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Über die bisherigen Friedensbemühungen des US-Präsidenten im Ukrainekrieg, die Verhandlungsbereitschaft der einzelnen Akteure und Ansätze, die weit geeigneter sind, eine Einigung herbeizuführen als die Fortsetzung unnützer Wirtschaftssanktionen
Seit Beginn des Ukrainekrieges führt die PAZ in unregelmäßigen Abständen Gespräche mit dem früheren Generalinspekteur der Bundeswehr über den Fortgang der Ereignisse. Wo steht der Krieg im Sommer 2025 – vor einem baldigen Ende oder einer Ausweitung? Festlegen mag sich auch der Experte nicht. Immerhin ist er sicher, dass die Lage zwar ernst, aber auch nicht aussichtslos ist.
Herr Kujat, seit unserem letzten Gespräch ist in Sachen Ukrainekrieg einiges geschehen. Es gab diverse Friedensbemühungen der US-Amerikaner, die bislang erfolglos blieben. Stattdessen gab es in den letzten Wochen eine starke Forcierung der russischen Angriffe. Wie sehen Sie die Situation?
Nach dem Amtsantritt von US-Präsident Trump haben die Amerikaner vernünftig angefangen mit bilateralen Gesprächen zunächst mit der Ukraine und dann mit Russland, in denen sie versuchten, die Positionen der Kriegsparteien genauer zu verstehen, um Kompromissmöglichkeiten auszuloten.
Dann haben sie jedoch einen taktischen Fehler begangen, indem sie auf die ukrainische Forderung nach einem bedingungslosen Waffenstillstand eingegangen sind, bevor bilaterale Verhandlungen begonnen hatten und die Modalitäten für eine Feuerpause geklärt waren. Waffenstillstände funktionieren jedoch nur dann, wenn in Verhandlungen zwischen den beteiligten Kriegsparteien bereits eine gewisse Annäherung erfolgt ist.
Darum hat es bislang zwischen der Ukraine und Russland zwar einige kleinere Ergebnisse gegeben wie den Austausch von Gefangenen, aber wirkliche Verhandlungsfortschritte sind nicht erzielt worden.
Zuletzt zeigte sich Trump enttäuscht über den schleppenden Fortgang der Friedensbemühungen. Er setzte Russland sogar ein Ultimatum: Wenn der Krieg binnen 50 Tagen nicht beendet sei, werde es Wirtschaftssanktionen geben – und zwar weniger gegen Russland als vielmehr gegen Moskaus Verbündete. Zudem kündigte er massive Waffenlieferungen an die Ukraine an. Was folgt daraus?
Trump versucht immer, schnell eine Lösung zu finden. Und sicherlich ist er auch frustriert über die russische Haltung. Hinzu kommt, dass der US-Präsident bilateral ausgerichtet ist, immer auf einen Gegenüber bezogen. Doch die zu lösenden Probleme sind multilateral. Neben der Ukraine und Russland sind auch diejenigen Staaten beteiligt, gegen die Sekundärsanktionen verhängt werden sollen, falls sie weiter Öl und Gas von Russland kaufen. Das sind insbesondere China, Indien und Brasilien. Und natürlich sind auch die Europäer involviert.
Die Frage ist, ob Trump mit seinen jüngsten Ankündigungen eine Kehrtwendung in seiner Ukrainepolitik vollzogen hat. Das sehe ich nicht. Zwar versucht der US-Präsident mit veränderter Rhetorik, Druck aufzubauen. Aber letztlich ist sein Ziel noch immer, die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen.
Gegenüber der Ukraine bezieht Trump eine neutralere Position, indem die USA sich weitgehend aus der direkten Unterstützung des Landes zurückziehen. Die Europäer sollen zunächst amerikanische Waffen aus ihrem Bestand liefern, der dann in den nächsten Jahren durch Aufträge an die US-Rüstungsindustrie wieder aufgefüllt wird. Die Europäer nehmen somit für einen längeren Zeitraum eine Schwächung ihres Verteidigungsdispositivs in Kauf und finanzieren zugleich die Unterstützung der Ukraine. Das sei „logisch“, findet der NATO-Generalsekretär. Mag sein, denn Europa will den Krieg ja unbedingt fortsetzen.
Wie realistisch sind die Chancen für einen echten Verhandlungsfortschritt?
Russland hat erklärt, für eine weitere Verhandlungsrunde bereitzustehen und lediglich auf die Ukraine zu warten. Daraufhin hat sich auch Präsident Selenskyj kurzfristig zu Verhandlungen bereit erklärt.
Natürlich spricht derzeit einiges dafür, dass Moskau versucht, das positive Momentum auf dem Gefechtsfeld zu nutzen. Doch im Grunde beharren beide Seiten auf ihren Maximalforderungen. Das aufzulösen ist der Sinn von Verhandlungen.
Für die Ukraine ist es schwer, die erlittenen Gebietsverluste zu akzeptieren. Allerdings hat sich die Lage des Landes seit seiner Absage einer bereits im April 2022 in Istanbul mit Russland getroffenen Einigung, deren Kern der Abzug der russischen Truppen im Gegenzug zur Neutralität der Ukraine war, nur verschlechtert. Und die Lage wird sich weiter verschlechtern, je länger der Krieg dauert. Die ukrainischen Streitkräfte sind stark geschwächt, die Verluste hoch, die Zahl der Desertionen ebenfalls, und die Moral ist auf einem Tiefpunkt. Auch die zugesagten Waffenlieferungen können die strategische Lage nicht zugunsten der Ukraine wenden.
Zudem befindet sich Selenskyj innenpolitisch in einer Legitimitätskrise und wird von Trump sehr kritisch gesehen. Der gewöhnlich gut informierte amerikanische Journalist Seymour Hersh schrieb kürzlich, Selenskyj stünde auf einer „short list“ für das Exil. Er könnte durch den ehemaligen ukrainischen Oberbefehlshaber Saluschnyj ersetzt werden.
Sie haben in unseren Gesprächen über den Krieg stets gesagt, dass die Ukraine diesen militärisch nicht gewinnen kann, weshalb es im ukrainischen Interesse ist, eine politische Lösung anzustreben, bevor Russland auf dem Schlachtfeld einen Punkt erreicht, bei dem es Verhandlungen nicht mehr nötig hat, weil es den Krieg ohnehin gewinnt. Ist dieser Punkt jetzt erreicht?
Ich denke, aus russischer Sicht ist dieser Punkt noch nicht erreicht. Die Frage ist ja, welche Ziele Moskau verfolgt. Ich bin stets davon ausgegangen, dass Russland danach strebt, die vier annektierten ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson in ihren ursprünglichen Verwaltungsgrenzen zu erobern. Dies ist trotz großer Fortschritte gerade in den letzten beiden Monaten noch nicht vollständig erfolgt. Offen bleibt, ob Russland auch Odessa erobern will, womit es die Ukraine vom Schwarzen Meer abschneiden und den Schulterschluss mit seinen Truppen in Transnistrien herstellen würde.
Generell wird in punkto Geländegewinne verkannt, dass diese für die Russen nur ein Sekundärerfolg sind. In erster Linie geht es ihnen darum, die ukrainischen Streitkräfte in einem Abnutzungskrieg kampfunfähig zu machen. Sollte dies gelingen, hätte Russland freie Hand, seine strategischen Ziele zu realisieren.
Das ursprüngliche Ziel Russlands war ein Regimewechsel in der Ukraine. Ob Moskau diese Absicht noch verfolgt, ist gegenwärtig nicht erkennbar. Letztendlich glaube ich, dass Russland versuchen wird, seine strategischen Ziele bis September zu erreichen, wenn die 50-Tages-Frist von Trump ausläuft.
China hat sich in Sachen Ukrainekrieg bislang bedeckt gehalten. Zuletzt erklärte Präsident Xi Jinping jedoch, dass sein Land auf keinen Fall eine russische Niederlage akzeptieren würde. Und Außenminister Wang Yi erläuterte, dass China nicht wolle, dass die USA in Europa gewönnen, um anschließend die Kräfte frei zu haben für ein stärkeres Engagement in Asien. Was bedeutet das für den Konflikt in Europa?
Die chinesischen Aussagen zeigen, wie komplex dieser Konflikt ist. Ich sprach eingangs davon, dass Trump immer bilaterale Lösungen sucht, obwohl die Probleme multilateral angelegt sind.
Eigentlich müssen wir neben China auch den Nahen und Mittleren Osten einbeziehen. Erst vor kurzem hat China eine Eisenbahnlinie nach Teheran eröffnet, die den Gütertransport in der Hälfte der Zeit ermöglicht, die Containerschiffe benötigen. Das zeigt, dass Peking neben dem Ukrainekrieg auch am Nahostkonflikt ein vitales Interesse hat.
Russland hat in der Kaukasus-Region an Einfluss verloren, sowohl gegenüber Armenien als auch dem ölreichen Aserbaidschan. Auch hier kreuzen sich chinesische und russische Interessen mit denen des Westens, aber auch der Türkei. Wenn sich Aserbaidschan in den Konflikt gegen den Iran einschalten sollte, wären die Interessen Moskaus und Pekings sehr stark betroffen. Insofern hat Russland ein massives Interesse daran, den Krieg in der Ukraine möglichst schnell zu beenden, um sich auch wieder anderen, aus russischer Perspektive ebenso bedeutsamen Regionen zuwenden zu können.
China hat gemeinsam mit Brasilien konstruktive Vorschläge für eine Beendigung des Ukrainekriegs gemacht. Es gibt aktuell Hinweise, dass Präsident Xi Jinping Trump und Putin für den 3. September nach Peking eingeladen hat. Zeitlich fällt dies etwa mit dem Ablauf des 50-Tage-Ultimatums Trumps zusammen. Ich halte diesen Dreiergipfel für einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem Ende des Krieges.
Das wäre doch ein Hebel, um Russland zu einer politischen Lösung im Ukrainekrieg zu bewegen.
Das wäre in der Tat ein Hebel – und zwar ein geeigneterer als etwa Wirtschaftssanktionen. Die EU hat gerade ihr sage und schreibe 18. Sanktionspaket gegen Russland beschlossen, obwohl keine der bisherigen Sanktionen die Russen zum Einlenken bewogen hat. Während Trump einen Verhandlungsfrieden anstrebt, setzen die Europäer diesen Weg unbeirrt fort, und ausgerechnet Deutschland ist bereit, der Ukraine weitreichende Waffensysteme zur Verfügung zu stellen – ohne ein sicherheitspolitisches und strategisches Konzept und angesichts der Eskalationsdominanz Russlands unter Inkaufnahme unabwägbarer Risiken.
Die Europäer sollten, nachdem sie den Krieg dreieinhalb Jahre mit genährt haben, endlich überlegen, welchen Beitrag sie selbst zu einem Frieden leisten können. Das Bedauerliche an der gegenwärtigen Situation ist, dass die Diplomatie noch immer keinen Platz hat. Im Gegenteil: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat im vergangenen Jahr den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán – damals immerhin EU-Ratspräsident – sogar scharf attackiert, als dieser nach Kiew, Moskau, Peking und Washington flog, um Möglichkeiten für eine Annäherung der verschiedenen Parteien zu erörtern.
In Deutschland ist an die Stelle des zögerlichen Bundeskanzlers Olaf Scholz der deutlich entschiedenere Friedrich Merz getreten, der sogar die Verfassung dahingehend änderte, dass Verteidigungsausgaben nicht mehr von der Schuldenbremse betroffen sind. Wie beurteilen Sie das bisherige Handeln der neuen Regierung?
Ich möchte ungern einzelne Personen bewerten. Grundsätzlich finde ich es außerordentlich befremdlich, dass die Rhetorik einiger Politiker den Geist des Grundgesetzes, das eine Friedensverfassung ist, vermissen lässt. Etwa wenn leichtfertig davon gesprochen wird, dass „wir“ uns im Krieg mit Russland befänden, dass Russland „immer unser Feind bleibt“ oder dass „die Mittel der Diplomatie nicht geholfen hätten“ und „wir“ jetzt anderweitig Druck auf Russland ausüben müssten.
Die Sprache ist Ausdruck des Bewusstseins. Manch Entscheidungsträger befindet sich offensichtlich bereits mental im Krieg, ohne auch nur darüber nachzudenken, was ein Krieg für uns bedeuten würde.
Wenn Sie das hier Besprochene reflektieren – sind wir eher einem Frieden näher oder eher einer Eskalation?
Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Hoffnungsvoll stimmt mich das Agieren des US-Präsidenten. Auch wenn Trump stets erratisch und großsprecherisch auftritt, habe ich doch den Eindruck, dass er sich letzten Endes den Realitäten beugt und sich der Risiken bewusst ist, die mit einer Eskalation verbunden wären. Auch die konstruktive Rolle Chinas könnte sich ab September positiv auswirken.
Das Interview führte René Nehring.