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Das Weinlokal „Blutgericht“ war eine äußerst beliebte und weit über die Grenzen Ostpreußens hinaus bekannte Sehenswürdigkeit
Im „Führer durch Königsberg und Umgebung“ von Gräfe und Unzer aus den 1930er Jahren stößt man auf eine bescheidene Annonce des Wein- und Feinschmeckerlokals „Blutgericht“. Dabei brauchten die „historischen Weinstuben“ im Königsberger Schloss eigentlich keine Reklame, denn wie „Auerbachs Keller“ in Leipzig und der „Schweidnitzer Keller“ in Breslau war das „Blutgericht“ eine überregional bekannte Attraktion für Touristen und Einheimische. Vermutlich entstand die Lokalität im 14. Jahrhundert. Der Eingang im Schlossinnenhof befand sich im „Hochmeisterflügel“, dem westlichen Nordflügel des Schlosses, in einem niedrigen Vorbau unter der Holzgalerie. Der schaurige Name erinnerte an die mit diesem Ort verbundenen Schrecknisse der Vorzeit. Er wurde in Anspielung auf die mittelalterliche Blutgerichtsbarkeit der Landesherren von Preußen gewählt. Bei den Verhören wurde üblicherweise die Folter angewendet. Erst Friedrich der Große erließ 1740 ein Folterverbot.
In der Herzogenzeit (ab 1525) dienten viele der ehemaligen Ordensburgen als Gefängnisse und Gerichtsgebäude, so auch die Königsberger Burg. Während die Herzöge und später die Könige im Ost- und Südflügel in der zum Schloss umgebauten Königsberger Burg residierten, war im Nordflügel die Landesverwaltung untergebracht. Seit 1810 tagte das Oberlandesgericht im östlichen Teil des Nordflügels in einem Neubau auf den Fundamenten des alten Kornhauses. Bereits 1713 hatte der sparsame König Friedrich Wilhelm I. den weiteren Umbau der Ordensburg zu einem Renaissanceschloss gestoppt, und das Königsberger Schloss diente seither nicht mehr als zweite Residenz der preußischen Herrscher. Den Gewölbekeller nutzte ab 1738 ein Salzburger Exulant aus der Weinhändlerfamilie Schindelmeißer als Weinkeller in Kombination mit einem Weinlokal. Das Angebot an hervorragenden Importweinen aus Frankreich kam gut an bei den Königsberger Honoratioren, Kaufleuten und besser gestellten Handwerkern der Stadt. Die übrigen Gäste waren Studenten, Geschäftsleute, Künstler, Bürger mit einem besonderen Anlass und reisende Besucher.
Berühmt war das „Blutgericht“ für seinen Rotspon – der französische Wein wurde ursprünglich vom Fass gezapft und später in Flaschen abgefüllt – und das „Ochsenblut“: Champagner mit einem Schuss rotem Burgunder. Das übliche Angebot an Speisen waren Königsberger Klopse und Königsberger Fleck (zerkleinerte Rinderkutteln). Von der einmaligen Atmosphäre im „Blutgericht“ wird in etlichen Aufzeichnungen berichtet.
Berühmt für die Atmosphäre
Vom Eingang führte eine Treppe hinunter zur „Großen Halle“ mit dem imposanten Tonnengewölbe. Mit seinen fünf überdimensionalen Prunkfässern, den von der Decke herabhängenden Schiffsmodellen und schmiedeeisernen Kronleuchtern galt der zentrale Raum des Kellerlokals als einzigartige Sehenswürdigkeit. Auf den reich mit Schnitzwerk verzierten Böden der Prunkfässer waren Stadtansichten und Wappen dargestellt. Über dem größten Fass thronte ein angeheiterter Bacchus, der zechende Gott der Reben. Ein Gast, der versehentlich oder ahnungslos prüfend an den Boden eines Weinfasses klopfte, musste gemäß einer alten Sitte eine Runde Rotspon ausgeben.
Die Kellner waren mit ihren blauen Kitteln und Lederschürzen wie Küfer gekleidet. Das rustikale Mobiliar mit den sauber gescheuerten Tischen erinnerte an den Stil vergangener Jahrhunderte, wie auch die Namen der verschachtelten Räumlichkeiten an die einstige Nutzung gemahnten: Marterkammer, Peinkammer, Diebesgefängnis, Pfefferstub, Große Glocke, Spanische Nadel.
Etliche Anekdoten über das „Blutgericht“ und seine Gäste hat Walther Franz in seinem 1976 erschienenen Buch „Von Grafen, Pastoren und Marjellchen“ veröffentlicht. Einen einschlägigen Beitrag mit eigenen Erlebnisberichten lieferte der Historiker und Journalist Wilhelm Matull mit seinem 1970 veröffentlichten Bändchen „Das Königsberger Blutgericht“.
Berühmte Gäste
Am Konventstisch versammelten sich die Alten Herren der Studentenverbindungen „Gothia“, „Masovia“, „Teutonia“ und „Borussia“. Zu vorgerückter Stunde sangen sie mehrstimmig das „Stiefellied“ der Königsberger Studenten, das mit dem Vers begann: „Stiefel, musst sterben, bist noch so jung.“ Gemeint war der bekannte Jenaer Theologe und Mathematiker Michael Stifel (um 1487–1567), der zweimal den Weltuntergang vorausberechnet hatte. Im Gang, der zur Haupthalle führte, stand der „Blutrichtertisch“ für die Stammgäste, die als „Blutrichter“ über den roten Rebensaft zu richten hatten. Die Plätze am „Stammtisch der ordentlichen Männer“ waren den Mäzenen und Ehrengästen der Stadt vorbehalten. Unter den Besuchern waren gelegentlich auch Damen. Da sie dem Rebensaft meist in geringerem Umfang zusprachen als die Herren, fröstelten sie jedoch in der Kühle des Gewölbekellers.
In den Gästebüchern der jeweiligen Wirte standen neben den illustren Namen von Künstlern und Dichtern auch originelle Trink- und Sinnsprüche. Der Schriftsteller E.T.A. Hoffmann und der Dramatiker Heinrich von Kleist leerten so manchen Schoppen in diesem tiefen Keller. Auch der 23-jährige Richard Wagner war hier zu Gast, als er am Königsberger Theater engagiert war. Der bekannte ostpreußische Maler Lovis Corinth verewigte sich im Gästebuch ebenso wie Felix Dahn, der Autor des Bestsellers „Kampf um Rom“. Thomas Mann stellte sich ebenfalls ein, nachdem er 1930 in Nidden auf der Kurischen Nehrung sein Ferienhaus gebaut hatte.
Heute ist die Stelle, an der bis zu den verheerenden Luftangriffen auf Königsberg im August 1944 das Königsberger Schloss stand, noch immer ein brachliegender Ort mitten in der Stadt. Die ausgegrabenen Reste der Grundmauern des Schlosses sind teilweise wieder von Gras überwachsen. Vor einigen Jahren entstand der aufsehenerregende Plan, das Schloss historisierend nachzubauen. Dazu wurde ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Der neue Gouverneur des Königsberger Gebiets, Anton Alichanow, hat dieses Vorhaben jedoch auf Eis gelegt.