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Was einst in Greifswald geschah – Wer war es: Sperber, Habicht, Falke oder gar der Waldkauz?
Der Vogel des Jahres 2026 heißt Rebhuhn und das dürften all jene, die diese Art etwas näher kennen – Bauern, Jäger, Naturfreunde und allgemein Leute vom Lande – gern vernommen haben. Es steht nämlich schlecht um den Bestand der so lebhaften wie anmutigen Feldhühner, deren kurze, kehlige Hahnenrufe an Vorfrühlingsabenden von den Äckern her zu hören sind.
Auch in pommerschen Dörfern war das einst so, wie in Heimatbriefen nachzulesen ist. Seit einigen Jahrzehnten hat sich die Zahl der Brutpaare vor allem in Ostdeutschland aber besorgniserregend verringert. So werden Zählungen zufolge in der Umgebung der vorpommerschen Städte Stralsund, Greifswald und Anklam, obwohl ländlich geprägt, kaum noch Rebhühner registriert.
Nach einer Erhebung des Deutschen Jagdschutzverbandes von 2023 hat sich der Gesamtbestand gegenüber 2019 zwar leicht erholt, er blieb aber auf niedrigem Niveau. Ökologen sehen in der Landwirtschaft mit Monokultur auf Großfeldern, viel Agrochemie und Bearbeitungsmethoden, die Hauptgründe für die Misere, die Rebhühnern und einer Reihe weiterer Arten nicht behagt. Die Zeiten wilder Acker- und Wegraine und Hecken gehören eben der Vergangenheit an. Auch hat die Zahl der Fressfeinde deutlich zugenommen.
Einst kräftig bejagt
Die Jagd, die vor 120 Jahren allherbstlich im Kaiserreich Jahresstrecken von hunderttausend Stück ergab, spielt nur noch eine unwesentliche Rolle. Grünröcke üben weitestgehend Verzicht. Eine Bestandszunahme bewirkte das aber nicht. Es wird dem eigentlich robusten Rebhuhn mit Sicherheit gut tun, als Vogel des Jahres mit einem Achtungszeichen in der öffentlichen Wahrnehmung vermerkt zu sein. Ob sich etwas zu seinen Gunsten ändert, wird man sehen.
Rebhühner waren früher im Offenland zwar so gut wie überall zu Hause, doch führten harte Winter wie der von 1978/79 oder auch der zuvor von 1890/91 zu heftigen Bestandszäsuren. Letzterer zum Beispiel nahm schon Mitte Dezember mit strengem Frost, Schnee, Eisregen, Sturm und wieder Frost Besitz vom Pommernland. In der Hansestadt Greifswald entspann sich unterdessen eine wirklich dramatische Rebhuhngeschichte.
Die Menschen hatten manche Mühe aufzubieten, ihre Wohnungen warm zu halten, als zum Erstaunen der Städter aus dem Umland Scharen von Rebhühnern die Straßen bevölkerten und nach Futter, vermutlich Pferdeäpfeln, suchten. Auch hielten sie wohl nach nächtlichen Unterkommen vor der Witterung Ausschau. Es soll ein herzerweichender Anblick gewesen sein, die darbenden Tiere in der verschneiten Stadt herumtrippeln zu sehen. Naturliebende Greifswalder halfen dann auch, lockten die Vögel, wo es sich anbot, in Schuppen und fütterten sie, um sie später gekräftigt in Freiheit zu entlassen.
Rebhühner in der Stadt
Mitten in dieser Wintersnot machte plötzlich die Nachricht vom Fund Dutzender toter Rebhühner im Turm der mittelalterlichen Marienkirche die Runde. Den Hühnern fehlten die Köpfe, auch war das Brustfleisch abgefressen worden. Wer hatte das Schlachtfeld, das sich hauptsächlich in den Fenstergesimsen darbot, zu verantworten? Und überhaupt, wie waren die vielen Vögel in den 64 Meter hohen Kirchturm gelangt? Rebhühner sind überaus flink zu Fuß, fliegen aber ungern und wenn, dann nur flach über der Erde hinweg. Welch ein Rätsel.
Der seit 1889 in der Stadt wohnende bekannte Ornithologe Alexander von Homeyer (1834–1903), Neffe des Begründers der Vogelkunde in Pommern, Eugen Ferdinand von Homeyer (1809–1889), nahm sich mit einigen Mitstreitern des Themas an. Und so geriet alsbald ein kräftiges Sperberweibchen in den Verdacht der Täterschaft. Eine ungewöhnliche Verhaltensweise, die man einem Sperber, der sonst lieber Spatzen nachstellt, kaum zutraut. Aber der Greifvogel war immer mal wieder mit größerer Beute Richtung Kirchturm fliegend gesehen worden.
Homeyer berichtete über die Angelegenheit in der pommerschen Zeitschrift für Ornithologie und praktische Geflügelzucht. Auch nahmen andere Blätter das seltene Phänomen auf, woraus sich ein ornithologischer Disput entwickelte. Kam wirklich ein Sperberweibchen in Betracht, oder verbargen sich hinter den Taten Habicht und Wanderfalke? Der königliche Förster Schmidt aus Zinnowitz auf der Insel Usedom, als vorzüglicher Beobachter bekannt, verneinte beides und verwies auf einen Waldkauz als Urheber. Es liege in dessen Natur, geschlagene Beute zu sammeln.
Sperber, Habicht und Falke würden das nie tun, schrieb Schmidt an Homeyer. Der bedankte sich bei dem Forstmann für dessen These, forschte aber weiter, mit dem Resultat des baldigen Freispruchs für den wackeren Waldkauz. Es geriet nämlich erneut der Sperber ins Blickfeld. Nur fehlte ein sicherer Beweis. Der sollte aber folgen.
Irrenhausinspektor Kählert, einer der Greifswalder Vogelkundler, setzte sich in dem frostklammen Turmgemäuer mit einer Flinte auf die Lauer und schoss alsbald auf einen anfliegenden, Rebhuhn tragenden Greifvogel. Ornithologen waren damals nicht eben zimperlich, wenn es um Belege ging.
Rüde Methoden
Kählert, ein artensicherer Mann, hatte so aus der Nähe in dem Greifvogel sofort einen Sperber, und zwar ein Weibchen, erkannt. Er trudelte nach dem Flintenknall abwärts, fing sich aber, entschwand Richtung Nordstadt und wurde nie wieder gesehen. Glückte ein hundertprozentiger Beweis seiner Täterschaft damit? Wohl nicht ganz, doch wurden, wie Alexander von Homeyer schrieb, nie wieder tote Rebhühner im Turm von St. Marien gefunden, womit der Fall als aufgeklärt gelten konnte.
Die Begebenheit lieferte wochenlang Gesprächsstoff in der Stadt. Aber sie wäre mit Sicherheit in Vergessenheit geraten, hätte sie Alexander von Homeyer nicht zu Papier gebracht.