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Die politische Begriffsdefinition und die Bewertung von Links und Rechts haben sich radikal verändert. So weit, dass sich selbst unbestreitbar Rechte nicht mehr trauen, sich als solche zu bezeichnen
Vor Kurzen hat Alice Weidel in einem Interview mit dem Magazin „CATO“ einen bemerkenswerten Satz gesagt, der zugespitzt auf dem Titelblatt landete: „Das AfD-Programm ist nicht rechts.“ Eine interessante Behauptung der Vorsitzenden der Partei, die nach allgemeiner Ansicht rechts steht. Tatsächlich führte Weidel im Interview die Sache etwas differenzierter aus: Das Programm sei kein rechtes Programm, sondern „ein absolut freiheitliches Programm und vernünftig für die Bundesrepublik Deutschland“. Sie könne daran gar nichts Rechtes erkennen, ihre Partei werde nur „rechts geframt“.
In kaum einem anderen Land der Welt ist das Wort „rechts“ so negativ belegt wie in Deutschland. Die CDU/CSU hat sich schon lange davon distanziert und will „die Mitte“ repräsentieren. Unsere europäischen Nachbarn verfügen über demokratische Parteien, die sich selbstverständlich als „droite“, „right“, „destra“ oder „derecha“ verstehen. Nur mit verschärfenden Zusätzen („l'extrême droite“, „far-right“, „estrema destra“ oder „ultra-derecha“) gilt das Wort als anrüchig und wird in diffamierender Absicht eingesetzt.
In Deutschland dagegen umgibt schon den einfachen Standort „rechts“ intensiver Schwefelgeruch. Vermeintlich hat dies historische Gründe: die Verbrechen des Nationalsozialismus. Dieser wird simplifizierend als eindeutig „rechts“ etikettiert. Zwar meinte Sebastian Haffner noch 1978 in seinen „Anmerkungen zu Hitler“, dass der Nationalsozialismus ebenso linke wie rechte Elemente amalgamiert und verbunden habe, doch der Linken ist es taktisch geschickt gelungen, „rechts“ mit „rechtsextrem“ und „Nazi“ quasi gleichzusetzen. In den 2000er Jahren wurde dann sogar regierungsamtlich zum „Kampf gegen rechts“ aufgerufen. Rechtssein gilt als schlecht, als moralisch verwerflich.
„Links“ stand stets für Unheil
Der Würzburger Historiker Peter Hoeres hat in einem Aufsatz in der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“) im vergangenen Jahr differenziert dargelegt, dass die Ursprünge des Feindbildes schon viel älter sind und schon aus den Tagen der französischen Revolution stammen. Bereits in dieser Zeit wurde „rechts“ zum Kampfbegriff und Schimpfwort.
Damit hat sich die normative oder moralische Aufladung des Begriffspaares rechts und links, wie sie jahrhundertelang üblich war, ins Gegenteil verkehrt. Die Etymologie ist klar. In zahlreichen Sprachen ist rechts mit richtig und gerecht identifiziert. „Das Rechte tun“, „rechtschaffen“ sein, „to be right“ ist sprachlich klar positiv verortet. Wer hingegen vom „rechten Weg abkommt“, begibt sich in Gefahr. Das Linke wird in zahlreichen Sprachen mit dem Schwachen, Schlechten gleichgesetzt. „Linkisch“ ist ungeschickt. Jemanden „linken“ meint betrügen, reinlegen. Ein komischer Typ ist ein „linker Vogel“. Mit dem linken Fuß aufzustehen, bringt Unglück. Auch im Französischen steht das Adjektiv „gauche“ für ungeschickt, linkisch, unbeholfen; im Englischen ist „what's left“ der traurige Rest, das italienische „sinistra“ steht für düster, dunkel, sinister.
Die Bevorzugung der rechten Seite ist auch in religiösen Kontexten eindeutig: Jesus Christus sitzt „zur Rechten Gottes“, beim letzten Abendmahl durfte sein Lieblingsjünger Johannes rechts vom ihm Platz nehmen. Im Buddhismus gibt es auf dem Weg ins Paradies eine Weggabelung, nur der rechte Weg führt ins Nirwana, zum Ziel der Gläubigen. In vielen Kulturen, weit über Europa hinaus, ist die rechte Seite die moralisch richtige, die heilige; die Linke führt zum Unheil.
Die rechte Hand ist kultur- und zivilisationsübergreifend die gute, die linke die schlechte Hand, wie der Anthropologe Robert Hertz in einem Essay „La prééminence de la main droite“ (Die Vorherrschaft der rechten Hand) in der „Revue Philosophique“ 1909 zeigte und auf eine religiöse Dualität rekurrierte. Das gilt sowohl in Europa als auch bei sogenannten primitiven Völkern, wie Hertz deutlich machte. Höchstwahrscheinlich entstammte die Höherwertung der Rechten aus dem Umstand, dass etwa neunzig Prozent der Menschen Rechtshänder sind, was vermutlich an Hirnstrukturen liegt. Hertz zufolge wurde das Rechte mit dem Sakralen, das Linke mit dem Profanen gleichgesetzt. Die Rechte ist die Schwurhand, sie bezeugt die Wahrheit.
Der historische Ursprung der heutigen Rechts-Links-Dichotomie in der Politik stammt aus dem Jahr der französischen Revolution, als in der Verfassunggebenden Nationalversammlung im Ballhaus die konservativen Kräfte, die meisten Aristokraten und der hohe Klerus, also all jene, die den Monarchen unterstützten sowie die Kirche und die traditionelle Religion vertraten, zur Rechten saßen, wogegen der Dritte Stand, einige Kleinadelige und die Jakobiner, die das Ancien Régime überwinden wollten, auf der Linken saß. Jene, welche die bestehende Ordnung erhalten wollten, saßen rechts. Jene, die mit der Revolution der Morgenröte zustrebten, saßen ganz links. Die zuvor übliche Oben/Unten-Dichotomie in Sitz- und Rangordnungen wurde in der Pariser Nationalversammlung durch eine Rechts/Links-Dichotomie abgelöst.
Die Geburt der „Gesäßgeographie“
Auch in anderen Parlamenten hat sich diese Sitzordnung bald durchgesetzt. Das Rechts-Links-Schema wurde deshalb oft auch als „politische Gesäßgeographie“ bespöttelt. Natürlich hat sich seit den Tagen der ersten Assemblée Nationale von 1789 vieles verändert. Längst nicht mehr sitzen auf der Rechten nur oder vornehmlich Anhänger von Monarchie und Feudalismus.
Aber das Grundprinzip dieser Ordnung, dass die eher konservativen Kräfte rechts und die Progressiven links stehen, findet sich fast überall. Auf der Rechten jene, welche die Traditionen verteidigen, links die Opposition zur bestehenden Ordnung, zur Autorität und Tradition. In den 1820er Jahren nach der Restauration sortierte sich das französische politische Spektrum entlang dieser Linien. Auch im Frankfurter Paulskirchenparlament von 1848 saßen die Konservativen und Nationalliberalen rechts, die radikalen Demokraten, Linksliberalen und Sozialisten, die nicht nur eine Verfassung, sondern eine ganz andere, egalitäre Gesellschaftsordnung wünschten, ganz links.
Illusion vom Ende der Geschichte
Diese politische Sitzordnung wurde im 20. Jahrhundert ein universelles Phänomen. Historiker und Politikwissenschaftler haben seitdem viele Bücher, Aufsätze und Abhandlungen über die Rechts-Links-Dichotomie geschrieben. In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder auch Stimmen, die sie für überholt erklärten. Es wurden neue Begriffspaare vorgeschlagen. Etwa autoritär/anti-autoritär, individualistisch/kollektivistisch, liberal/illiberal, marktwirtschaftlich/sozialistisch oder national/internationalistisch. Die alte Einteilung in bewahrende und fortschrittliche Kräfte passe nicht mehr, sei obsolet geworden. Fortschritt wohin? Nach 1989, als die vermeintlich fortschrittlichen sozialistischen Kräfte vor den Ruinen ihrer Weltanschauung standen, erschienen sie für einen kurzen Moment nicht morgenrot, sondern totenblass. Der Politologe Francis Fukuyama hielt „das Ende der Geschichte“ für gekommen. Ein neuer Konsens in der liberalen Demokratie hebe die einstige Dichotomie endgültig auf.
Der italienische Politikwissenschaftler Norberto Bobbio hat in dieser Situation, als auch in seiner Heimat die Linke stark in der Defensive war, in einem einflussreichen Buch 1994 die Unterscheidung von Links und Rechts verteidigt, aber eine neue Grundlage der Unterscheidung formuliert. Nach Bobbio ist das zentrale Unterscheidungskriterium die Einstellung zur Gleichheit. Die Linke definierte er als prinzipiell egalitär. Sie wolle die Gleichheit aller Menschen verwirklichen, beziehungsweise Ungleichheiten auf Basis von Klasse, Rasse, Nationen und Geschlecht beseitigen.
Historisch war es so: Die Linke wollte Grenzen aufheben, Rang- und Statusunterschiede einebnen, die Vergangenheit überwinden, einer egalitären Utopie zustreben. Ernst Nolte schrieb über eine „ewige Linke“, die sich erstmals in dem Aufstand von Sklavenarbeitern an den ägyptischen Pyramiden manifestierte. Die Linke als ewige Empörungsbewegung gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit – so hätte es Bobbio gefallen, der selbst überzeugter Linker war.
Sein Buch behandelt die politische Linke entsprechend wohlwollend, obwohl deren Utopie 1989 kollabiert war. Die Rechte, so Bobbio, beharre auf Ungleichheit. Man könnte auch freundlicher formulieren, die Rechte sieht und akzeptiert, dass es in der Natur der Menschen Unterschiede gibt, dass die Menschen zwar gleichwertig, aber nicht alle gleich sind. Dass der Versuch, sie gleich zu machen und Unterschiede einzuebnen, zu einer freiheitsfeindlichen Gleichmacherei führt.
Freiheit oder Gleichheit?
Wer die Freiheit des Menschen bewahren will, wer eine freie Marktwirtschaft statt staatlicher Planwirtschaft befürwortet, wird unterschiedliche Ergebnisse akzeptieren müssen. Freiheit führt zu Ungleichheit. Die Gleichheit der Linken ist eine Utopie, die in letzter Konsequenz Freiheit vernichtet. Die von der radikalen, internationalistischen Linken geforderte Abschaffung der Nationen, die Überwindung aller Grenzen und grenzenlose Massenmigration als Menschenrecht führen nicht zu einer globalen harmonischen Gemeinschaft, sondern zu neuen Konflikten und dem Verlust von Sicherheit.
Der Würzburger Historiker Hoeres argumentierte in seinem „NZZ“-Aufsatz, dass die Linke mit beträchtlichem Aufwand die Rechte kriminalisiert habe. Da „die jahrhundertelange Einschreibung der Privilegierung der rechten Seite weiter spürbar blieb, in der Sprache, in der Vorrangschätzung der rechten Seite und Hand“, musste die Linke gegensteuern und „triumphierte hier mit der brutal durchgesetzten Umwertung der Werte und Begriffe“.
Die rechte Seite werde heute – zumindest in Deutschland – im politischen Diskurs „bis in amtliche und offiziöse Dokumente hinein mit kriminell, böse oder unmenschlich in eins gesetzt“. Dabei tue sich eine Kluft zur jahrhundertelangen Prägung des Menschen auf. „Wer bewusst das Verkehrte, Falsche, Queere, Linkische anbetet, stellt sich damit schon symbolisch gegen das Richtige und Rechte, setzt sich in Gegensatz zur universalen Orientierung des Menschen im Kosmos“, schreibt er. Dennoch feiert sich die Linke, sie stehe auf der richtigen Seite der Geschichte.
Das seltsame Deutschland
Die Hoheit über die Begriffe hat sie, obwohl ihre kulturelle Hegemonie wackelt, weiterhin, und nutzt sie, um das Rechte zu verteufeln. So sehr, dass sogar die Vorsitzende der einzigen rechten Bundestagspartei den Begriff lieber meidet. Alice Weidel meinte im eingangs erwähnten „CATO“-Interview, man bewege sich nicht primär im Spektrum zwischen links und rechts, sondern im Spektrum zwischen Staatsinterventionismus und Freiheit. Das habe man während der Corona-Zeit gesehen. Auch in der EU gebe es zu viel Staatsinterventionismus und Planwirtschaft. Auf Kosten der bürgerlichen Freiheit gehe die Tendenz in Richtung Sozialismus. Das mag man so sehen oder auch nicht. Es bleibt ein seltsamer Zustand, dass sich in Deutschland auf der Rechten kaum jemand selbstbewusst traut, seinen eigenen Standort begrifflich zu verteidigen.