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„Poète maudit“: Baudelaire in einer Aufnahme von 1863
Foto: British Library„Poète maudit“: Baudelaire in einer Aufnahme von 1863

Literatur

Startschuss in die Moderne

Vor 200 Jahren wurde Charles Baudelaire geboren. Sein Einfluss auf deutsche Dichter war immens

Harald Tews
08.04.2021

Gut 100 Jahre, von der Aufklärung bis zur Romantik, waren deutsche Dichter tonangebend in der Welt. Klopstock, Goethe, Schiller, Hölderlin, Eichendorff, Heine waren mit ihrer Lyrik stilprägend – auch im Ausland. Danach hat sich die deutsche Dichtung vollkommen festgefahren durch eine epigonale Lyrik auf dem Niveau von Poesiealbumsprüchen. Es gab Ausnahmen wie Friedrich Rückert, aus dessen tausenden Gedichten einige hervorragen, oder Theodor Fontane mit seinen Balladen. Aber formal brachten sie nichts Neues hervor.

Es brauchte Impulse von außen, um die deutsche Dichtung wiederzubeleben. Und die kamen ab Mitte des 19. Jahrhunderts aus Frankreich. Das entscheidende Jahr war dabei 1857. Man kann von einem Geburtsjahr der literarischen Moderne sprechen, denn damals erschienen in Buchform sowohl Flauberts Roman „Madame Bovary“ als auch Charles Baudelaires Gedichtband „Die Blumen des Bösen“. Beide Werke hätten vielleicht wenig Aufsehen erregt, wären die Publikationen nicht von Gerichtsprozessen wegen Verstößen gegen die Sittlichkeit begleitet gewesen. Im Falle von „Die Blumen des Bösen“ musste Baudelaire eine Geldstrafe entrichten und sechs der über 100 Gedichte wegen Blasphemie aus den folgenden Ausgaben entfernen lassen.

Heutzutage ist der öffentliche Skandal um Baudelaires Gedichte kaum noch nachvollziehbar. In meist klassischen Alexandrinerversen – jambische Reime mit sechs Hebungen und Senkungen mit einer Zäsur in der Mitte – und vier Sonettstrophen hat Baudelaire das Großstadtleben mit seinen Bettlern, Prostituierten, Dieben und Alkoholleichen thematisiert. Aus diesem Spannungsfeld von klassischer Form und moderner Thematik begründete Baudelaire den Typus des „Poète maudit“, des verfemten Dichters.

Der am 9. April 1821 in Paris geborene Dichter stammte selbst aus der Oberschicht, deren „Décadence“ im zweiten Kaiserreich unter Napoléon III. er als mit einem ordentlichen Erbe ausgestatteter Dandy auf selbstzerstörerische Weise zelebrierte. Denn zugleich faszinierte den Wagner-Verehrer die Randexistenz der Gesellschaft, und so suchte er die Nähe zu Wein, Opium und Bordellen. 1867 starb er an den Folgen einer Syphilis-Erkrankung.

„Die Blumen des Bösen“ aber sollten zum Vorbild einer ganzen Dichtergeneration werden. Zunächst knüpften in Frankreich Arthur Rimbaud, Paul Verlaine und Stéphane Mallarmé an Baudelaires ästhetizistischen Weltschmerz an. Dann sprang der Funke nach Deutschland über. Der Dichter Stefan George hat mit seinen von ihm „Umdichtungen“ genannten „Blumen des Bösen“ die erste von inzwischen einem Dutzend Übersetzungen geschaffen, was innerhalb der deutschen Sprache wohl ein Rekord für einen Gedichtband darstellen dürfte. Nach George haben sich auch Georg Trakl und Georg Heym in der Tradition von Baudelaire gesehen, die dann in der Lyrik Rainer Maria Rilkes und Gottfried Benns gipfelte.

• Lektüretipps Stefan Georges „Umdichtungen“ von „Die Blumen des Bösen“ sind als Band 13/14 der „Sämtlichen Werke“ Georges bei Klett-Cotta erhältlich (188 Seiten, 28 Euro). Die aktuell jüngste Neuübersetzung stammt von Simon Werle und ist 2017 in einer zweisprachigen Ausgabe bei Rowohlt erschienen (528 Seiten, 38 Euro). Weitere Ausgaben bei Reclam, dtv und Diogenes.


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Kommentare

sitra achra am 09.04.21, 18:32 Uhr

Baudelaire hat nicht nur die "Fleurs du mal" verfasst, sondern als Flaneur durch Paris neue ästhetische Qualitäten entdeckt, die ihn zu einem Vorläufer der Moderne machten und ihm seine herausragende Stellung als Genie des 19.Jhs einbrachten. Er hat wesentlich die schönen Künste inspiriert, deren Entwicklung er aufmerksam verfolgte und gescheit rezensierte.
Auch die aufkommende Fotografie stand in seinem Fokus.
Seine Eindrücke geben die "Petis poèmes en prose" wieder (Le Spleen de Paris).

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