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Er hat für sich das Riesengebirge erschlossen: Mateusz J. Hartwich
Foto: Chris W. WagnerEr hat für sich das Riesengebirge erschlossen: Mateusz J. Hartwich

Östlich von Oder und Neiße

Rübezahl muss nicht mehr ein „Urpole“ sein

Ein polnischer Autor erklärt, warum Polen das Riesengebirge anders sehen als Tschechen

Chris W. Wagner
09.08.2021

Wer die Schneekoppe [Śnieżka] von der schlesischen Seite besteigen möchte, wird schnell feststellen, dass sehr viele Erholungssuchende den gleichen Plan haben und von einer einsamen Wanderung keine Rede sein kann. Am Anfang der Wanderung, in der Höhe der berühmten Stabholzkirche Wang in Krummhübel [Karpacz] muss man für das Betreten des Riesengebirgs-Nationalparks Eintritt bezahlen. Und auch wenn ein Großteil der Wanderer immer noch Deutsche sind, so finden diese keine einzige Information in ihrer Sprache. Schnell kommt man dabei zu der Unterstellung, der Polonisierungsprozess des Riesengebirges, der 1945 begonnen hatte, hält weiter an.

Dem Thema der Polonisierung der Kulturlandschaft Riesengebirge hat sich Mateusz J. Hartwich gewidmet. Der in Berlin lebende Breslauer hatte den Tourismus im schlesischen Riesengebirge und wie sich dieser auf die Identitätsbildung auswirkt, unter die Lupe genommen. Als Kind sei er einige Male im Riesengebirge gewesen, sagt er, aber er habe keine großen Erinnerungen daran. Der promovierte Kulturwissenschaftler stellte fest, dass die Polonisierung des Riesengebirges nicht nur mit der Neubesiedlung nach 1945 zusammenhing, sondern auch mit einem Neuanfang im Tourismus, dieser aber dennoch auch Kontinuitäten aufwies.

Das Riesengebirge war schon im 19. Jahrhundert touristisch bestens erschlossen, und so fanden die Neusiedler eine gute Infrastruktur vor. „Es gab bereits viele Erzählungen, auch national aufgeladene, auf die man sich beziehen konnte. Diese Geschichten konnte man entweder verschweigen oder in polnische Erzählungen umändern. Man konnte also sowohl physische Veränderungen durchführen, indem man ein Haus anders aussehen ließ, oder kulturell verändern durch neue Namen, neuen Erzählungen“, so der 42-jährige Wissenschaftler und Autor, der gerne das Beispiel der Polonisierung Rübezahls bringt. Der Berggeist war im schlesischen wie im böhmischen Riesengebirge allgegenwärtig und – wie Hartwich zu berichten weiß – in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits national beladen. Es habe damals schon Dispute zwischen Deutschen und Tschechen gegeben, ob er denn ein Deutscher oder Slawe sei. „Als dann 1945 die Polen ins Riesengebirge kamen, war diese Gestalt allgegenwärtig: ob in Erzählungen oder in Inschriften, auf Tafeln, Wegweisern und Plakaten, und er war auch touristisch vermarktet“, so Hartwich.

Józef Sykulski, ein polnischer Lehrer, der bereits im Sommer 1945 ins Riesengebirge kam, ließ seine Schüler alles sammeln, was sie in den Häusern von Rübezahl finden konnten. Aus den deutschen Erzählungen machte er eine polnische Variante und, so Hartwich: „Er machte aus Rübezahl einen Polen, der schon immer im Riesengebirge da war und praktisch nur noch auf die Rückkehr der Polen gewartet hat“. Bereits im November 1945 ist daraus das erste polnischsprachige Buch geworden, das im polnisch verwalteten Teil Ostdeutschlasnds gedruckt wurde. Doch Rübezahl hatte es schwer, sich in Polen durchzusetzen. Erst 2011 entstand in Krummhübel ein Rübezahlmuseum, das allerdings offiziell „Geheimnisse des Riesengebirges“ (Karkonoskie Tajemnice) heißt.

Während das Riesengebirge auf böhmischer Seite in der Zwischenkriegszeit von tschechischen Touristen gerne besucht wurde – die Schneekoppe war ja immerhin Böhmens höchster Berg – gab es auf schlesischer bis 1945 kaum polnische Wanderer. Auf der nördlichen, polnisch verwalteten Seite pflügte die Neubesiedlung die nationale Struktur fundamental um, aber auf tschechischer Seite wurden nach der Vertreibung der Sudetendeutschen in den dortigen Grenzortschaften zunächst nur wenige Tschechen angesiedelt – ganze Dörfer verschwanden komplett. Immerhin durften bereits in den 60er Jahren Touristen von jenseits des Eisernen Vorhangs einreisen. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass die Engländer das Riesengebirge beispielsweise vorrangig mit Tschechien assoziieren. Diese Erfahrung macht Hartwich, wenn er dort über Tourismus referiert.

Für ihn ist der Polonisierungsprozess der Kulturlandschaft des Riesengebirges noch nicht abgeschlossen, aber heute verlaufe er anders. Nach der spontanen Phase der topografischen Neubenennung durch die Neusiedler von 1945 gab es eine Phase, in der es unter Bezugnahme auf geschichtliche Anknüpfungspunkte zu vielen erneuten Umbenennungen kam.

Hingegen wurden Grenzsteine ganz pragmatisch verändert. „Aus dem D für Deutschland wurde ein P gemacht“, so Hartwich, man habe einfach den D-Strich nach unten verlängert. Die Umänderung deutscher Inschriften blieb ein Kampf gegen Windmühlen, da immer wieder Deutsches unter dem bröckelnden Putz hervorbrach. „In den 70er und 80er Jahren kam es vereinzelt auch zur anerkennenden Erforschung beispielsweise des deutschen Riesengebirgsvereins. Man tat nicht mehr so, als ob es zwischen dem piastischen Polen des Mittelalters und 1945 nur ein schwarzes Loch gegeben habe. Heute nehme ich wahr, dass immer offener mit dem Erbe umgegangen wird, auch mit den deutschen Ortsnamen“, freut sich der Kulturwissenschaftler.

• Dr. Mateusz J. Hartwich ist Autor des Buches „Das schlesische Riesengebirge. Polonisierung einer Landschaft nach 1945“.


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