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„Was man macht, kann einen überdauern“

Seit 33 Jahren in der Heimat zurück, fühlt es sich an, als sei Melitta Sallai kaum weg gewesen

Chris W. Wagner
07.10.2025

Sie ist 97 Jahre alt, sitzt inzwischen im Rollstuhl, aber sprüht dennoch vor Witz und erfrischender Vitalität. Sie ist eine aufgeweckte, geistreiche Zeitzeugin, die gern über das alte Schlesien erzählt: Melitta Sallai.

1992 kehrte sie in ihre niederschlesische Heimat Muhrau [Morawa] bei Striegau [Strzegom] zurück und lebt seit damals in ihrem alten Kinderzimmer, dass sie bis zu ihrem 17. Lebensjahr mit ihrer Schwester teilte. Die Familie Wietersheim-Kramsta, so Melittas Geburtsname, musste zum Kriegsende Schlesien verlassen. Ein Schicksal, das sie mit Millionen deutschen Schlesiern teilte. Kürzlich berichtete sie darüber im Breslauer Haus Oppenheim am einstigen Blücherplatz [Plac Solna]. Anlass dafür war eine Filmpräsentation über ihr bewegtes Leben und die Geschichte des Schlosses Muhrau. Der Film „Ein schlesisches Schicksal“ von Dariusz Deberny zeichnet das Schicksal vieler schlesischer Familien.

Melitta war bereits 65, als sie die Worte ihrer Mutter befolgte: „Geht zurück und macht was draus. Nicht wiederhaben wollen, denn was man hat, hat man nur solange man lebt. Aber was man macht, kann einen überdauern“. Melittas Schwester hatte sie in ihrem Beschluss bekräftigt, denn auch sie wollte das neoklassizistische Familienschloss vor dem Verfall bewahren.

Melitta kaufte nicht einfach den Familienbesitz zurück, sie gründete vielmehr eine Stiftung: die St.-Hedwig-Stiftung, und richtete 1993 im Schloss einen Kindergarten für arme Kinder ein. Inspiration für den Stiftungsnamen fand Melitta in Oppeln, als die früh zum Katholizismus konvertiere Frau und ihre protestantische Schwester Anfang der 90er Jahre den damaligen Oppelner Bischof Alfons Nossol besuchten. „Meine Schwester sagte damals: ‚Ich küsse nicht den Bischofsring, denn ich bin evangelisch'. Nossol, der das ja verstanden hat, lachte laut und sagte: ‚Ich bin hier der oberste der Ökumene.' Er erklärte, dass die Breite des Katholizismus, die Tiefe des Evangelischen und der Geist der Ostkirche für ihn die wahre Kirche seien. Das hat mich sehr beeindruckt“, erinnert sich die Rückkehrerin.

Doch trotz ihres sozialen Engagements in Muhrau war man ihr gegenüber anfangs reserviert. „Als ich zum Beispiel Milch holen ging und ich die Dorfbewohner grüßte, drehten die sich weg. Als die Menschen merkten, dass ich nichts für mich zurückhaben wollte, hatte man mich dann schnell akzeptiert.“

Die Anwältin und einstige Rechtsberaterin im Breslauer Deutschen Generalkonsulat, Maria Keller, hatte in den 90er Jahren mit vielen deutschen Investoren und Familien zu tun, „die hier riesige Vermögen und Paläste besaßen.“ Gegenüber Deutschen herrschte eine große Abneigung, berichtet die Anwältin. „Um investieren zu können, mussten sie Genehmigungen in Warschau einholen. Es war ein Kampf gegen Windmühlen, denn sie erhielten in der Regel Ablehnungen. Deshalb bewundere ich Melitta, was sie alles geschafft hat“, so Keller. Melitta sei immer konsequent und hartnäckig gewesen, erinnert sie sich. „Heute erzählt sie Anekdoten, macht Witze. Aber wenn es darum ging, für ihr Kindergartenprojekt zu kämpfen, war es ihr bitterernst. Sie holte sogar Kinder aus Striegau oder Schweidnitz [Świdnica] von zu Hause ab, weil die Eltern kein Geld für Busfahrkarten hatten“, sagt Keller.

Für die Kunstmäzenin Viola Wojnowski, die Melitta ins Oppenheimhaus einlud, sei sie eine doppelte Rückkehrerin, denn sie ist auch durch ihren sozialen Einsatz „wieder das, was die adligen Familien früher im Dorf waren, nämlich Betreuer und Ehrenmenschen. Wenn Melitta den Raum betritt, füllt sie ihn mit ihrer Persönlichkeit aus.“ Melitta habe vieles von ihrem vorausschauenden Wesen ihrer Mutter zu verdanken, sagt Wojnowski. Herta Wietersheim-Kramsta wurde „der Große Preis von Schlesien“ genannt, weil sie nicht nur sehr schön, sondern auch sehr reich war. „Und sie war klug“, sagt Melitta, „denn sie kaufte noch im Krieg ein Haus im Walsertal, wohin die Familie geflüchtet ist.“ Früher war es Brauch in Schlesien, dass, wenn ein Mädchen geboren wurde, man den Wein für die spätere Hochzeit kaufte. „Bei drei Töchtern war unser Weinkeller schnell voll. Bevor wir auf die Flucht gingen, hatte meine Mutter Gummischuhe angezogen, einen Hammer genommen und alle Weinflaschen zerschlagen. Das hat wahrscheinlich das Haus Muhrau gerettet. Denn, wenn die Russen kamen und Wein getrunken haben, sind die Häuser im Rausch kaputt gemacht worden“, so Melitta. Auch den Tresor habe Mutter Herta offen mit dem Schlüssel im Schlüsselloch hinterlassen: „Wir nutzten den heute noch.“

Ob sie in ihrer schlesischen Heimat etwas vermisst? Melitta verneint: „Ich liebe das Einfache“, sagt sie. Sie habe es in Angola, wo sie jahrzehntelang mit ihrer Familie eine Kaffeeplantage betrieb, gelernt. Auch fühle sie sich nicht alleine in Muhrau, denn ihre zwei Söhne besuchen sie oft mit den Enkelkindern.

Peu à peu gelang es der St.-Hedwig-Stiftung das Muhrauer Schloss zu renovieren und die zwölf Hektar Land zu bewirtschaften. Heute finden im Schloss Veranstaltungen, Vorträge und Workshops vor allem für deutsch-polnische Jugendgruppen statt. Der Kindergarten zog vor drei Jahren aus dem Schloss in die frisch renovierte Remise um. Und nun steht ein neues Projekt an: die Sanierung des Schlossturms.


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