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Schweidnitzer Keller als moderne Bar

Im Breslauer Rathaus wird wieder Bier gebraut – Gaststätte verankt ihren Namen einem mittelalterlichen Privileg

Friedrich Nolopp
03.11.2022

Seit dem 2. Juli ist der Schweidnitzer Keller in Breslau nach mehrjähriger Pause wieder geöffnet. Auf der Speisekarte stehen traditionelle Fleischgerichte, aber auch Vegetarier finden etwas für sich. Es gibt zwei wichtige Neuerungen: In das Kellergewölbe wurde eine eigene, kleine Brauanlage eingebaut. Seit dem Spätsommer wird dort unter anderem selbstgebrautes Bier ausgeschenkt. Die zweite Neuerung ist das Design der Gaststätte am Breslauer Ring, die alten Täfelungen und Holzstühle sind verschwunden, jetzt bestimmen Plastikstühle, Barhocker und moderne Tische die Szene. Das Restaurant sieht nun weniger wie ein bürgerlicher Ratskeller, sondern eher wie eine moderne Bar aus.

Ob Gerhart Hauptmann sich heute in diesem neuen Schweidnitzer Keller wohlfühlen würde? Dem großen schlesischen Schriftsteller war die Gaststätte am Breslauer Ring gut vertraut. Seine Beobachtungen fließen beispielsweise in seinen Roman „Wanda“ mit ein: „Der Schweidnitzer Keller ist schließlich ein Volkslokal. Der Briefträger kann neben den Oberlehrer, der Eckensteher neben den Stadtrat oder Stadtverordneten zu sitzen kommen. Dieser Gedanke, verbunden mit der Wirkung des Bieres, tilgte allmählich die Zurückhaltung, die man anfangs gegen Maskos beobachtete.“ Ob dem Wein-Liebhaber Hauptmann die Stimmung in dieser Bier-Schenke wirklich gefallen hat? Jedenfalls war er dort oft zu Gast und hat den Zechern aufs Maul und in die Krüge geschaut.

Gerhard Hauptmann war Gast

Wenn Gerhart Hauptmann heute die Treppe zum Keller hinabsteigen würde, dann würde ihm im Eingangsbereich die neue Metallplakete auffallen, auf der an die 700-jährige Geschichte der Gaststätte und die vielen prominenten Besucher erinnert wird. Doch unten müsste er feststellen, dass der alte Keller, so wie er ihn kannte, restlos verschwunden ist. All die Wandgemälde, die Holztische- und stühle, die Kannen und Krüge, die Ausschmückungen der Buchten – alles ist weg. Dies ist für den heutigen Betrachter auch nicht weiter verwunderlich, denn die Gaststätte wurde nach Kriegsende mehrfach stark umgestaltet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Schweidnitzer Keller (Piwnica Świdnicka) erst in den 1960er Jahren wieder eröffnet und bis 2017 betrieben. Aber auch in den ersten Jahrzehnten unter polnischer Verwaltung versuchte man, mit viel Holz und farbigen Ausschmückungen einen bürgerlichen Ratskeller zu gestalten. Zwar waren die deutschen Bilder und Namen verschwunden, aber anschließend wurde eine phantasievolle polnische Dekoration geschaffen. Wer beispielsweise 1995 oder 2002 dort war, konnte an einem Holztisch ein Glas Pilsener bekommen – und erlebte weiterhin diesen Keller als gutbürgerliche, rustikale Schenke.

Der neue Betreiber will ganz andere Wege gehen; keine historisierenden Bilder, weder deutsche noch polnische. Keine Holzbänke und kein bürgerliches Flair, sondern moderne Lampen und schickes Design. Immerhin sind die roten Backsteinwände geblieben. In den Keller-Räumen finden rund 360 Gäste Platz. Für eine solche Zahl sind auch Sitzplätze im Außenbereich vorgesehen. Zum Vergleich: 1919 bot die Gaststätte im Keller bis zu 700 Personen Platz. Durch den Einbau der Brauanlage hat sich die Fläche deutlich verringert. Zu den Neuerungen gehören sogenannte Bier-Walls oder Bier-Wände; an diesen Selbstbedienungstheken kann sich jeder sein Bier selber zapfen.

In Werbebroschüren kann man gelegentlich den Hinweis lesen, dass der Schweidnitzer Keller unter dem historischen Rathaus das einzige Gasthaus in Breslau sei, das jahrhundertelang seine ursprüngliche Innenausstattung bewahrt habe. Dies ist unzutreffend. Schon das Interieur, an dem die Grenadiere des Alten Fritzen 1750 ihr Bier tranken, war 150 Jahre später, als Gerhart Hauptmann erschien, verschwunden. Entsprechendes gilt für das Mobilar aus dem Mittelalter oder aus dem Dreißigjährigen Krieg. Jener Schweidnitzer Keller, der sich in den Jahren 1880 bis 1945 so großer Beliebtheit erfreute, ist ein Kind seiner Zeit, eine historisierende Ausschmückung. Diese Entwicklungen wurden in den Büchern von Thomas Maruck „Der Schweidnitzer Keller im Breslauer Rathaus“ (2009) und Rudolf Stein „Der Schweidnitzer Keller im Rathaus zu Breslau“ (1982) zutreffend beschrieben.

Mehrere Umgestaltungen

Man muss bei der Bewertung des aktuellen Schweidnitzer Kellers fairerweise beachten, dass eine Gaststätte kein Museum, sondern ein Wirtschaftsbetrieb ist; der Gastwirt muss sehen, dass er den Geschmack seiner Kunden trifft. Und solche Umgestaltungen sind auch in westdeutschen Hansestädten nichts ungewöhnliches. So mancher ehrwürdiger Ratskeller wurde von dem aktuellen Pächter entrümpelt und neu gestaltet.

Den Namen verdankt die Gaststätte einem mittelalterlichen Privileg. Denn am 28. September 1273 verlieh Herzog Heinrich IV. von Schlesien der Stadt Breslau das Recht zum alleinigen Ausschank von Wein und auswärtigem Bier. Für diesen Ausschank richtete die Stadt im Keller des um 1275 erbauten Breslauer Rathauses Räume ein. Besonders begehrt und beliebt war seit ab 1300 in Schlesien das Schweidnitzer Bier. Dieses wurde denn auch im Breslauer Rathauskeller ausgeschenkt. Dadurch erhielt die Gaststätte den bis heute gebräuchlichen Namen.

Folglich steht im kommenden Jahr ein besonderes Jubiläum an: Der 750. Jahrestag der Verleihung dieses Privilegs. Diesen 750. Geburtstag will man auch in der Gaststätte im Sommer 2023 groß feiern. Am Festprogramm wird aktuell noch gearbeitet.


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