zu sein.“ Die sich links und progressiv gebärdende Israel-Kritik nimmt er im Sinne seiner anti-globalistischen Konzeption entsprechend wahr und schreibt: „Als resolute Universalisten geißeln sie die Entscheidung der Juden, einen Staat nach ethnischen Prinzipien zu gründen, wenn doch für alle Demokraten der Zeitpunkt gekommen sei, zur Menschheitsreligion zu konvertieren.“ Allerdings mache ihn seine sorgenvolle Verbindung zum Nationalstaat Israel nicht blind, sondern er plädiere seit 40 Jahren für das Ende der Besetzung und die „Zwei-Staaten-Lösung“.

Die 144 Seiten zählende Schrift birgt weitere interessante Aufklärungsbezüge aus dem Leben Finkielkrauts. Er setzt sich auch mit den Gedanken und Anregungen seiner geistigen Wegbegleiter auseinander, als da sind: Martin Heidegger, Emmanuel Levinas, Charles Peguy, Michel Foucault und – vor allem – Milan Kundera, dem er sein Buch gewidmet hat. Warum Kundera? Vielleicht wegen dieser Finkielkraut prägenden beiden Sätze: „Europa oder Nation, sagte ich, bevor ich Kundera gelesen hatte. Als ich ihn las, begriff ich, dass es bei Europa und der Nation um ein und dieselbe Sache gehen konnte.“


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