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Analyse

Sprengsatz für die EU-Finanzen

Nach dem Willen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll die Ukraine schnellstmöglich Mitglied der Europäischen Union werden. Eine interne EU-Studie zeigt nun, dass ein solcher Schritt den Staatenbund komplett überfordern würde

Robert Mühlbauer
12.10.2023

Seit mehr als anderthalb Jahren tobt der brutale Krieg in der Ukraine und ein Ende ist nicht abzusehen. In der EU werden indes schon weitreichende Pläne für die Zeit danach entwickelt. So will das Europaparlament das EU-Budget aufstocken und nochmal 17 Milliarden Euro mehr für die Ukraine geben. Inklusive schon zugesagter Kredite für 33 Milliarden Euro würde die Ukrainehilfe dann 50 Milliarden Euro umfassen.

Ende Februar 2022, kurz nach dem russischen Angriff, hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein offizielles EU-Beitrittsgesuch beim Europäischen Rat eingereicht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dazu im September: „Die Zukunft der Ukraine liegt in unserer Union.“ Auch Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) will die Ukraine möglichst bald in die EU aufnehmen.

Ein großer Fürsprecher ist auch EU-Ratspräsident Charles Michel. Er befürwortet den Beitritt der Ukraine bis zum Jahr 2030. „Die Ukraine kann 2030 zur EU gehören, wenn beide Seiten ihre Hausaufgaben machen“, sagte der Belgier vergangene Woche dem „Spiegel“. Mit einer zügigen Aufnahme des Landes würde die EU „beweisen, dass sie geopolitisch handlungsfähig ist“. Allerdings müssten die Ukraine und die anderen Beitrittskandidaten „Reformen umsetzen, Korruption bekämpfen und die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen“. Ob das realistisch ist, bezweifeln viele.

Fürsprecher und Gegner
Nur zwei Tage nach Michel meldete sich indes der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu Wort und warnte vor einem übereilten Beitritt der Ukraine. „Wer mit der Ukraine zu tun gehabt hat, der weiß, dass das ein Land ist, das auf allen Ebenen der Gesellschaft korrupt ist“, so Juncker zur „Augsburger Allgemeinen“. Trotz großer Anstrengungen sei das Land „nicht beitrittsfähig, es braucht massive interne Reformprozesse“. Die EU habe mit einigen neuen Mitgliedern schlechte Erfahrungen mit Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit gemacht. Das dürfe sich nicht wiederholen.

Der Elefant im Raum sind indes die finanziellen Fragen. Ein EU-Beitritt der Ukraine wäre für die bestehenden Mitglieder extrem teuer. Nach den bisherigen Regeln hätte das Land Anspruch auf 186 Milliarden Euro über sieben Jahre aus den Agrar-, Regional- und Kohäsionsfonds der EU, darunter fast 100 Milliarden Euro an Landwirtschaftssubventionen. Das ergab eine interne Berechnung der Brüsseler Kommission auf Grundlage der bisherigen Regeln der Budgetperiode 2021 bis 2027, über die die Londoner Zeitung „Financial Times“ („FT“) und „Politico“ vergangene Woche berichteten.

So hohe Zahlungen könnten zum Sprengsatz für das EU-Budget werden. In jedem Fall würde das Geld für andere knapper. Laut EU-Studie würden „viele“ bisherige Transferempfänger erstmals zu Nettozahlern im EU-System. Größter Empfänger bislang ist mit Abstand Polen, das netto fast zwölf Milliarden Euro an Transfers aus den verschiedenen EU-Töpfen erhält, gefolgt von Rumänien (5,6 Milliarden Euro), Ungarn (4,4 Milliarden Euro), Griechenland (3,9 Milliarden) und Portugal (2,9 Milliarden Euro).

Dass die Ukraine als EU-Mitglied größter Nettoempfänger würde, liegt einerseits an den großen Agrarflächen des Landes und andererseits daran, dass die Ukraine mit ihren 40 Millionen Einwohnern sehr arm ist.

Neben der Ukraine klopfen noch weitere Staaten an die Tür der EU. Würden alle sechs Länder des Westbalkans plus Moldawien und Georgien aufgenommen, könnten laut Kommissionsrechnung die Nettotransfers an sie mehr als 250 Milliarden Euro betragen. „Alle Mitgliedstaaten werden mehr zahlen müssen und werden weniger aus dem EU-Budget erhalten; viele Mitgliedstaaten, die gegenwärtig Nettoempfänger sind, werden Nettozahler werden“, zitierte die „FT“ aus dem Papier. Es würden „weitreichende“ Änderungen nötig, darunter deutlich höhere Zahlungen der heutigen großen Beitragszahler Deutschland, Frankreich und Niederlande.

Eine andere Frage ist, ob bei einer EU-Erweiterung nicht auch die internen Regeln der EU – etwa die Vetorechte für alle Mitglieder – geändert werden müssten. Das hieße eine Vertragsänderung, die viele Staats- und Regierungschefs wegen der dann nötigen Referenden scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will auch ohne das voranschreiten: „Wir können – und sollten –nicht auf eine Vertragsänderung warten, um die Erweiterung voranzutreiben.“


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