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Anders als die Staatslenker Frankreichs, Deutschlands und der USA ließ sich Premier Rishi Sunak bei der 80-Jahr-Feier des D-Day durch seinen Außenminister vertreten: David Cameron, Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Joe Biden am Omaha Beach (v.l.)
Foto: pa/abacaAnders als die Staatslenker Frankreichs, Deutschlands und der USA ließ sich Premier Rishi Sunak bei der 80-Jahr-Feier des D-Day durch seinen Außenminister vertreten: David Cameron, Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Joe Biden am Omaha Beach (v.l.)

Wahl in Großbritannien

Tories im freien Fall

Die britischen Konservativen stehen vor dem Abgrund – Labour triumphiert – Das Thema Brexit wird gemieden

Claudia Hansen
28.06.2024

In knapp einer Woche, bei der Parlamentswahl am 4. Juli, dürfte es zu einem Erdbeben kommen. Während Labour auf einen Erdrutschsieg zusteuert, droht der regierenden Konservativen Partei laut Umfragen eine derart extreme Niederlage, dass die Fraktion in Westminster nur noch ein Trümmerhaufen sein wird. Die Tories tappen von Skandal zu Skandal, ihre Umfragewerte sind teils unter 20 Prozent gesunken. Zuletzt hat ihnen die Affäre um heimliche Wetten auf den Wahltermin schwer geschadet. Personen aus dem Umfeld von Premier Rishi Sunak haben Glücksspieleinsätze auf den Termin 4. Juli platziert. Die staatliche Wettkommission und die Polizei ermitteln gegen mehrere Tory-Politiker und einen Wahlkampfleiter, ob Insider-Wettregeln verletzt wurden. Das Publikum wendet sich angewidert ab.

Für den Premierminister sieht es mittlerweile rabenschwarz aus. Nach weniger als zwei Jahren in der Downing Street droht dem 44 Jahre alten Ex-Finanzminister und Ex-Investmentbanker, der einst als politisches Wunderkind gefeiert wurde, eine demütigende Abwahl. Labour attackiert ihn gezielt als abgehobenen superreichen Multimillionär, der die Sorgen der einfachen Leute nicht verstehe. Sunak fehlt das Charisma, das seinen Vorvorgänger Boris Johnson 2019 inmitten der Brexit-Kämpfe zum Sieg führte. Die Tories wirken nach 14 Jahren an der Macht – mit fünf Premierministern sowie zahlreichen Skandalen und Kurswechseln – weitgehend zerstritten, erschöpft und verbraucht.

Rishi Sunaks größter Fehltritt während der Wahlkampagne
Nun könnten sie auf das schlechteste Ergebnis seit der Wahl von 1906 fallen, meinen Analysten. Seit Jahresanfang haben sie laut Umfragen nochmal ein Drittel ihrer Wähler verloren. Sunaks größter Fehltritt während der Wahlkampagne war, dass er Anfang Juni bei den Feierlichkeiten des „D-Day“ zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie vorzeitig abreiste. „Unpatriotisch“ nannte ihn daraufhin Nigel Farage, der Chef der rechtsgerichteten Reform-Partei.

Die frühere Brexit-Partei erlebt in den Umfragen einen erstaunlichen Höhenflug auf bis zu 16 Prozent und nimmt den Tories entscheidende Stimmen weg. Farage dürfte den Wahlkreis Clacton gewinnen. Ansonsten winken seiner Partei aber höchstens ein halbes Dutzend Sitze in Westminster. Farage ist ein Meister im Spiel mit den Medien, ein begnadeter Selbstdarsteller, der enorm viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er gewinnt enttäuschte Ex-Tory-Wähler von 2019, die einst für Johnson stimmten. Einige Beobachter in Westminster glauben, dass er nur noch das Ziel habe, die Konservative Partei vollständig zu vernichten, und irgendwie darauf hoffe, die Trümmerteile zu übernehmen.

„Mit Labour wird Großbritannien außerhalb der EU bleiben“
Der lachende Dritte der Spaltung des konservativ-rechten Lagers dürfte Keir Starmer sein, der etwas langweile Vorsitzende von Labour. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hat er als Menschenrechtsanwalt und oberster Staatsanwalt gearbeitet, bevor er in die Politik ging. Vor fünf Jahren wollte er noch dem linksextremen Labour-Chef Jeremy Corbyn in die Downing Street helfen, seitdem hat er die linksradikalen Seilschaften gekappt. Starmer verspricht, keine Steuern für die arbeitende Bevölkerung zu erhöhen. Labour wolle einen wachstumsfreundlichen Kurs anstreben. Doch er habe „keinen Zauberstab“, sagt er auch. Seine persönlichen Zustimmungswerte sind nicht gerade berauschend hoch: Nur ein Drittel der Wähler bevorzugt ihn als Premier, mehr als die Hälfte will weder Sunak noch Starmer.

Interessant ist, dass das Thema Brexit im Wahlkampf fast gar nicht vorkommt. Inzwischen sehen zwar laut Umfragen deutlich mehr als 50 Prozent der Briten den EU-Austritt als Fehler an, doch die großen Parteien machen einen großen Bogen um das Thema. Im Labour-Wahlprogramm taucht das Wort Brexit nur ein einziges Mal, auf Seite 117 auf. Dort heißt es: „Mit Labour wird Großbritannien außerhalb der EU bleiben. Aber um die vor uns liegenden Chancen zu ergreifen, müssen wir den Brexit zum Erfolg führen.“ Labour betont, dass sie weder in die EU-Zollunion noch in den EU-Binnenmarkt zurückwollten. EU-Freunde in Britannien, die vor allem Liberaldemokraten und Grüne wählen, dürften enttäuscht werden.

Auf der anderen Seite sind auch die Brexit-Anhänger tief enttäuscht. Die Tories konnte ihre Versprechen nicht halten. Sunak sagte jüngst, er verstehe, dass Wähler „frustriert und wütend“ seien. Die Einwanderungszahlen seien „zu hoch“, anders als beim Brexit-Votum versprochen. Seine Regierung hat Abschiebeflüge illegaler Immigranten nach Ruanda geplant, doch dazu wird es wohl nicht mehr kommen. Labour hat angekündigt, diesen Versuch abzubrechen.


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