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Fast vergessen: „Der Konsum“ als genossenschaftlich organisierter Einzelhändler – Ex-Angestellte berichten von ihren Erlebnissen
Heute, wo fast überall die Ketten des Lebensmitteleinzelhandels das Ortsbild und das Einkaufsverhalten prägen, ist ein Unternehmen in Vergessenheit geraten, das in vielen Orten existent und genossenschaftlich organisiert war: „Der Konsum“, so lautete die landläufige Bezeichnung der Konsumgenossenschaft. Auch im oberpfälzischen Ort Beratzhausen gab es diesen Anbieter rund 15 Jahre, von 1954 bis April 1969.
Die im Oktober 1939 in Beratzhausen geborene Isolde Biberger (geb. Moser) berichtet in ihrer Erzählung „Die giftige Spinne“ von ihrer Ausbildung – nach dem Schulabschluss und ein paar Fortbildungen (Schreibmaschine, Steno) – im gerade neu eröffneten „Konsum“. Das dürfte um 1954/55 gewesen sein. Später übernahm sie sogar die Leitung. Auch einige im Archiv des Marktes Beratzhausen befindliche Fotos beziehungsweise Luftaufnahmen, die deutlich den „Konsum“ und die Nachbargebäude sowie den Johann-Ehrl-Platz zeigen, sind auf das Jahr 1954 datiert.
Die Konsumgenossenschaft gilt als eine besondere Genossenschaftsform im Einzelhandel, die primär Nahrungs- und Genussmittel sowie verwandte Waren des täglichen Bedarfs beschafft und verkauft. Anfänge gab es schon im 19. Jahrhundert, einkaufen durften dort aber nur die Mitglieder. Dem Konsum haftete eine Nähe zu Gewerkschaften und zur Sozialdemokratie an, weshalb in der NS-Zeit ein Verbot erfolgte. Nach dem Krieg gab es im Jahr 1948 in den drei Westzonen bereits wieder 250 Konsumgenossenschaften mit 750.000 Mitgliedern und 5700 Verteilungsstellen. Auch in der DDR wurden nach dem Krieg Konsumgenossenschaften gegründet, welche die Waren aus den staatlichen Produktionsgenossenschaften in eigenen Läden verkauften. Wer damals „zum Konsum“ ging, meinte damit eine der Verkaufsstellen.
Als eine der ersten Lehrlinge im Beratzhausener Konsum wurde Isolde Biberger bereits genannt. Geschäftsführer war ein Herr Zednik. Im September 1955 begann Roland Franz die Lehre, ein Jahr später Maria Kohnhäuser und im September 1958 Brigitte Huber, die als Zeitzeugen der PAZ von ihren Konsum-Erlebnissen berichten. Die Lehrlinge mussten alle anfallenden Arbeiten erledigen, auch Putzen oder das Dekorieren der Schaufenster. Der theoretische Unterricht war in der Berufsschule und in der Firmenzentrale in Regensburg angesiedelt. Darüber hinaus gab es Lehrgänge in Dießen am Ammersee. Eigentümer des Hauses, in dessen Erdgeschoss sich die Räume des Konsum (Verkaufsraum, Lager) befanden, war Josef Meier (Hausname „Kowerl“).
„Danziger Goldwasser“
Von der Zentrale in Regensburg in der Donaustaufer Straße erfolgte jeden Dienstag, Donnerstag und Sonnabend die Lieferung der Waren. Im Vorfeld mussten die Käufer, damals ausschließlich Genossenschaftsmitglieder, ihre Bestellung abgeben. Die Lieferung umfasste etwas mehr, auch um Bestände für andere Zwecke, wie für Schaufensterdekoration oder Ersatz für kaputtgegangene Ware, verfügbar zu haben.
„Viele der Waren wurden lose gelagert und in Packungen zu einem oder zwei Pfund eingewickelt“, erinnert sich Maria Kohnhäuser. Für andere Produkte wie etwa Bratheringe oder Sauerkraut hatten die Kunden Becher oder Gefäße dabei. „Manche verlangten die Brühe vom Brathering“, erzählt Brigitte Huber. Besonders Obst und Gemüse mussten exakt gewogen werden – von den Mitarbeiterinnen. An Selbstbedienung war damals nicht zu denken, auch wenn es manche Kunden versuchten. „Im Konsum habe ich die ersten Bananen gesehen“, erinnert sich Huber. Die Abrechnungen erfolgten in den ersten Jahren noch mit Hand und Kopf, und die Kassenzettel waren handschriftlich mit Pauspapier-Durchschlag. „Man musste selbst mitrechnen und mitdenken – Kopfrechnen war das A und O. Man hat die Preise für alle Waren im Kopf gehabt“, fasst Roland Franz zusammen.
Im Konsum waren größtenteils Eigenprodukte der Genossenschaft im Angebot. Getränke, Lebensmittel (auch Fisch- und Fleischprodukte) sowie Putz- und Waschmittel. „Das erste Fremdprodukt war die Margarine von Sanella“, erinnert sich Franz, später kam „Rama“ dazu.
Auch das Angebot von Waren in Gläsern – zum Beispiel Marmelade – setzte sich durch. Beliebt waren der Gewürzlikör „Danziger Goldwasser“ und der ostägäische Wein „Samos“. Die Süßigkeiten musste Franz anpreisen, weshalb er den Kosenamen „Süßer Roland“ erhielt. „Das habe ich gehasst“, meint er heute dazu. Tiefkühlware kommentierten die Leute oft mit der Bemerkung: „Kann man das essen?“ Bohnenkaffee kauften nur zwei Kunden – und zwar in Portionen von exakt 50 Gramm. „Ein Kilogramm kostete damals über 20 Mark“, gibt Franz zu bedenken.
Öffnungszeiten waren von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr. Damals galt noch die Sechstagewoche, also auch Arbeit am Sonnabend bis 18 Uhr. Dies verkürzte sich im Laufe der Jahre zunächst auf 16 und dann auf 14 Uhr. Und es konnte vorkommen, dass die Inventur auch mal bis zwei oder drei Uhr in der Nacht gedauert hat.
Vor Weihnachten gab es verkaufsoffene Sonntage. Die für Weihnachten beliebten Karpfen sind den früheren Konsum-Mitarbeitern ebenfalls in Erinnerung. Denn die Fische wurden lebendig geliefert und mussten im Lager mit einem Hammer erschlagen werden. Manche Kunden wollten ihren Karpfen sogar lebend haben – Herausforderungen also für die Bediensteten. Zum Allerweltskirchweihtag gab es dann – auf Vorbestellung – nicht grätigen Karpfen, sondern süßen Krapfen.
Klatsch und Tratsch im Konsum
Natürlich war der Konsum, der – wie damals üblich – von einem Holzofen gewärmt wurde, auch ein wichtiger Kommunikations- und Informationsort. „Man hat vom Dorf alles gewusst, von den Frauen, die eingekauft haben, Neuigkeiten erfahren. Man hat zu 80 bis 90 Prozent die Leute mit ihrem Namen gekannt“, erinnert sich Franz.
Wenige Kunden hatte der Konsum aus dem bäuerlich-ländlichen Umfeld. Hier hatten die örtlichen Mitbewerber die Nase vorn, auch weil diese mit ihren Pkw-Transportern regelmäßig mobil auslieferten. Das war beim Konsum eher die Ausnahme, auch wenn das Fuchzgerl Trinkgeld „viel Geld“ war. Die Gewerkschaftsnähe drückte sich auch darin aus, dass die Mitarbeiter am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, an der Kundgebung im Regensburger Gewerkschaftshaus teilnehmen mussten.
Eine Förderung erfuhr Franz, da er neben dem Geschäft in Beratzhausen auch in den Filialen Hemau, Parsberg, Undorf und Laaber eingesetzt war. Schließlich wechselte er aber den Arbeitsplatz und das Unternehmen – auch aus dem Grund, weil seine Kumpel am Sonnabend frei hatten. Mit 19 Jahren wurde er dann Leiter eines Selbstbedienungsladens in Wörth a.d. Donau. „Mir hat's gefallen, aber verdient hat man wenig“, bilanziert Brigitte Huber. Sie war danach bei besserem Lohn in der örtlichen Kleiderfabrik Kaiser tätig.
Die Filialleitung und drei Verkäuferinnen bildeten das Konsum-Personal. Isolde Biberger spricht von einen „guten Betriebs- und Verkaufsklima“. Aber es gab auch Herausforderungen. „Der Umsatz musste stimmen, die Anzahl der Mitglieder sollte sich erhöhen und die Lehrlinge mussten etwas lernen“, betont sie im Rückblick.
Das Vordringen der Discounter und großen Einzelhandelsunternehmen bedeutete für Genossenschaften eine wirtschaftliche Bedrängnis. Aktiengesellschaften erwiesen sich damals als die bessere Rechtsform, dazu kamen Um- und Neuorientierungen sowie in vielen Bereichen Modernisierungsdebatten.
Der Konsum wurde ein Auslaufmodell, an seine Stelle trat in den 1960er Jahren die Marke „coop“. Konkret in Beratzhausen übernahm der hier bereits in der Falkenstraße tätige Einzelhändler Fritz Spangler in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre den Konsum und wandelte ihn zu einer Filiale um. Aber Spanglers Geschäft ist heute genauso Geschichte wie die früheren Edeka-Filialen Scheck und Eichenseher. So ging „coop“ im Jahr 2016 im Rewe-Konzern auf.