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Unsere Terroristen

Die jüngste Festnahme einer RAF-Terroristin und der Umgang in Teilen der Öffentlichkeit damit rufen ins Gedächtnis, dass sich der linksliberale Zeitgeist von den Lebenslügen dieser Gewalttäter noch lange nicht befreit hat

Holger Fuß
07.04.2024

Die US-Krimiserie „Die Straßen von San Francisco“ gehörte in den 1970er Jahren auch in Westdeutschland zu den Fernseh-Straßenfegern. Der Auftakt zur fünften Staffel war der Zweiteiler „Die Bande des Schreckens“, im Original „The Thrill Killers“. Während in den USA die Doppelepisode im Herbst 1976 gesendet wurde, synchronisierte das ZDF die beiden Folgen für den Sommer 1978, verzichtete dann aber auf die Ausstrahlung, weil die Story Parallelen aufwies zum Terror der Rote Armee Fraktion (RAF) im Jahre 1977. Zu sehr zitterte noch die Erinnerung nach an die schaurigen Morde an Jürgen Ponto, Siegfried Buback und dem entführten Hanns Martin Schleyer mitsamt deren Begleitpersonal.

An dem vermeintlich unscheinbaren Detail dieser Krimi-Episoden ist einiges bemerkenswert. Zum einen waren in jenen Jahren linke Terroristen weltweit aktiv. Im globalen Süden lösten sich nach dem Zweiten Weltkrieg viele Länder von ihren europäischen Kolonialherren, häufig flankiert von gewalttätigen Befreiungsbewegungen. Dieser Rebellentypus wurde in den westlichen Ländern zu einer Art Urmuster für Heranwachsende aus der Mittel- und Oberschicht, die in der Kapitalismuskritik eine Möglichkeit von Sinnstiftung für sich entdeckten und mitunter sogar zur Waffe griffen.

Terrorismus als Teil der Popkultur
Entsprechend schnell absorbierte auch die Popkultur den Topos Terror. Auf dem Buchmarkt wie im Kino machten Terroristen-Thriller Furore. Die Lunte zwischen terroristischer Gewalt und Showbusiness war im Zeitalter der Kulturindustrie stets kurz bemessen. Ohne die Massenmedien hätte das Geschäftsmodell des Terrors sowieso nie funktioniert.

Zudem lässt die damalige Entscheidung des ZDF, die Doppelfolge nicht auszustrahlen, im Nachhinein erahnen, wie sehr der RAF-Terror schon in seinen ersten Jahren zu einer nationalen Erschütterung wurde. Von Anfang an, seit der Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970, der Gründungsaktion der RAF, war die Gesellschaft gespalten. Für die einen blieb die prominente Journalistin Ulrike Meinhof, die mit einem Sprung aus dem Fenster in die Illegalität entschwand, vertraulich „die Ulrike“, die gegen den Vietnamkrieg der USA agitierte, die vorgeblich faschistische Strukturen der gerade zwei Jahrzehnte alten Bundesrepublik bloßlegte und revolutionär sozialistischen Tagträumen nachhing. Für die anderen, darunter Millionen von „Bild“-Zeitungslesern, war „die Meinhof“ eine Hamburger Salonkommunistin, deren Postille „Konkret“ jahrelang von der DDR finanziert wurde und die sich nun im anarchistischen Untergrund zur gefährlichen Gewaltverbrecherin entzaubert hatte.

Bis heute können wir nur mutmaßen, wie groß die Heerscharen der Sympathisanten waren, durch die sich die abgetauchten Baader-Meinhof-Desperados, die sich, nach südamerikanischem Vorbild, wichtigtuerisch „Stadtguerilla“ nannten, wie Fische im Wasser bewegten. Die RAF vermochte zwar die Arbeiterschaft nicht zur revolutionsfreudigen proletarischen Klasse aufzuwiegeln, dafür schuf sie im Lande ein Klima des Verdachts. Allenthalben konnten Terrorsympathisanten lauern, erfüllt von einer „klammheimlichen Freude“ über die Mordtaten, wie eine Göttinger Studentenzeitung feixte.

„Viel Kraft“ und „viel Glück“
Die Verhaftung von Daniela Klette, einem 65 Jahre alten RAF-Mitglied der dritten Generation, Ende Februar in Berlin-Kreuzberg hat die Atmosphäre des Argwohns wieder wachgerufen. Tatsächlich gärt es im Sumpf der Sympathisanten noch immer lebhaft. Transparente am Landwehrkanal wünschten der Verhafteten ungeniert „viel Kraft“ und ihren flüchtenden Komplizen Burkhard Garweg, 55, und Ernst-Volker Staub, 70, „viel Glück“. Keine zwei Wochen nach Klettes Festnahme zogen Hunderte aus der linken Szene durch den Kreuzberger Kiez – aus „Solidarität mit den Untergetauchten und Gefangenen“. Eine Woche darauf forderten 25 Sympathisanten vor dem Frauengefängnis Vechta die Freilassung Klettes.

Interessant ist, dass die ampelregierungsnahe Tageszeitung „taz“ die Demo in Vechta eine „private politische Meinungsäußerung“ nennt und über die Initiatorin schreibt: „Nichts an Müllers Demo-Aufruf war unzulässig. Ausdrücklich benennt er ,die Fehler' der RAF.“ Die Fehler, die die „taz“ verharmlosend zitiert, waren eine blutige Spur des politischen Starrsinns, der moralischen Bosheit und der charakterlichen Selbstüberhebung. 28 Jahre lang hielten ein paar Dutzend Bürgerkinder das Land mit ihren revolutionären Halluzinationen in Atem. Bis zu ihrer erklärten Selbstauflösung 1998 ermordeten sie 33 Menschen – führende Repräsentanten ihres verhassten Systems sowie deren Fahrer und Leibwächter, Polizisten und US-Soldaten.

Inzwischen geht das Bonmot der „RAF-Rentner“ um, die sich mühselig ihren Lebensabend im Untergrund organisieren, damit sie ihre alten Tage nicht im Knast verbringen müssen. Jüngst veröffentlichte Fotos des gealterten Garweg im Bauwagen mit Punkfrisur, schwarzem Kapuzenpulli und räudigen Straßenkötern zeigen beinahe karikaturhaft den milieutypischen Kreuzberger Altlinken in seiner ledrigen Freudlosigkeit und einer ins Gesicht gefrorenen Besserwisserei. Aber wen verwundert diese depressive Grundtonart, wenn doch die Chronik der RAF eine Abfolge des Scheiterns, der Niedertracht und der Lebenslügen ist? Was hat denn die RAF in drei Jahrzehnten der Welt an Gelungenem hinzugefügt?

Karl-Heinz Dellwo, ein RAF-Rentner von 72 Jahren, hat diese Frage 2007 so beantwortet: „Vor kurzem erzählte eine Frau, die in Vietnam war und dort Leute auf die RAF angesprochen hat, dass die ihr gesagt haben: ,Die RAF hat uns tagelang vor Bombardements bewahrt.' Wenn das so gewesen ist, wenn die RAF mit den Anschlägen auf die US-Headquarters die Militärmaschine eine Zeitlang ins Stocken gebracht hat, hätte sie damals doch einiges erreicht. Man sollte nicht nur die Toten sehen, die bei unseren Anschlägen ums Leben gekommen sind.“ Mit solch einem Hörensagen-Geplappere will der Mann seine eigenen Meucheltaten rechtfertigen? „Die RAF hat Menschenleben in Vietnam gerettet“, sagt er. „Das legitimiert diese Aktionen.“

Skrupellose Herzenskälte
Dellwo kam aus der Hausbesetzerszene, engagierte sich gegen die angebliche Isolationsfolter an RAF-Häftlingen und stieß 1975 zur zweiten Generation der RAF, die inhaftierte Genossen freipressen wollte. Dazu nahm Dellwos Kommando noch im selben Jahr in der deutschen Botschaft in Stockholm Geiseln. Die Attachés Heinz Hillegaart und Andreas von Mirbach wurden erschossen. Die englische Journalistin Jilian Becker schildert in ihrem 1978 erschienenen Buch über den Baader-Meinhof-Terrorismus, „Hitlers Kinder“, wie Mirbach zu Tode kam: „Die Terroristen schossen fünfmal auf ihn, trugen ihn zum obersten Absatz der Haupttreppe und warfen ihn die Stufen hinunter zum nächsten Absatz zwischen dem dritten und zweiten Stock. Dort lag er verblutend eine Stunde lang.“ Erst dann durften schwedische Polizisten Mirbach wegtragen. „Er starb drei Stunden später im Krankenhaus.“

Einen Menschen derart stundenlang verrecken zu lassen, verrät eine Herzenskälte, die Dellwo nach 20 Jahren im Gefängnis noch immer nicht losgeworden ist. In seinem Buch mit dem vielsagenden Titel „Das Projektil sind wir“ von 2007 gesteht er seine Beteiligung an den Morden: „Ich bedauere seit langer Zeit den Tod der Botschaftsangehörigen und meine Verantwortlichkeit dafür.“ Als Reue möchte er sein „Bedauern“ indes nicht verstanden wissen: „,Reue' ist medial doch nur ein Maßstab, an dem die Unterwerfung gemessen wird. Dieser Inszenierung muss man sich verweigern.“

Im Internet sind Videos abrufbar, in denen sich RAF-Mitglieder wie Dellwo, Christian Klar oder Monika Berberich äußern. Auffällig ist die Formelhaftigkeit ihrer Sprechweise sowie eine emotionale Steifheit, ein Unvermögen, Gefühle überhaupt in Worte fassen zu können. In diesem psychischen Analphabetismus erinnern die linken Gewaltverbrecher fatal an Filmdokumente mit SS-Männern, die Fragen nach ihren Empfindungen oft mit brütendem Schweigen quittierten.

Die Nähe von '68 zu '33
Der Historiker Götz Aly hat die Verwandtschaftlichkeiten im Furor der Jugendbewegungen von 1968 und 1933 beschrieben: „Ohne im angeblich aufklärerischen Eifer eine Sekunde daran zu denken, knüpften die deutschen Achtundsechziger an den Aktionismus ihrer Dreiunddreißiger-Väter an.“ Von ihren Eltern erbten die Achtundsechziger-Rebellen ein Trauma, einen seelischen Gefrierbrand. Was ihre kriegsversehrten Väter erbittert verheimlichten, ihre Ängste, ihre Zweifel, ihre Schuldgefühle, beschwiegen ihre Söhne von 1968 umso lautstarker durch die Politisierung ihrer Gefühle, um nur ja nicht persönlich werden zu müssen. „Das Private ist politisch“, schwadronierten sie, ohne sich einzugestehen, dass sie bloß im Politischen verstecken wollten, woran sie im Privaten scheiterten. In einer Filmdokumentation von 2019 hyperventiliert die einstige RAF-Terroristin Monika Berberich diese Haltung gleichsam: „Ich kann nicht bereuen. Bereuen ist kein politischer Begriff. Dann negiere ich mich doch selbst.“

Wenn wir die gegenwärtige politische Landschaft betrachten, so scheint es, als zittere das Trauma bis in die folgenden Generationen hinein. Auf gespenstische Weise kann die RAF als ein schmutziges Familiengeheimnis der Nach-68-Republik gelten. Als randalierendes schwarzes Schaf der Sippe, das sich an Drogen und Umsturzphantasien berauschte und schließlich wild um sich schoss.

Je mehr die Republik nach links rückte, der Zeitgeist rot-grün blinkte und sogar die Union unter Angela Merkel mit sich riss, desto mehr versteinerte das Credo, wonach linke Gewalt für das Gute mit lediglich falschen Mitteln kämpft und nur rechte Gewalt Böses tut um des Bösen willen. Rechtsterrorismus durfte verdammt werden, linke Terroristen standen stets unter verständigem Vorbehalt.

Die Verharmlosung setzt sich fort
Klimaaktivisten, die mit ihren obsessiven Vorfahren kokettieren und sich selber schon mal „grüne RAF“ nennen, werden wie schon in den 1970er Jahren vom linksliberalen Bürgertum gerechtfertigt; auch heute ist in diesen Kreisen eine „klammheimliche Freude“ zu spüren, wenn großsprecherisch „das System“ attackiert wird. Solidarität hinter vorgehaltener Hand gehört zum Gencode dieses Milieus.

Die Ampelkoalition ist vor allem gesellschaftspolitisch als Vollenderin des Linksschwenks der Merkel-Jahre zu betrachten. Unter rot-gelb-grüner Schirmherrschaft findet ein Kulturkampf statt, der bürgerliche Werte in Sprache, Tradition und Weltanschauung verflüssigen soll. In ihrem antibürgerlichen Eiferertum, das unter dem Tarnbegriff der Vielfalt daherspaziert, sind die „Woken“, die Post-Kolonialen und die Queeren eng verwandt mit den Freischärlern der RAF.

Übrigens hassten auch die Nationalsozialisten jede Form der Bürgerlichkeit. In ihren habituellen Verächtlichkeiten beweist die deutsche Seele eine erstaunliche Kontinuität.

Holger Fuß ist freier Autor und schreibt für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften über Politik, Wissenschaft, Kultur und Zeitgeschehen. 2019 erschien „Vielleicht will die SPD gar nicht, dass es sie gibt. Über das Ende einer Volkspartei“ (FinanzBuch Verlag). www.m-vg.de


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Kommentare

Valentina Selge am 07.04.24, 05:39 Uhr

Ein guter Artikel über die "dunklen Familiengeheimnisse" und die Brutalität der Gruppierung.
Der Autor Holger Fuß hat auch ein Buch über die SPD geschrieben, ich werde das lesen. Denn das politische Ende von Willy Brandt durch die Guillaume-Affäre bleibt unaufgearbeitet.
Die SED hatte ja auch die Terroristen in der DDR versteckt. Die Unterstützung der RAF-Terroristen durch die SED-Diktatur ist weitgehend nicht aufgeklärt. Die SED-Diktatur war die Fortsetzung einer deutschen Diktatur mit anderem Vorzeichen.
Die von den heutigen Parteien verbannte rechte Partei ist ein Gegenpol dazu und wird vermutlich nicht von Putin, sondern logisch folgerichtig dann eher von den USA unterstützt.
Aber zusammenfassend lässt sich sagen, hier sind viele Unwahrheiten und eiskalte Lügen im Spiel und inzwischen sucht man die Wahrheit vergeblich.

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