02.04.2025

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Wahrzeichen Helgolands: Die „Lange Anna“ genannte Felsnadel aus Sandstein an der nordwestlichen Spitze der Nordseeinsel
Bild: LädtkeWahrzeichen Helgolands: Die „Lange Anna“ genannte Felsnadel aus Sandstein an der nordwestlichen Spitze der Nordseeinsel

Unverwüstliche Schicksalsinsel

Vogelparadies und Robbenland – Auch nach Ende der Butterfahrten lohnt eine Reise nach Helgoland

Manfred Lädtke
01.04.2025

Die „Funny Girl“ ist in Tanzlaune. Auf der Fahrt von Büsum nach Helgoland rockt das Motorschiff die aufgewühlte Nordsee. An Deck halten Passagiere Spucktüten parat, andere versuchen mit einem beherzten Sprung der spritzenden Gischt zu entkommen. Nach zweieinhalb Stunden gibt der Klabautermann Ruhe. Helgoland in Sicht!

Endlich schaukelt „Funny Girl“ im ruhigen Gewässer, da nähern sich vom Hafenkai auch schon offene Boote. Begleitet von Hunderten kreischender Möwen schippern Börteboote seit fast 200 Jahren Touristen zur Landungsbrücke. Wenn das Linienschiff nicht im Inselhafen ankern darf, werden Besucher „ausgebootet“, das heißt, zum Festland gebracht. Auf der Landungsbrücke atmen die Ankömmlinge tief durch. Frische pur. Nur Meer und Salz. Kein Motorenlärm, keine Abgase auf der autofreien Insel.

Ein salziges, staubfreies Lüftchen weht auf dem 4,2 Quadratkilometer kleinen abgelegenen Nordseeflecken in der Deutschen Bucht. Und beim Durchfluten der Lunge mit reiner Seeluft bietet das weitläufige Inselchen auch reichlich Platz für Gäste, die Abstand halten möchten. Das vom Golfstrom begünstigte Hochseeklima gestattet im Sommer selten mehr als 24 Grad Außentemperatur und im Winter kaum weniger als sechs Grad.

Der Fußmarsch vom Unterland in die zweite Inseletage zum Oberland führt über einen Fahrstuhl oder eine zickzackförmige Treppe. Als es Lift und Elektrokarren noch nicht gab, mussten die Bewohner sämtliche Lasten mit Muskelkraft ins Oberland schleppen. Auf Absätzen zwischen den 184 Stufen konnten sie durchschnaufen. Wer heute „unbelastet“ zur Aussichtspromenade hinaufsteigt, blickt über eine Wasserstraße auf ein abgetrenntes Düneneiland. Eine Sturmflut riss Helgoland 1720 in zwei Teile.

Strategische Überlegungen, an das Nordseeidyll planerisch Hand anzulegen, entwickelten in den 1930er Jahren die Nationalsozialisten. Das Projekt „Hummerschere“ scheiterte zwar, machte am Ende des Zweiten Weltkriegs die Insel aber zum Ziel der britischen Luftwaffe. Im April 1945 bombardierte diese die Helgoland, wobei es 285 Todesopfer gab. Nach der Evakuierung der Insel zerstörten die Briten mit der bis dahin größten nichtnuklearen Sprengexplosion der Geschichte die Bunkeranlagen. Erst 1952 gaben sie die verwüstete Insel frei, und die Insulaner durften zurückkehren. Bunkerreste und gewaltige Krater lassen Besucher 80 Jahre nach Kriegsende immer noch in einen finsteren Abgrund schauen.

Ilse Töpfer ist eigentlich Requisiteurin, hat sich aber entschieden, Inselgästen die Reize ihrer Wahlheimat zu zeigen. Mag sein, dass die ensemblegeschützte Inselarchitektur der 1950er bis 1960er Jahre mit eng geduckten Häusern zweckmäßig und sturmerprobt ist, als Hingucker taugt der spröde, schmucklose Baustil nicht. Dafür punktet Helgoland als Kulisse für Naturschauspiele mit Wind, Wellen und Wasser.

Rund 1270 Menschen, zahlreiche Kegelrobben und mehr als 400 Vogelarten teilen sich die Insel. Eissturmvögel, Trottellummen und Basstölpel haben in den sturmumtosten Wänden der Felseninsel ihr Brutquartier. Vogelbeobachtern bietet sich insbesondere von Frühjahr bis Spätherbst aus nächster Nähe ein famoses ornithologisches Schauspiel.

Der Rundgang auf dem Klippenrandweg im flachen grünen Oberland ist der direkte Weg in ein Naturparadies mitten im Meer. „Ein Paradies mit von Menschen verursachten Schönheitsfehlern“, relativiert Töpfer an der Nordwestspitze vor der „Langen Anna“. Tausende schnatternder Vögel tummeln sich auf dem

47 Meter aus der See ragenden Naturdenkmal der Hochseeinsel und auf dem nahen schroffen Lummenfelsen.
Gar nicht tölpelhaft stoßen Basstölpel von den rostroten Felswänden in die Nordsee. Auf ihrer Jagd nach Hering und Makrele erreichen die Luftakrobaten bis zu 100 Kilometer pro Stunde. Auch die Trottellumme mit ihrem ungelenk wirkenden, watschelartigen Gang führt ihren Namen ad absurdum, wenn sie im Wasser pfeilschnell nach Fischen taucht. Mit ihrem im Vergleich zum Körper kleinen Flügeln sind die „Pinguine des Nordens“ schnell, aber nicht sehr wendig.

Plastiknester als Kinderstube
Im Juni bittet der Nachwuchs zur großen Abendshow. Die eigentlich noch flugunfähigen Trottellummenküken zieht es früh in ihr nasses Element. Todesmutig stürzen sich die flauschigen Meeresvögel das erste Mal vom Felsen hinab ins Wasser, wo ihre Eltern sie leichter mit Nahrung versorgen können.

Und was leuchtet da rot, gelb und blau in den Felsspalten? Nester mit Plastik! Ihre Kinderstuben bauen die Basstölpel auch mit Müll und Kunststoffen, die sie in der See finden. Oft verschlucken sich die Eltern an dem Unrat, sterben elendig und können ihre Küken nicht mehr ernähren.

Ein letzter Blick zu flatternden Austernfischern und Dreizehenmöwen, dann geht es von der Unterstadt mit der Dünenfähre nach „Robbenland“. Vom feinsandigen breiten Badestrand der Nebeninsel windet sich durch Gebüsch aus Sanddorn und Kartoffel-Rose ein Weg zur Robbenkolonie am stillen Nordende. Nur manchmal ist vom benachbarten Flugplatz das Brummen des Küstenfliegers zu hören. Am Wasser fläzen sich massige Flossenfüßer gemächlich in der Sonne. Als Ausguck dient ein Holzbohlenweg.

Auch hier gilt: Abstand halten. Mindestens 30 Meter, mahnt eine Tierschützerin. Kegelrobben könnten nicht nur kräftig zubeißen, sie hätten auch eine infektiöse Maulflora. Trubelig werde es, wenn ab November die Babyrobben zur Welt kommen. Leider würden dann uneinsichtige Besucher den Wurfplatz mit einem Streichelzoo verwechseln oder dem Nachwuchs mit Kameras auf den weißen Pelz rücken, bedauert die Tierschützerin. Die sensible Phase der Jungtiere werde so erheblich gestört.

Einem anderen Meeresbewohner dürfen Inselgäste indes ohne Einschränkung näher kommen. Während sich um den vom Aussterben bedrohten Hummer eine Aufzuchtstation bemüht, ist der Knieper („Kneifer“) als delikate Inselspezialität in aller Munde. Meistens kommt der unverwüstliche Taschenkrebs aus dem nährstoffreichen Seewasser mit Baguette oder Toast, Cocktailsoßen und einem kühlen Weißwein auf den Tisch. Andere eiweißreiche Hochgenüsse wie zum Beispiel frische Fischbrötchen werden in Helgolands Hummerbude gereicht.

Die in den 1950er Jahren gebauten bunten Holzhäuschen reihen sich wie Farbwürfel in einem Malkasten die Hafenstraße entlang. In den Schuppen lagerten Fischer früher Hummerkörbe, Aalstecher und Stellnetze. Heute sind auf der Touristenmeile Kneipen, Cafés, Bistros, Galerien sowie das James-Krüss-Museum untergebracht. In seinem Kinderbuch „Mein Urgroßvater und ich“ hat Helgolands Schriftsteller 1959 dem Leben auf dem Felssockel und in den Buden ein Denkmal gesetzt. Warum der Poet die Schuppen jedoch vom Hafen ins Oberland verlegt hat, bleibt sein Geheimnis.

Anreise und Unterkünfte: www.helgoland.de 


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