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Mit der Serie „Lauchhammer“ wirft Das Erste ein Schlaglicht auf die gesellschaftlichen Umbrüche im Braunkohlerevier in Brandenburg
Ein fahler Gelbstich liegt über den Bildern, als hätte die Sonne alles versengt. Trockene leere Ähren flirren in der Luft, hier mag nichts mehr Früchte tragen. Es ist ein verwundeter Landstrich, der sich in der Serie „Lauchhammer – Tod in der Lausitz“ (28. September, 5. und 12. Oktober als Doppelfolge im Ersten und bereits am 8. und 15. September jeweils drei Folgen auf Arte) in all seinen Abgründen zeigt.
Von Schaufelbaggern aufgeworfen und umgewälzt sind die Braunkohlehalden in der Lausitz. Auseinandergerissen, ausgehöhlt der Boden, bis nur noch eine Mondlandschaft übrig blieb, in deren Brachen sich Pfützen bilden. Zu Beginn jeder Folge ertönt eine dunkel raunende Stimme, die der Zuschauer lange nicht zuordnen kann: „Sie haben dieses Land verraten. Sie haben sein Herz geplündert, wir haben gelitten. Unsere Zeit wird kommen.“ Geheimnisse laufen hier von der ersten Minute an unterschwellig mit.
Zunächst erschüttert ein Mordfall die Region. Die junge Ramona wird am Ufer eines künstlich angelegten Sees gefunden, die Augen mit Steinen abgedeckt, im Gesicht schon die Spuren gieriger Vögel. Ermittler Maik Briegand (Mišel Matičević) stammt aus der Region, Polizistin Gottknecht (Odine Johne) aus der Landeshauptstadt Potsdam. Ein gegensätzlich passendes Paar: Er ist heimatverbunden, sie dauernd mit dem Internet verbunden.
Was während der Ermittlungen aufbricht, ist ein Wust aus alten Seilschaften, Vetternwirtschaft und gefühllosen Untaten. Analog zu der verwüsteten Landschaft scheinen viele Bewohner abgestumpft und resigniert. Da sind die in einer Kommune hausenden jungen Leute, angeblich eine Drückerkolonne, die unterm Tisch Drogen verkaufen. Oder die Mutter eines vernachlässigten Jungen, die drogenbenebelt auf dem Sofa liegt, während das Kind im leeren Kühlschrank nach Essen sucht. Und da ist das Lederband mit dem Wolfszahn, mit dem Ramona offenbar erwürgt wurde.
Nichts dem Klassenfeind erzählen
Wenn es eine Wechselwirkung gibt zwischen einem aufgegebenen Industriestandort und seinen Bewohnern, dann ist „Lauchhammer“ dafür der beste Beleg. Dass die beiden Ermittler bei der Fahndung nach Ramonas Mörder auf lange zurückliegende Mädchenmorde mit auffallenden Parallelen stoßen, war so oder ähnlich im Fernsehen schon öfter zu sehen. Die Wechselwirkung einer zerstörten Region und der Verelendung ihrer Bewohner ist dagegen ein völlig neuer Aspekt, der Folge für Folge mehr Sog entwickelt.
Seelisch zerrüttet ist nicht nur die drogenabhängige Mutter der Getöteten, sondern auch der Vater des Ermittlers Briegand, ebenfalls Polizist, der bei der Aufklärung eines zurückliegenden Mädchenmordes seinerzeit von der Stasi ausgebremst wurde. Nach seiner Frühpensionierung vegetiert Karl Briegand (Uwe Preuss) in seiner dunklen Wohnung, bis sein Sohn ihn an den ungeklärten Fall der vor vielen Jahren verschwundenen Kathi erinnert. „Dem Klassenfeind sollte nicht aufgetischt werden, dass hier ein Perverser rumläuft“, sagt der kaltgestellte Ex-Polizist und öffnet das nächste Bier.
Allein die Wohnungen, die der herausragende Kameramann Felix Novo de Oliveira mit einer Aura aus klebriger Schwüle überzieht: vollgerümpelte dumpfe Kammern allesamt, nur der Glitzerstoff über dem Bett der ermordeten Ramona verweist auf eine normale Kindheit. Aber heil ist hier gar nichts. Ramona verdiente sich heimlich Geld im Drogenhandel und wollte nach ihrer Volljährigkeit das Sorgerecht für den kleinen Halbbruder erstreiten.
Bei der örtlichen Polizei arbeiten keine vertrauenswürdigen Beamten, sondern zwielichtige Charaktere, die Schießübungen auf Strohpuppen mit schwarzem Kraushaar verüben. Und anstelle des Dorftrottels schlurft ein Verwirrter durch den Weiler, das Gesicht stets unter einer Kapuze verborgen. Rüdiger wurde als Kind gewaltsam in einen Brunnenschacht gesenkt. Seitdem ist er schwer traumatisiert und hat panische Angst vor Enge. Als er vorübergehend in einer Zelle festgesetzt wird, hilft dem verzweifelt Tobenden zunächst niemand. In Lauchhammer lehnt sich niemand gern auf.
Ohne Mord geht es im TV nicht
Stattdessen sind die Glücksritter eingefallen: In einem Wohnwagen sitzt der aalglatte Immobilienmakler, der das ehemalige Tagebaurevier fein parzelliert als zukünftige Wasserlandschaft verkaufen will, Seegrundstücke im Sonderangebot.
Passend zum Jahrestag der Wiedervereinigung am 3. Oktober wird bei der Ausstrahlung im Ersten eindrucksvoll gezeigt, wie es Menschen geht, wenn sie in die Mühlen der Geschichte geraten. Erst wird ihr Land zu einer braunen Wüste aufgerissen, rund 250 Dörfer mussten samt ihrer Bewohner für den Braunkohletagebau umsiedelt werden.
Nach der politischen folgte dann die ideologische Wende: Der Abbau von fossilen Brennstoffen gilt als klimaschädlich und wird nach und nach eingestellt. Heute sind die aus Polen eingewanderten Wölfe die größte Attraktion der Lausitz. „Die Feinde von gestern sollen heute unsere Freunde sein“, raunt die Erzählstimme zu Beginn der letzten Folge. „Aber wir werden zurückkommen, wie die Wölfe.“
Mit der Serie „Lauchhammer“, der Name verweist auf die reale Kleinstadt im Süden Brandenburgs, ist der ARD ein besonderer Blick auf eine Region geglückt, die exemplarisch für die Wechselfälle der Wende steht. Die Form eines Krimis dient dabei als Transportriemen, ohne den es im Fernsehen wohl nicht mehr geht.
Ab dem 28. September ist in der ARD-Mediathek passend dazu die vierteilige Dokumentation „Hinter dem Abgrund – Leben in der Lausitz“ zu sehen.