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Angeblich leidet ganz Gaza unter Hunger, aber Waffen gibt es dafür scheinbar im Überfluss. Allen voran die diversen Milizen der Familienverbände, wie der Al-Madschaja-Clan, präsentieren ihre militärische Schlagkraft offen auf Gazas Straßen
bild: picture alliance/ZUMAPRESS.com/Ashraf AmraAngeblich leidet ganz Gaza unter Hunger, aber Waffen gibt es dafür scheinbar im Überfluss. Allen voran die diversen Milizen der Familienverbände, wie der Al-Madschaja-Clan, präsentieren ihre militärische Schlagkraft offen auf Gazas Straßen

Im Gazastreifen

Vom Hamas-Terror zur Clan-Kriminalität

Israels Armee setzt in Gaza aktuell noch auf die Mithilfe von schwer bewaffneten Familien-Milizen

Wolfgang Kaufmann
31.10.2025

Neben der islamischen Terrororganisation Hamas gibt es im Gazastreifen auch Dutzende von großen Familienclans, sogenannte Hamulas, die oftmals eigene schwer bewaffnete Milizen unterhalten. Experten gehen davon aus, dass von den über zwei Millionen Menschen, die im Gazastreifen leben, wahrscheinlich rund drei Viertel einem Verwandtschaftsverband angehören. Und diese Clans versuchen unablässig, zum Machtfaktor Nummer Eins in dem Autonomiegebiet zwischen Ägypten und Israel zu werden. Deshalb ereigneten sich in den letzten zwei Jahren mehr als 200 gewalttätige Zusammenstöße zwischen Hamula-Milizionären und Hamas-Terroristen mit hunderten von Toten. Als besonders erbitterte Gegner der Hamas traten dabei der Abu-Schabab-Clan, der Dogmusch-, der Al-Madschajda- und der Ramis-Hellis-Clan in Erscheinung.

Das Pikante daran: Drei dieser Familienverbände wurden womöglich sogar von Israels Armee unterstützt. So erhielten die „Palestinian Popular Forces“, also die Miliz des Beduinen-Führers und früheren Drogenschmugglers Yassir Abu Schabab aus Süd-Gaza, laut einem Bericht der „Times of Israel“ etliche Kalaschnikow-MPs, welche die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) wiederum getöteten Hamas-Verbrechern abgenommen hatten. Deswegen setzte die Hamas ein Kopfgeld auf Schabab aus. Hingegen stand und steht der Dogmusch-Clan, dessen Anführer die Gruppe „Armee des Islam“ gründete, der nächsten Terrororganisation, Islamischer Staat, nahe.

Nach dem derzeitigen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas sahen die Clans ihre Chance gekommen, die scheinbar am Boden liegende verhasste Hamas endlich final auszuschalten. Vor diesem Hintergrund schrieb Hussam al-Asta, der Führer des Al-Madschajda-Clans, der bislang mit dem größten politischen Rivalen der Hamas, nämlich der säkularen Fatah, kooperierte, auf Facebook: „An alle Hamas-Ratten: Eure Tunnel sind zerstört, eure Rechte existieren nicht mehr. Bereut, bevor es zu spät ist.“

Doch die Hamas, die in letzter Zeit wohl mehrere tausend neue Kämpfer rekrutieren konnte, gab nicht auf und lieferte sich blutige Gefechte mit den diversen Clan-Milizen. Zudem exekutierte die Harakat al-Muqawama al-Islamiya etliche Palästinenser unter dem Scheinvorwurf der Kollaboration mit Israel. Dabei kann man davon ausgehen, dass die meisten Opfer gegnerischen Clans angehörten. Parallel dazu verkündete die Terrormiliz am 13. Oktober eine Amnestie für die Mitglieder der Hamulas, die sich ihr nun anschließen. Das zeigte durchaus Wirkung: Der Al-Madschajda-Clan, dessen Chef gerade noch heftig gegen die Hamas gehetzt hatte, wechselte eiskalt die Seiten. Diesem Beispiel folgten in den letzten Tagen sieben weitere Clan-Milizen.

Aufrüstung der Clans
Ungeachtet dessen setzt Israel nach wie vor auf die übrigen Familienverbände in Gaza, welche die Hamas weiter bekämpfen. Für den stellvertretenden Leiter der Abteilung für Palästina im IDF-Planungsstab, Amit Yagur, führt kein Weg an einer Kooperation mit den lokalen Milizen vorbei, wenn es um die Wiederherstellung der Ordnung im Gazastreifen geht. Ebenso pries der Exekutivdirektor des Middle East Forums und politische Berater des israelischen Außen- und Verteidigungsministeriums, Gregg Roman, die Vorzüge der bewaffneten Clans: Diese hätten in der Vergangenheit ganze Stadtviertel von Hamas-Zellen gesäubert und die Sicherheit der Zivilbevölkerung dort garantiert. Außerdem kontrollierten die Hamulas die grenzüberschreitenden Handelsnetzwerke, die für die wirtschaftliche Erholung im Gazastreifen unverzichtbar seien. Darüber hinaus verfügten die Familienverbände im Gegensatz zur Hamas über ein beachtliches Reservoir an hochqualifizierten Akademikern, die wichtige Positionen im neuen Gaza besetzen könnten – sofern die Hamas endlich von der Bildfläche verschwinde.

Diese euphorische Haltung stößt aber zunehmend auf Kritik. So meinte der ehemalige hochrangige Mitarbeiter des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Shalom Arbel: „Wir geben das, was die IDF tun sollten, einer Gruppe von Kriminellen aus Gaza in die Hand ... Wer überwacht das? Nach welchem Gesetz funktioniert das?“

Unkalkulierbares Risiko
Und der frühere Außen- und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman fügte hinzu: „Plötzlich verteilt der Staat Israel Waffen an alle möglichen Banden. Das ist Wahnsinn. So wie Netanjahu damals versuchte, mit der Hamas ein Gegengewicht zur Palästinensischen Autonomiebehörde aufzubauen, baut er jetzt Milizen, die sich mit dem Islamischen Staat identifizieren, als Gegengewicht zur Hamas im Gazastreifen auf.“ Andere Stimmen wiederum warnen vor der Entstehung eines unkontrollierbaren Warlord-Systems wie in Somalia und dem kompletten Kontrollverlust infolge der Zersplitterung von Gaza in verfeindete kleine Machtzentren unter der Fuchtel der Clans.


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