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In seinem autobiographischen Roman „Vergiss mich“ setzt Alex Schulman sich mit der Alkoholsucht seiner Mutter auseinander
Wie muss ein Kind sich fühlen, wenn die Mutter, die einmal schillernd und liebevoll gewesen ist, allmählich das Interesse an ihren Söhnen verliert, weil sie dem Alkohol verfallen ist?
In seinem Roman „Vergiss mich“ schildert Alex Schulman genau das, indem er sich erinnert. Da sind die unbeschwerten Ferien mit den Eltern und den Brüdern im schwedischen Sommerhaus, die verrückten Einfälle, die Abenteuerlust und Neckereien der Mutter oder das Alltagsleben der Familie in Stockholm. Doch mit der Zeit verändert sich alles. Plötzlich wirkt der Blick der Mutter ausdruckslos, ihre Reaktionen sind für den Heranwachsenden unverständlich. Ein Erlebnis ist dem Romanhelden Alex besonders im Gedächtnis haften geblieben: Als seine Mutter später als die Familie ins Sommerhaus kommt, weil sie länger arbeiten musste, läuft der Sohn ihr auf der Landstraße entgegen, ein Ritual, das sie öfter vollzogen hatten. An diesem Tag fährt die Mutter jedoch mit ihrem Auto an ihm vorbei, ohne anzuhalten. Den Sohn verletzt dieser Vorfall schwer, aber er kann seine Mutter nicht darauf ansprechen.
Für die anhaltende Sprachlosigkeit sorgt der Vater. Im Gegensatz zur Mutter ist er ein pedantischer Mensch, der stets nach einem strikten Zeitplan lebt, der unbedingt von allen eingehalten werden muss. Aus Alex' Schilderungen wird deutlich, dass die Mutter zunehmend unter der Pedanterie des viel älteren Ehemanns leidet. Sie beginnt, sich aus dem Familienleben und der Verantwortung davonzustehlen, indem sie trinkt. Dieser schleichende Prozess bleibt den Kindern zunächst verborgen. Immer öfter bedeutet der Vater ihnen, auf die „kranke“ Mutter Rücksicht zu nehmen, die tagelang das Bett hütet. Eine Erklärung, woran die Mutter erkrankt sei, bekommen Alex und seine Brüder Calle und Martin nicht. Der Vater deckt die Alkoholsucht seiner Frau. Fragen danach sind tabu.
Erst als Erwachsener und Familienvater wagt Alex es, seine inzwischen arbeitslose und völlig chaotische Mutter auf ihr Alkoholproblem anzusprechen. Nach anfänglicher Abwehr stimmt sie am Ende doch einem Entzug zu. Eine Aussprache mit dem Sohn oder eine Entschuldigung für ihr Verhalten lehnt sie bis zu ihrem Lebensende ab.
Schulmans sehr persönlich geschriebener Versuch der Aussöhnung mit seiner Mutter war in Schweden ein Bestseller. Auch hierzulande fand seine Schilderung des Überlebens mit dem Unsagbaren guten Anklang.
Alex Schulman: „Vergiss mich“, dtv, München 2025, gebunden, 253 Seiten, 23 Euro