19.04.2024

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Fürst von Metternich

Vertreter einer starken Mitte Europas

Vor einem Vierteljahrtausend wurde der österreichische Staatskanzler und Präsident des Wiener Kongresses Clemens Wenzel von Metternich geboren. Im Krimkrieg zwischen Ost und West empfahl er eine Politik des Zuwartens auf freiem Standpunkt

Eberhard Straub
15.05.2023

Die Verbindung zwischen Österreich und Preußen, begleitet von einer allgemeinen Konsolidation aller noch übrigen Kräfte Deutschlands, dieses höchst deutsche und zugleich höchst europäische Staatsprojekt ist das einzige Mittel, den Untergang der Unabhängigkeit von Europa als Folge jener scheußlichen Revolution zu verhindern.“ Mit diesem Grundsatz machte der in Breslau geborene Spross einer preußischen Beamtenfamilie Friedrich von Gentz 1802 in Dresden den österreichischen Gesandten, den Grafen Clemens Wenzel von Metternich, vertraut, der anschließend bis 1805 in Berlin in diesem Sinne für eine Allianz der beiden deutschen Großmächte warb.

Gentz wurde später der engste Mitarbeiter, ja fast ein Freund des nach dem Sieg über Napoleon in den Fürstenstand erhobenen und zum Staatskanzler ernannten Metternich, der in Koblenz vor einem Vierteljahrtausend, am 15. Mai 1773, geboren wurde. Beide zusammen verkörperten den friedlich-freundlichen Dualismus, den sie als Voraussetzung für die Ordnung der deutschen Verhältnisse und der Ruhe in Europa ansahen. Der angeblich undeutsche Reichsaristokrat sah in einer solchen Politik seine deutsche Aufgabe, überhaupt den deutschen Beruf Preußens und Österreichs, in der Mitte Europas gelegen. Daran hielt er bis zu seinem Tode fest.

Einvernehmen mit Preußen
Im Krimkrieg, während des von England und Frankreich geplanten Versuchs, das europäische Staatensystem umzustürzen und Russland auf ein Großfürstentum Moskau zu beschränken, hat er eindringlich an die deutsche Mitteleuropapolitik erinnert. Er empfahl eine Politik des Zuwartens auf freiem Standpunkt, die es den Staaten der Mitte erlaube, die Rolle des besonnenen Schiedsrichters zu übernehmen. „Deutschland kann den Ausgang des Krieges bestimmen, wenn seine Großmächte einig sind und gemeinsam handeln. Die Gelegenheit ist gekommen und die Notwendigkeit vorhanden, Europa den Beweis zu liefern, dass im Deutschen Bund die Kraft liegt, das europäische Gleichgewicht nach allen Seiten zu wahren.“ Der von Österreich und Preußen geführte Deutsche Bund erschien ihm wie „die Rettungsarche Europas“, von der aus „mit einer Masse von 76 Millionen Menschen“ dem Westen wie dem Osten ein Veto zugerufen werden muss, dass niemand ungestraft überhören kann.

Immerhin war es der Neutralität des Deutschen Bundes zu verdanken, dass der Krimkrieg ein lokales Ärgernis blieb, und sich nicht zu einem großen, den gesamten Kontinent, gar die Welt erschütternden Krieg entwickelte.

Zur „allgemeinen Konsolidation“ in Europa kam es auf dem Wiener Kongress 1814/15. Dort fand das Konzept einer starken Mitte Europas die Billigung der europäischen Mächte, vor allem Englands. Der preußische Staatskanzler Karl August von Hardenberg rief poetisch beschwingt im November 1814 Metternich zu: „Es horst auf derselben Rieseneiche / der Doppeladler und der Schwarze Aar.“

Nach den Erfahrungen in den Kriegen von 1792 bis 1815 mit den revolutionären Franzosen, die aus der Geschichte Geographie in Bewegung gemacht hatten, Staaten auflösend, gründend und Grenzen ununterbrochen verändernd, waren sich beide einig darin, dass Europa eine starke Mitte brauche. Einen Einheitsstaat mit seinem Gewicht verwarfen sie. Beide misstrauten dem neuen, revolutionären Nationalismus, weil völlig unangebracht für den Frieden in Europa, und dessen Herz, nämlich Mitteleuropa. Nicht Einheit, sondern Einigkeit unter den deutschen Staaten war ihr Ziel, gewährleistet von den beiden deutschen Großmächten, die umsichtig das übrige Deutschland führten und vor Eingriffen der Flügelmächte Frankreich und Russland in ihre inneren Angelegenheiten schützte.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker erschien Metternich eine für Europa unbrauchbare Idee zu sein, die nur Unruhe und Unzufriedenheit bewirken könne und vor allem die Mitte Europas in Unordnung stürzen müsse, von deren Ruhe und guter Ordnung das allgemeine Gleichgewicht abhinge. Deutschland und Italien galten ihm nur als geographische Begriffe oder wunderbar ausgestattete Kulturräume mit einem starken österreichischen Einfluss. Sie waren auf jeweilige Gleichgewichte in ihrer Staatenwelt angewiesen, um das gesamteuropäische Gleichgewicht zu ermöglichen.

Die beiden großen Kulturnationen – Deutschland und Italien – verliehen einem Mitteleuropa von Lübeck bis Palermo eine kulturelle Legitimation, die, wie Metternich hoffte, manche politische Beschränkungen kompensieren könne. Das Programm der concordia, der Eintracht unter den deutschen und italienischen Staaten, in Anlehnung an die beiden deutschen Großmächte, dehnte Metternich auf das Konzert der fünf leitenden Großmächte aus. Gerade Österreich und Preußen, deren Existenz von der Ruhe in Mitteleuropa abhing, konnten deshalb zusammen mit dem Deutschen Bund und in Übereinstimmung mit der italienischen Staatenwelt dafür sorgen, dass nicht der übertriebene Egoismus einer Großmacht oder der aufgeregte Ehrgeiz von kleinen Völkern, sich zur Nation zu bilden, die notwendige Staatensympathie empfindlich störte.

Eindämmung der Flügelmächte
In einem System von fünf Mächten kommt es darauf an, sich im Einverständnis mit einem Dritten zu befinden, um stets mögliche Einsprüche erfolgreich abwehren zu können, sofern es nicht gelang, Einmütigkeit herzustellen. Gerade die beiden Mittelmächte Österreich und Preußen, stets in Gefahr vom Westen wie vom Osten unter Druck gesetzt zu werden, waren im Sinne Metternichs auf eine maßvolle Politik angewiesen, zu der ihr treuer Zusammenhalt die anderen Staaten aufforderte. 

Veränderungen waren keineswegs ausgeschlossen, weil die Geschichte, das Leben, immer in Bewegung ist. Erhalten hieß in seinem Verständnis, gehen, nicht stehenbleiben. „Außer den Grundsätzen bleibt auf der Welt nichts stehen: zwischen dem Stehenbleiben auf den Grundsätzen und dem Gehen dort, wo es deren Anwendung gilt, liegt eine tiefe Kluft“, wie er 1854 bemerkte. Österreich, Preußen und der Deutsche Bund verfügten über ein ausschlaggebendes Gewicht, wenn sie einträchtig beisammenblieben, und seien unersetzlich für die salus publica Europae, für das allgemeine Wohl. Sie seien die erhaltenden Kräfte und müssten ihre Pflicht darin erkennen, andere zu mahnen, mit Rücksicht auf die Stabilität nicht allzu forsch auf Neuerungen aus zu sein. Die Bewegung nähre sich aus ihrer eigenen Dynamik, vorangetrieben von Ideen und Ideologien Die Ruhe fordere eine besondere Pflege.

Von Ideenpolitik oder dem Konzert der Mächte als Wertegemeinschaft hielt Metternich nichts. Ihn störten, wie er oft beteuerte, die breiten, dehnbaren Worte, wie die Zivilisation, die Fortschritte, die Menschenrechte, das europäische Interesse, die sich mit allen möglichen Absichten verbinden lassen, um eigene Interessen moralisch zu verbrämen und andere zu täuschen oder zu diskreditieren, die an konkrete Missverständnisse und deren Auflösung denken, denen es um die Sache selbst geht und nicht um weite Perspektiven, Erweiterung der Horizonte und andere Gemütsergötzlichkeiten der sogenannten Gestalter einer schöneren Zukunft. Er war ein Feind von jedem Pathos, mit dem Engländer und Franzosen gerne ihre praktischen Zwecke umhüllten, um ihnen eine erhabene Würde zu verleihen; er begriff sich als die verkörperte Prosa.

Der Wiener Kongress, nicht zuletzt Metternichs Werk, das Werk unaufgeregter Staatvernunft, ermöglichte einen Frieden, der schlecht und recht hundert Jahre bis zum Ersten Weltkrieg dauerte. Das spricht für die Einsicht und die Bereitschaft aller nach 23 Jahren Krieg, sich zu verständigen und in Metternichs Überlegungen zu einer starken Mitte Europas eine Bedingung für die europäische Stabilität zu erkennen.

Ablehnung von Ideologisierung
Die spätere nationale Einigung der Deutschen und Italiener, von Metternich nicht vorgesehen, hob die Wiener Ordnung nicht grundsätzlich auf. Denn Bismarck, der Schüler Metternichs, verbündete das Deutsche Reich, das saturiert an keine Erweiterung dachte, sofort mit Österreich-Ungarn, Italien kam hinzu, sodass eine starke übernationale Mitte, nur anders organisiert, an die Stelle der früheren trat, immer bemüht mit Russland in gutem Einvernehmen zu stehen.

Russland blieb ein Teil Europas. Doch Metternich gab sich nie Illusionen darüber hin, in dieser miserablen Zeit ideologischer Wirklichkeitsverluste die umfassende Katastrophe nur hinauszögern zu können. „Mein geheimster Gedanke ist, dass das alte Europa am Anfang seines Endes ist. Ich werde, entschlossen mit ihm unterzugehen, meine Pflicht zu tun wissen. Das neue Europa ist andrerseits noch im Werden; zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben.“

Das Ende vollzog sich dramatisch im Großen Krieg ab 1914, der sich zum Weltkrieg erweiterte und wie einst der Krieg der französischen Revolutionäre als ein Kulturkampf geführt wurde, in dem der Westen auf die Hilfe des Ostens angewiesen war in der Absicht, die Mittelmächte als Feinde der Zivilisation, der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte niederzuringen. Ein Kompromiss mit dem totalen Feind war nicht mehr möglich. Der Krieg wurde zur Strafaktion, den Gerechte gegen Unrechte und Feinde des Menschengeschlechtes führten. Seit über hundert Jahren ist es zu keinem Frieden mehr gekommen und damit zu keiner Ordnung, ob in Europa oder in der Welt, trotz Beschwörungen von Friedensprojekten und einer auf Regeln basierten Weltordnung, in der allerdings eine Supermacht und nicht ein Konzert der Mächte die Regeln bestimmt und über deren Verletzung entscheidet.

Im 20. Jahrhundert wurden übernationale Reiche wie die Donaumonarchie und das Osmanische Reich zerschlagen, das Deutsche Reich aufgeteilt, und Russland stand mit dem Beginn der Revolution vor seinem Zerfall. Es erholte sich wieder, wurde jedoch nie mehr bis auf wenige, kurze Unterbrechungen als Teil Europas behandelt, das ohne diese klassische Großmacht nie zur Ruhe findet. Eine starke Mitte in Europa gibt es nicht mehr. Die Balkanisierung Europas hat in der Mitte ein Vakuum geschaffen. Das Chaos, von dem Metternich gesprochen hat, ist eingetreten. Es ist gar nicht abzusehen, wann sich aus ihm eine neue Ordnung ergeben kann, die dem Auftrag Metternichs und der Wiener Friedenstifter folgt: Schaffe den Dingen Dauer. Denn der Friede ist, wie er meinte, die Ruhe der Ordnung, ohne sie ist er nur ein verlarvter Krieg.

Dr. Eberhard Straub ist Historiker und Publizist. Zu seinen Werken gehören „Zur Tyrannei der Werte“ (2010), „Wagner und Verdi. Zwei Europäer im 19. Jahrhundert“ (2012) sowie „Der Wiener Kongress. Das große Fest und die Neuordnung Europas“ (2014, jeweils bei Klett-Cotta).
www.eberhard-straub.de


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Kommentare

Berlin 59 am 15.05.23, 23:10 Uhr

Soviel Geschreibe um Metternich, leider wurde damals die Chance vertan, Russland auf Moskau zu reduzieren. Was wäre der Menschheit alles erspart geblieben. Kommunismus, 1.Weltkrieg, Hitler( noch so ein Össi ),2 Weltkrieg.

Kersti Wolnow am 15.05.23, 11:31 Uhr

Diese Supermacht, die die Regeln bestimmt und über deren Verletzung entscheidet, sah sich selbst bis 1914 als neutral. Dann begannen interne Verhandlungen und diplomatischem Austausch per Telegramm zwischen USA und England, wie man zugunsten Englands möglichst geräuschlos in den großen Krieg einseigen könnte. Die Bank Morgan vergab Anleihen an Deutschlands Kriegsgegner in Milliardenhöhe, für die diese Waffen in den USA kauften unter Umgehung neutraler Häfen. Es waren also von Anfang an die Lüge und der Betrug unsichtbare Komplitzen dieses Deals. Die uSA verdienten dabei 2x.
Es war also nicht nur ein Kulturkampf, sondern auch ein Finanzkrieg, dessen Weiterführung 1939 unumgänglich wurde, als Adolf die Geldmacht in Übersee am Handel nicht mitverdienen ließ. Es ging um Sein oder Nicht-Sein...bis heute. Vielleicht wird die Vormachtstellung des Dollars in unseren Tagen gekippt, worauf ich sehr hoffe.

Chris Benthe am 14.05.23, 14:57 Uhr

Ganz wunderbare Analyse. Geschichte zum Begreifen und Anfassen, die Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander tanzen lässt. Ich bin beeindruckt.

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