11.07.2025

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Imponieren durch „ausgefallene Originalität“: Lovis Corinths Gemälde „Salome II“ frei nach dem Skandalstück von Oscar Wilde
Bild: Museum der bildenden Künste Leipzig/WikimediaImponieren durch „ausgefallene Originalität“: Lovis Corinths Gemälde „Salome II“ frei nach dem Skandalstück von Oscar Wilde

Kunst

Sinnenfrohes Malgenie

Ehrenbürger von Tapiau – Vor 100 Jahren starb der ostpreußische Künstler Lovis Corinth

Veit-Mario Thiede
11.07.2025

Der Ostpreuße Lovis Corinth war ehrgeizig: Dem Publikum und den Künstlerkollegen wollte er durch „ausgefallene Originalität“ imponieren. Da wird dann zum Beispiel im Gemälde „Salome II“ (1900, Museum der bildenden Künste Leipzig) frei nach dem Skandalstück des irischen Schriftstellers Oscar Wilde die aus der Bibel bekannte Tempeltänzerin zur barbusigen Femme fatale. Sie reißt dem ihr auf einem Tablett präsentierten Haupt Johannes des Täufers, der sie verschmäht hatte, mit spitzen Fingern ein Auge auf, damit er sie noch einmal „ansehen“ muss.

Und Corinth war fleißig: Er schuf mehr als tausend Gemälde, ebenso viele Druckgraphiken, Hunderte von Aquarellen und Tausende von Zeichnungen. Noch heute findet das Schaffen des am 17. Juli 1925 im niederländischen Zandvoort an den Folgen einer Lungenentzündung gestorbenen Künstlers große Beachtung, wie sowohl die kürzlich von Barbara Martin vorgelegte Biographie als auch drei Sonderausstellungen beweisen.

Der am 21. Juli 1858 in Tapiau [Gwardeisk] geborene Franz Heinrich Louis Corinth, der sich später den Vornamen „Lovis“ gibt, verbringt die ersten Lebensjahre auf dem elterlichen Bauernhof, dem eine Gerberei angeschlossen ist. Mit acht Jahren zieht er zu einer Tante nach Königsberg und besucht die älteste Schule Ostpreußens: das Kneiphöfische Gymnasium. Nach dem Tod von Corinths Mutter verkauft sein Vater die Besitzungen in Tapiau, zieht nach Königsberg und unterstützt die künstlerischen Ambitionen seines Sohnes. Der studiert ab 1876 an der Königsberger Kunstakademie, geht 1880 an die von München, nimmt 1884 Malunterricht in Antwerpen und Paris, bevor er sich 1891 in München niederlässt.

Die 1895 im Glaspalast ausgestellte „Kreuzabnahme“ (Wallraf-Richartz-Museum Köln) ist sein erster Verkaufserfolg. Seine 1900 eingereichte „Salome“ aber weist die Jury der Münchner Secession zurück. Sie findet jedoch Aufnahme in die Ausstellung der Berliner Secession und wird ein Publikumserfolg.

Daraufhin zieht Corinth 1901 nach Berlin um, wo ihm schnell der künstlerische Durchbruch gelingt. Biographin Martin schreibt: „Zeitlebens stolz auf seine einfache Herkunft aus der ostpreußischen Provinz, gibt Corinth die unverbildete Urnatur inmitten der großstädtischen Kunstszene.“

Die Heimat dankt es ihm: Tapiau ernennt ihn zum Ehrenbürger, die Königsberger Albertus-Universität verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. In Berlin pflegt er freundschaftliche Kontakte zu den Malern Max Liebermann und Walter Leistikow, wird Vorstandsmitglied und schließlich Vorsitzender der Berliner Secession. Der Laden läuft: Corinth erhält lukrative Porträtaufträge und eröffnet eine florierende Malschule, die überwiegend von Damen besucht wird.

Zu seinen ersten Schülerinnen gehört die aus gutem jüdischem Hause stammende Charlotte Berend (1880–1967). Auf einer sommerlichen Studienreise nach Horst an der Ostsee kommen sich die beiden näher. Davon kündet Corinths vor Ort gemaltes Bild „Mädchen mit Stier“ (1902, Hamburger Kunsthalle). Es zeigt eine befremdliche und dabei komische Szene: Eine fein herausgeputzte junge Dame – Charlotte – steht in freier Natur. Die eine Hand hat sie einem Bullen –Corinth – auf den gebeugten Nacken gelegt, die andere hält ein rosarotes Band, das durch den Nasenring des sich lammfromm gebenden Tieres geführt ist. Malerfreund Leistikow schlägt den Bildtitel „Die Zähmung des Widerspenstigen“ vor.

Corinth und die 22 Jahre jüngere Charlotte heiraten 1904. Die Gattin und die beiden gemeinsamen Kinder Thomas und Wilhelmine werden zu den bevorzugten Modellen des Künstlers. In dem schrillen Gemälde „Die Kindheit des Zeus“ (1905/06, Kunsthalle Bremen) sitzt Charlotte als Nymphe Amaltheia in der Bildmitte. Auf ihrem Schoß zappelt der ungebärdige nackte kleine Zeus, verkörpert von Thomas. Corinth tritt nur mit Weinlaub bekleidet als lärmender Musiker auf. Er und eine Nackte übertönen das Geschrei des Zeusknaben, damit der nicht von seinem Vater Chronos entdeckt und aufgefressen wird.

Biographin Martin hat an die 70 Gemälde gezählt, in denen Corinth seine Charlotte dargestellt hat. Sie ist als Ehefrau, Mutter, Modell und Malerin vielseitig beansprucht und regelte überdies die geschäftlichen Angelegenheiten ihres Mannes. Obendrein muntert sie den von Martin als „sinnenfrohen Genussmenschen“ charakterisierten Corinth auf, wenn ihn Mutlosigkeit und Depression ereilt. Er erleidet 1911 einen schweren Schlaganfall, von dem er sich mit Unterstützung seiner Frau wieder erholt. Seine Pinselführung ist nun ruppiger und skizzenhafter, was einige Kunsthistoriker veranlasst, bei ihm eine impressionistische von einer folgenden expressionistischen Phase zu unterscheiden. Andere urteilen, Corinth ist einfach Corinth und hat mit diesen „ismen“ nichts zu tun. Er selbst fühlte sich den alten niederländischen Meistern wie Rembrandt oder Frans Hals künstlerisch verwandt.

295 „entartete“ Werke
An jedem Geburtstag malte Corinth ein Selbstporträt. Das „Selbstbildnis mit Skelett“ (1896, Lenbachhaus München) irritiert, weil die von vielen Künstlern abgehandelte Konfrontation mit dem als Knochenmann personifizierten Tod von Corinth abgewandelt wird. Bei ihm ist das Skelett nichts anderes als ein am Haken hängendes Atelierrequisit. Im „Selbstporträt mit Rüstung“ (1914, Hamburger Kunsthalle) präsentiert sich der Maler als kraftvoller Ritter mit zackig an die Hüfte gelegter Rechter. Auf die Niederlage im Ersten Weltkrieg und den Untergang des Kaiserreichs reagiert er mit dem Gemälde „Rüstungsteile im Atelier“ (1918, Nationalgalerie Berlin). Sie liegen als Sinnbild des Zusammenbruchs auf dem Boden.

Während des Ersten Weltkriegs begann die Berliner Nationalgalerie, Gemälde Corinths zu sammeln. Die 1916 erworbene „Donna Gravida“ (1909) zeigt Corinths schwangere Gattin. Dieses Gemälde blieb im Gegensatz zu 295 anderen Werken des Künstlers 1937 von der Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ verschont.

Auch die Nationalgalerie war betroffen. Das zeigt ab 18. Juli die in der Alten Nationalgalerie präsentierte Sonderschau „Im Visier!“ (www.smb.museum). Sie bietet die mehr als 20 Gemälde Corinths und die vier von Charlotte Berend-Corinth gemalten Bilder auf, die sich heute in der Sammlung befinden. Neben reinen Nachkriegserwerbungen hängen drei 1937 beschlagnahmte, aber 1939 zurückerstattete Gemälde. Etwa „Das Trojanische Pferd“ (1924). Corinths Witwe schenkte das sich durch funkelnde Farbgebung auszeichnende Werk 1926 der Nationalgalerie. Nach der Beschlagnahmung war es auf der Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen. Zwei Jahre später gelang es der Nationalgalerie, das Bild unter dem Vorwand eines vorgesehenen Bildertauschs mit der noch als Eigentümer fungierenden Familie des Künstlers zurückzubekommen.

In seinen letzten Lebensjahren malte Corinth bevorzugt die Landschaft am bayerischen Walchensee und Blumenstillleben. Seine beschlagnahmten Gemälde „Rosa Rosen“ (1924) und „Walchensee mit Lärche“ (1921) befinden sich seit 1983 beziehungsweise 1960 wieder in der Sammlung. An sieben Corinths, die ehemals zur Berliner Kollektion gehörten, sich aber heute wie das ins Kunstmuseum Basel gelangte Gemälde „Ecce homo“ (1925) in anderen Museen befinden, erinnert die Sonderausstellung mit Bild-Reproduktionen.

Am 24. Oktober eröffnet das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg die Sonderschau „Lovis Corinth. Bilderrausch“ (www.kunstforum.net). Sie wartet mit zwölf erstmals präsentierten Skizzenbüchern des Künstlers auf. Zudem vermittelt sie durch die Gegenüberstellung von vorbereitenden Kompositionsstudien und ausgeführten Gemälden, wie Corinth zu seinen Bildlösungen gelangte.

Für den 9. Oktober nächsten Jahres plant die Berlinische Galerie die Eröffnung der Sonderausstellung „Lovis Corinth. Dann kam Berlin!“ (www.berlinischegalerie.de). Im Blickpunkt stehen seine steile Karriere in Berlin, das ihn prägende Umfeld, seine Malschule und die bisher wenig beachteten Kostüme und Bühnenbilder für Max Reinhardts Theaterproduktionen.


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