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Zwischen militärischen Hardlinern und liberalen Wirtschaftsvertretern: Russlands Präsident Wladimir Putin
Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Maxim ShemetovZwischen militärischen Hardlinern und liberalen Wirtschaftsvertretern: Russlands Präsident Wladimir Putin

Putin zwischen Skylla und Charybdis

Trotz erster Gespräche über eine Waffenruhe im Ukrainekrieg bezweifeln westliche Kommentatoren den Friedenswillen des russischen Präsidenten. Ein Blick in die Moskauer Machtzirkel offenbart, dass er auch innenpolitisch zwischen den Fronten steht

Alexander Rahr
27.03.2025

Beinahe täglich erhöht US-Präsident Donald Trump den Druck auf seinen russischen Kollegen Wladimir Putin, den Ukrainekrieg zu beenden. Die Ukrainer wären – nach anfänglichem Widerstand, der unlängst zum Eklat im Oval Office führte – zu einem Waffenstillstand bereit. Schließlich könnten sie ohne US-Unterstützung nicht lange weiterkämpfen. Und so wäre theoretisch eine Waffenruhe zu Ostern möglich. Doch der geopolitische Kontext, in dem sich Putin derzeit bewegt, gleicht einer wahnwitzigen Navigationsherausforderung durch die gefährlichen Gewässer von Skylla und Charybdis. Diese Metapher, entlehnt aus der antiken griechischen Mythologie, verdeutlicht die prekäre Situation des russischen Präsidenten, der sich zwischen den Interessen innerer Machtgruppen und externem Druck befindet.

Auf der einen Seite der inneren Machtgruppen stehen die „Silowiki“, die Vertreter der Geheimdienste und der Armee, die für eine rigorose Kriegsfortsetzung plädieren, während auf der anderen Seite pragmatische Regierungstechnokraten und Oligarchen eher eine diplomatische Lösung favorisieren. Beide Gruppen argumentieren vehement für ihre Positionen und drängen den Kremlchef in unterschiedliche, teils entgegengesetzte Richtungen. Doch noch hat sich Putin nicht entschieden.

Zwei Fraktionen im Kreml
Die Silowiki vertreten die Ansicht, dass Russland den Krieg in der Ukraine bis zur vollständigen Eroberung der Ostukraine und der Schwarzmeerküste fortsetzen muss. Ihre Argumentation beruht auf der Annahme, dass die bisherigen territorialen Gewinne als Puffer nicht ausreichen, um Russland in Zukunft vor einer von ihnen wahrgenommenen NATO-Umzingelung zu schützen. Für die Silowiki sind die bis dato besetzten Gebiete nicht genug; sie fürchten darüber hinaus, dass westliche Truppen nach einer Waffenruhe in der restlichen Ukraine stationiert werden könnten, was über kurz oder lang zu einer massiven Aufrüstung der Ukraine und zu einem erneuten Krieg führen würde.

Ein Schlüsselziel dieser Fraktion ist die Absetzung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, um statt seiner ein Marionettenregime in Kiew zu installieren und damit direkten Einfluss auf die politischen Entscheidungen der Ukraine zu gewinnen. Ihr Wunsch wäre eine baldige Kapitulation der ukrainischen Armeeführung, die den Krieg zugunsten Russlands beenden würde. Die Si-lowiki misstrauen Trump und sehen in einem künftigen militärischen Bündnis mit China eine langfristig vorteilhaftere Strategie für die Großmachtinteressen Russlands.

Im Kontrast zu den Silowiki stehen die Technokraten und Wirtschaftsvertreter, die eine baldige Beendigung des Krieges mittels eines Friedensplans favorisieren. Sie argumentieren, dass Russland bereits erhebliche Erfolge auf dem Schlachtfeld erzielt hat, indem es den Westen und die NATO in einen Zustand der Unsicherheit und Uneinigkeit versetzt hat. Aus ihrer Sicht sind die Hauptziele des Kremls vom Anfang der „Speziellen Militäroperation“, wie die Invasion der Ukraine vom Kreml genannt wird, die Entmilitarisierung der Ukraine und das Verhindern einer NATO-Mitgliedschaft, de facto erreicht worden. Auch das zweite russische Ziel, ein „Regime Change“ in Kiew (im russischen Jargon „Entnazifizierung“), ist aus ihrer Sicht greifbar nahe. Denn Selenskyjs Chancen, an der Regierung zu bleiben, schwinden, bei kommenden Wahlen bekommt er es mit ernsthaften Konkurrenten zu tun, die aus den USA unterstützt werden.

In den Überlegungen der Friedensbefürworter wird ein strategisches Bündnis mit den USA als ein Geschenk des Himmels betrachtet, das Russland wieder auf die Höhe einer anerkannten Weltmacht katapultieren könnte. Durch die Annäherung an die USA würde sich Russland am Aufbau einer multipolaren Weltordnung beteiligen und seine angestammte Rolle als globaler Machtfaktor zurückgewinnen. Und so hofft diese gemäßigte Fraktion auf eine Aufhebung der Sanktionen, die wirtschaftliche Öffnung zum Westen und auf eine Wiederherstellung einer von den Supermächten festgelegten Weltordnung à la Jalta von 1945.

Herausforderungen und Widersprüche
Dass Trump in der Europäischen Union Amerikas wirtschaftlichen Rivalen sieht, macht den US-Präsidenten für Russland zu einem strategischen Verbündeten. Ohne das Bündnis zu China zu opfern, könnte Russland zusammen mit den USA gemeinsame Sicherheitsstrategien im Nahen und Mittleren Osten entwickeln. Trump äußert Verständnis für Russlands Ablehnung einer NATO-Osterweiterung. Trump zu verärgern, indem man seine Friedensbemühungen scheitern lässt, schmälert aus Sicht der Realisten die eigenen russischen Siegesschancen in der Ukraine. Eine Hinwendung Trumps zur konsolidierten, US-geführten NATO würde die Isolation Russlands weiter verstärken und den Abnutzungskrieg um Jahre verlängern, bis zum völligen Bruch Russlands mit dem Westen.

Die Technokraten, wie beispielsweise die Präsidentin der Zentralbank, Elwira Sachipsadowna Nabiullina, warnen vor den langfristigen wirtschaftlichen und politischen Kosten eines anhaltenden Konflikts. Putin versteht, dass sowohl die eine als auch die andere Strategie erhebliche Risiken birgt, denn die Friedensregelung würde wesentliche Teile der von Russland beanspruchten Territorien in den Gebieten Saporischschja und Cherson gar nicht betreffen.

Skylla und Charybdis stellen nicht nur mythologische Gewalten dar, sondern sind auch prägnante Symbole für die Herausforderungen und Widersprüche, denen sich Putin in einer zunehmend unsicheren und komplexen Weltlage gegenübersieht. In Russland wird die Anfangsphase des Ukrainekriegs vom späteren Verlauf des Krieges getrennt gesehen. Ein „Regime Change“ in Kiew und eine schnelle Kapitulation der Ukraine misslangen bekannterweise im Frühjahr 2022. Seit dem Scheitern der Istanbuler Friedensgespräche sieht sich Russland eher im indirekten Krieg mit der kollektiven NATO als unmittelbar mit der Ukraine. Angriffe auf russisches Territorium mit Hilfe westlicher hochmoderner Präzisionswaffen haben aus einer anfangs geplanten „Speziellen Militäroperation“ einen echten Krieg gemacht. Zudem geht es der NATO auch nicht mehr ausschließlich um die Verteidigung der Ukraine, sondern um ein langfristiges Zurückdrängen eines imperialen Russlands.
Sowohl in Russland als auch im Westen wird nicht mehr ausgeschlossen, dass ein Krieg zwischen den nördlichen NATO-Staaten und Russland im Ostseeraum Realität werden kann. Der könnte zum Beispiel ausbrechen, sollten russische Handels- und Kriegsschiffe mit Gewalt daran gehindert werden, in die internationalen Gewässer des baltischen Meeres herauszufahren. Jederzeit möglich ist auch eine Ausweitung des Konflikts um die Ukraine auf Transnistrien in Moldawien, wo eine zurückgedrängte Ukraine durchaus versuchen könnte, eine zweite Front gegenüber Russland zu eröffnen. In Transnistrien ist seit über dreißig Jahren eine russische Armeeeinheit stationiert. Dass ein direkter Konflikt der NATO-Länder mit Russland erhebliche Gefahren eines Nuklearkrie-ges birgt, wird in den europäischen Hauptstädten meist vergessen, in Washington jedoch erkannt. Auch aus diesem Grund will Trump den Krieg in der Ukraine beenden.

Wo steht das Volk?
Die Entwicklung der russischen Gesellschaft seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs hat komplexe Wandlungen durchlebt. Zu Beginn der Invasion im Jahr 2022 war ein erheblicher Teil der Bevölkerung gegen den Krieg, denn die Gründe für diesen militärischen Einmarsch blieben für viele unverständlich. Fünfunddreißig Jahre lang galt die Ukraine als ein souveräner Nachbarstaat, mit dem es gelegentlich zwar Spannungen gab, aber auch enge gesellschaftliche und kulturelle Verbindung, die das Reisen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und den familiären Austausch erleichterte. Immerhin lebten Russen und Ukrainer jahrhundertelang friedlich in einem gemeinsamen Staat.

Jetzt, nach drei Jahren eines blutigen und verlustreichen Konflikts, hat sich das kollektive Bewusstsein in der russischen Gesellschaft verändert. In der Wahrnehmung eines Großteils der Bevölkerung existiert heute die Vorstellung eines „Nazi-ähnlichen Regimes“ in Kiew, das Russland bedroht. Für viele Russen heißt es darum jetzt, dass ein militärischer Sieg nicht nur notwendig, sondern auch unausweichlich ist, um die russische Bevölke-rung in der Ostukraine zu schützen, die verlorenen historischen Gebiete zurückzugewinnen und Russland wieder stark und souverän zu machen. Der Verweis auf den Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1990 hat tiefgreifende Ängste ausgelöst. Diese kollektiven Traumata prägen den Diskurs über nationale Identität und territorialen Zusammenhalt.

Ein weiterer prägender Faktor in der gegenwärtigen russischen Gesellschaft ist das Misstrauen gegenüber dem Westen, an dem der Westen nicht unschuldig ist. Die NATO-Osterweiterung bleibt die Mutter aller Probleme. Aus der Perspektive vieler Russen haben die westlichen Nationen jahrzehntelang die Interessen Russlands missachtet, ihr Militär an die russischen Grenzen verlagert und die Ukraine gegen Russland aufgerüstet. Daher wird vielfach eine Konfrontation mit dem Westen als notwendiges Allheilmittel angesehen, das die nationale Sicherheit für die Zukunft gewährleisten soll.

Chancen auf eine Annäherung
Trotz der veränderten Einstellung vieler Russen gibt es auch Hoffnung auf eine zukünftige Versöhnung mit den europäischen Ländern. In den Köpfen vieler besteht der Wunsch, die früheren Wirtschaftsbeziehungen, insbesondere zu Deutschland, wiederherzustellen. Auch ist der latente Antiamerikanismus in der russischen Gesellschaft mit den Friedensbemühungen Trumps der Hoffnung nach Beendigung des Krieges mit Hilfe Amerikas gewichen. Viele Russen sehen in guten amerikanisch-russischen Beziehungen eine Möglichkeit, die wirtschaftliche Stabilität zurückzugewinnen und die außenwirtschaftliche Isolation zu überwinden. Diese Hoffnungen sind jedoch stark von der politischen Landschaft und auch der Haltung der Europäer abhängig. Letztere wollen einen Sieg Russlands in der Ukraine bislang nicht akzeptieren, da dieser die europäische Sicherheitsarchitektur und das europäische Wertesystem durcheinanderbringen würde.

Letztlich wird Putin vermutlich, nachdem er bis Ostern auf Zeit spielen wird, um noch wichtige Geländegewinne in der Ukraine zu erzielen, ein von Trump gebotenes „Zeitfenster der Möglichkeiten“ nicht verstreichen lassen. Die Chance, mit den USA und China ein neues weltpolitisches Triumvirat zu begründen, wird sich für Russland nicht so schnell wieder bieten. Dafür wird Putin bereitwillig Trump auch Rohstoffe im Westteil der Ukraine überlassen, jedoch im Gegenzug Amerikas Unterstützung für Russlands Rolle als globale Energiesupermacht erwarten.

Dr. Alexander Rahr ist Vorsitzender der Eurasien-Gesellschaft. Er war Berater für diverse deutsche und russische Firmen und ist Autor mehrerer Bücher über Russland, unter anderem einer Biographie über Wladimir Putin, den er mehrfach persönlich getroffen hat. www.eurasien-gesellschaft.org


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Kommentare

sitra achra am 27.03.25, 12:29 Uhr

Man kann nur hoffen, dass Putin und seine Silowiki die Oberhand behalten und nicht auf halber Wegstrecke schlappmachen.
Ein Deal mit den Amis auf der Basis einer irgendwie gearteten Patnerschaft zur Schaffung eines globalen Dreier-Machtkartells mit China ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil die Amis eine Führungsrolle beanspruchen und auch durchsetzen. Leere Versprechungen auf Partnerschaft sind ein wesentlicher Bestandteil ihrer Propagandatrickkiste. Die entwürdigende Behandlung der EU durch Trump möge ein warnendes Beispiel sein.
Meiner Meinung nach muss die Nato ihre Truppen aus allen an Russland angrenzenden Regionen entfernen, einschließlich Polens und Mitteldeutschland.
Wenn dies nicht geschieht ist der 2+4-Vertrag hinfällig, dann haben die Russen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, gegen Europa Krieg zu führen und zwar so lange, bis von der Nato kein Fetzen mehr übrigbleibt und die Amerikaner samt ihren Militärbasen aus Europa vertrieben sind.
Hoffentlich schluckt Putin den Trumpschen Köder nicht, denn sonst wäre dieses stolze Land verloren.

Josef Hübner am 27.03.25, 11:18 Uhr

Worum geht es im Ukraine-Krieg? Russland sieht seine Sicherheitsinteressen extrem gefährdet, wenn die NATO oder die USA inn der Ukraine Raketenbasen errichten Biowaffenlabore unterhalten. Ist eigentlich nicht schwer zu verstehen. Was würde wohl passieren, wenn Russland oder China Mexiko in ein Militärbündnis zöge und an der Nordgrenze Mexikos Raketenbasen errichtete? Wer immer Präsident Russlands ist, er muss für die Sicherheit seines Landes sorgen, kann nicht zulassen, dass es erpressbar wird. Wer wirklich rasch Frieden will, arbeitet mit Hochdruck an einem Friedensvertrag, der Russlands Sicherheitsinteressen berücksichtigt, die Ukraine zu einer neutralen Drehscheibe zwischen Ost und West aufbaut. Im Detail ausgearbeitete Vorschläge gibt es ja, nur erfährt der Medienkonsument hierzulande nichts davon. Und vor allem ist vorzuschlagen, die Sichtweise "besser, aggressiver Russ, guter, toller, fairer Westen" in die Tonne zu treten. Sie stimmt nämlich nicht ... wie der Blick auf 800 US-Militärbasen rund um den Globus zeigt.

Kersti Wolnow am 27.03.25, 07:12 Uhr

Ich warte immer noch auf eine Aufarbeitung der Verbrechen in den 90er Jahren, ich meine den Diebstahl einiger weniger am sowjetischen Volkseigentum, die als Muttersprachler aus dem Ausland wieder einreisten. Damals lief ein unvorstellbarer Betrug durch organisierte Banden an Rentnern und anderen, die Unwissenden (oft Alkoholiker) die Wohnungen abkauften und sie obdachlos machten. Jetzt melden sich diese Diebe und Betrüger als Oligarchen zu Wort und wollen in der Politik mitmischen? Ich dachte, mit Chodorkowski hätte sich das Problem erledigt. Niemals dürfen diese Kreise in die Politik!!! Wir sehen es in den USA, wo sie überproportional zu ihrer Zahl in Regierungsämtern sitzen.

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