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„Türöffner“ statt „böser Kreuzritter“

Andrzej Niśkiewicz arbeitet für die Deutsche Minderheit in Schneidemühl – Geburtstagsempfang für eine 95-Jährige in ihrer Heimat

Chris W. Wagner
08.11.2020

„Was hätten die Architekten Paul Bonatz und Fritz Eugen Scholer gesagt, hätten sie gesehen, wie ihr Werk – das Regierungsgebäude in Schneidemühl [Piła] – über mehrere Jahrzehnte durch immer wieder neue Farbschichten verschandelt wurde?“, fragt Andrzej Niśkiewicz. Er ist unterwegs, um das sogenannte „Schneidemühler Schloss“, das heute als Polizeischule fungiert, nach der Sanierung der Fassade in Augenschein zu nehmen. „Schon allein die Größe des Gebäudes ist beeindruckend.

Mehr als 80.000 Quadratmeter, vier Stockwerke, kilometerlange Korridore, mehrere hundert Räume mit einem klimatisierten Konferenzsaal, in dem drei Kristallleuchter und Wandfresken das Auge erfreuen“, so Niśkiewicz, der Schneidemühl-Besucher gerne zum Regierungsgebäude führt.

Er berichtet dann über das 1928 erbaute „Schloss“ auf dem einstigen Pferdemarkt, dem Danziger Platz [Plac Staszica]. „Zehn Jahre nach Kriegsende wurde es eingeweiht, da Schneidemühl nun die Hauptstadtfunktion der Grenzmark Posen-Westpreußen innehatte. Die bei Deutschland verbliebenen Randgebiete der alten Provinzen Posen und Westpreußen wurden in ihr zusammengefasst, ehe diese Versatzstücke 1938 Schlesien, Brandenburg und Pommern zugeschlagen wurden. Mit von der Partie war der damalige preußische Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff, und Radio Nordischer Rundfunk sendete live. Aus Potsdam kam ein Fernsehteam und drehte einen Beitrag für die Wochenschau“, berichtet er stolz.

Diesmal ist Niśkiewicz mit der 95-Jährigen Ursula Floess unterwegs. Die Schneidemühlerin lebt heute in Potsdam, aber wann immer sie kann, besucht sie ihre Heimatstadt. Früher war es bis zu fünf, sechs Mal im Jahr. Sie hatte nicht mehr geglaubt, das Regierungsgebäude noch einmal im alten Glanze zu sehen. Sie erzählt Niśkiewicz, dass sie aus ihrer Wohnung den Bau des Kolosses beobachten konnte. Die Unterhaltung der beiden ist mühsam, da Niśkiewicz nur wenig Deutsch spricht.

Obwohl sein Vater in Dortmund geboren wurde und seine Vorfahren mütterlicherseits aus Ostpreußen stammen, war ihre Sprache zu Hause Polnisch. Er ist in Culm [Chełmno] geboren, doch ab der Grundschulzeit wuchs er in Warschau auf. Dort studierte er auf einer Offiziershochschule. Er wusste aber, dass er als Deutschstämmiger keine Karriere beim polnischen Militär machen konnte, und wandte sich humanistischen Fächern zu. Ein Studium der Kulturpädagogik und Kommunikation ebnete ihm den Weg in die Erwachsenenbildung.

2003 verließ Niśkiewicz das Militär im Rang eines Majors und kam nach Schneidemühl. Dort nahm er Kontakt zur Organisation der Deutschen Minderheit auf. „Meine Tochter wollte unbedingt ein gutes Deutsch lernen, denn die Sprache machte ihr in der Schule Spaß. Da dachte ich, wo könnte sie es besser lernen, als von Deutschen selbst“, so Niśkiewicz.

Seine Tochter ist längst erwachsen, aber er blieb der deutschen Gemeinschaft treu und ist nun seit fast 20 Jahren Mitglied der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen in Schneidemühl. „Ich kannte Schneidemühl vorher nicht und durch die deutsche Gesellschaft bin ich in diese Stadt hineingewachsen.“

Als hätte man auf einen wie ihn damals gewartet, wurde Niśkiewicz von Anfang an im Verband eingespannt: beim Organisieren von Veranstaltungen, bei der Erledigung von Behördengängen und beim Schreiben. Letzteres tut er besonders gerne: zum Beispiel für die „Zeitung der Deutschen in Polen“, das „Wochenblatt“, und für die Internetseite der Deutschen in Schneidemühl.
Genauso gerne betreibt er Landeskunde. So organisiert er jedes Jahr Studienreisen für die Mitglieder. Diese führen dann immer zu besonderen Kulturlandschaften des deutschen Ostens.

Für dieses Jahr stand eigentlich Elbing [Elbląg] auf dem Programm, doch die Pandemie hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Untätig blieb Niśkiewicz nicht. „Ich wusste, dass Ursula Floess im Mai 95 Jahre alt wurde und alleinstehend ist. So haben wir für sie eine Geburtstagsfeier in der Heimat organisiert. Wir holten sie mit dem Auto in Potsdam ab. Sie bekam eine Rundfahrt durch die Stadt, ich zeigte ihr das frisch renovierte Regierungsgebäude und im Sitz der Gesellschaft wartete eine Feier auf sie.“

Zur Party kamen neben den Mitgliedern der Deutschen Minderheit der stellvertretende Landrat Arkadiusz Kubich mit einem Bild „Schneidemühl bei Nacht“ als Geschenk. Gratuliert haben auch die stellvertretende Oberbürgermeisterin Beata Dudzińska und Kinga Wertka vom Landratsamt sowie eine Teilnehmerin des Deutschkurses der Schneidemühler Deutschen Gesellschaft. Man brauche einander, sagt Niśkiewicz: „Sie brauchen uns zum Beispiel bei Fragen zu Geschichte der Stadt, wir sind quasi Türöffner, damit die Mehrheit sieht, wir sind keine bösen Kreuzritter.“


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Kommentare

Jan Kerzel am 11.11.20, 17:04 Uhr

Deutsche Gemeinschaften und Gemeinden gibt es in vielen Ländern Europas und auch weltweit. Es ist interessant von ihnen zu hören. Mir erscheint es sinnvoll, deren Existenz und Entwicklung in Berichten und Interviews zu vergegenwärtigen. Sie leisten oft sehr viel, obwohl ihre Zahl überschaubar ist. Im Allgemeinen leben sie im guten und besten Einvernehmen mit der Mehrheitsgesellschaft. Sie haben auch eine gewisse Brückenfunktion zwischen der Bundesrepublik und ihren Heimatländern. Sie können auch eine Anlaufstelle sein für Bürgerinnen und Bürger, die ein anderes Land als Bleibe in Betracht ziehen. Wichtig wäre zudem, dass Anschriften , Email-Adressen und Zeitschriften dieser Gemeinschaften publiziert werden, z.B. in der PAZ.

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