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Der Wochenrückblick

Was Walter noch wusste

Warum Gysi seine Wähler nicht mehr findet, und wieso „Demokraten“ gegen Wahlen anrennen

Hans Heckel
06.07.2024

Das Entscheidende in der Demokratie sei, dass man „die Menschen abholt“ und „mitnimmt“, erklären unsere Politiker jedes Mal, wenn ihnen schon wieder Millionen von Menschen davongelaufen sind – so wie bei der Europawahl oder in Frankreich beim ersten Durchgang der Parlamentswahlen. Ob sie sich auch ernsthaft fragen, warum das mit dem „Abholen“ und „Mitnehmen“ immer öfter schiefgeht?

Interessante Frage! Eine Antwort lieferte uns Gregor Gysi. Zufälligerweise exakt zu dem Zeitpunkt, als der Verfasser dieser Zeilen ein paar Tage auf Sylt verbrachte, ließ sich der Linkspartei-Star über jene Insel aus, die seit den schrägen Gesängen von Kampen im linken Lager noch ein bisschen verschriener ist als ohnehin schon. Seitdem steht das Eiland nicht mehr nur für „soziale Ausgrenzung“, sondern gilt zudem als Hort des Faschismus. Schlimmer geht's nimmer.

Aber bleiben wir bei Gysi. Beim Talk mit Harald Schmidt erklärt er uns, was er auf Sylt als Inbegriff der sozialen Ungerechtigkeit entdeckt haben will. Früher habe man ärmere Menschen gar nicht erst auf die Insel gelassen, doziert der einstige SED-Chef. Wie müssen wir uns das vorstellen? Standen Kontrollposten am Hindenburgdamm, um Leute mit zu geringem Einkommen oder Vermögen in den „Push back“ zu schicken? Die Geschichte muss ihm Karl-Eduard von Schnitzler höchstpersönlich erzählt haben, denn nur in dessen legendärer DDR-Sendung „Der schwarze Kanal“ war man beherzt genug, um sich derlei Schwachsinn auszudenken.

Gysi glaubt das offenbar. Und heute? In unseren Tagen grenze man die sozial Schwachen mit den astronomischen Preisen aus, sagt er. Ein normales Essen koste ja schon mindestens 45 Euro. Und die Ausgrenzung zeige Wirkung, weiß der Altkommunist zu berichten: „Am Strand trifft man da gerade drei Leute, und das im August!“

Wo auf der Insel ist der Mann gewesen, um sich seinen „Klassenstandpunkt“ erhärten zu lassen? In Orten wie Westerland oder Wenningstedt, wo wir Durchschnittsdeutsche zumeist Logis nehmen, gewiss nicht. Ein Essen unter 45 Euro ist dort kein Problem, und wer am Strand nur drei Leutchen antreffen will, muss sich im August schon auf eine sehr ausgefallene Tages- oder besser Nachtzeit verlegen. Nein, Gutverdiener Gysi weilte wohl eher im noblen Kampen, um mit seinen privilegierten Freunden bei einem sündteuren Mehrgängemenü auf den Kampf für die Gleichheit anzustoßen und danach die Einsamkeit der kilometerlangen Strandidylle nördlich von „Buhne 16“ zu genießen, wo das mit den „drei Leuten“ tatsächlich möglich ist. Zum „Abholen“ findet er da verständlicherweise kaum jemanden.

So steht Gysis Sylt-Anekdote sinnbildlich für die Tragödie der eingebildeten „Abholer“ und „Mitnehmer“: Sie meiden den Kontakt zum „normalen Bürger“ schon fast reflexhaft und tauschen sich nur noch mit Ihresgleichen aus, ohne zu bemerken, wie sie sich in ihrem eigenen kleinen Versailles hinter meterdicken Brandmauern isoliert haben.

Daher verhallt der Aufschrei „Haben die den Schuss nicht gehört?“, der immer mehr Deutschen entfährt angesichts hanebüchener Entscheidungen oder Sprüche ihrer Politiker, ohne Wirkung. Natürlich haben sie den Schuss nicht gehört, die Mauer ist zu dick dafür. Und wenn doch etwas durchschallt, hören sie weg. Das kann ja nur rechter Pöbel sein, den man ignorieren muss.

Wenn „falsch“ gewählt wird
Aber was geschieht, wenn „falsche“ Wahlergebnisse die höfische Idylle stören, weil sich das missgelaunte Volk den Zirkus nicht mehr bieten lassen will? Kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. In Frankreich sind Tausende Unterstützer des linken Lagers auf die Straße gegangen, um gegen das Wahlergebnis zu demonstrieren. Was wollen sie damit eigentlich erreichen? Etwa, dass das Resultat mit dem Erfolg von Marine Le Pens Partei rückgängig gemacht wird?

Klingt für den Durchschnittseuropäer vollkommen lächerlich, für uns Deutsche jedoch nicht mehr, seitdem bei uns genau das im Frühjahr 2020 durchgezogen wurde – das Rückgängigmachen einer ordnungsgemäß durchgeführten demokratischen Wahl, weil den Mächtigen das Ergebnis nicht passte. Möglicherweise hat Thüringen die Blaupause dafür geliefert, was zu tun ist, wenn das Volk nicht mehr will, wie es soll. Dann kann man sich die Mühen mit dem „Abholen“ und „Mitnehmen“ sparen. Dann wird einfach durchregiert, und wer dagegen aufmuckt, ist eben kein Demokrat.

Auf EU-Ebene tastet man sich bereits vor in die neue Praxis des Regierens unter Missachtung von Wahlergebnissen. Dort haben sich etliche Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen zusammengesetzt, um über die neue EU-Kommissionspräsidentin zu entscheiden. Nicht eingeladen war Georgia Meloni, obwohl Italien das drittstärkste Land der Union ist und obendrein zu den sechs Gründungsmitgliedern zählt. Warum der Ausschluss? Die Italiener haben falsch gewählt, das disqualifiziert sie, weshalb sie bei so einer wichtigen Entscheidungen draußen bleiben müssen, damit die „Demokraten“ unter sich kungeln können.

Demokraten? Ist das, was da von Erfurt bis Brüssel praktiziert wird, nicht das genaue Gegenteil von Demokratie? Das kommt darauf an. Man hat sich in der modernen Linken längst auf einen ganz neuen Begriff von Demokratie geeinigt, wie bei dem Krawall von Paris erneut sichtbar wurde.

Wenn wir bislang an Linksextreme und ihr Verhältnis zur Demokratie dachten, kam uns meist der historische Ausspruch von Walter Ulbricht in den Sinn – es müsse alles demokratisch aussehen, aber wir (die Kommunisten) müssten alles in der Hand haben. Was wenig beachtet wird: Ulbricht ließ mit diesen Worten durchblicken, dass er immerhin noch wusste, was Demokratie in Wahrheit bedeutet, weshalb er einen fiesen Trick empfahl, um das Volk zu betrügen.

Heute ist dieses Wissen bei vielen Linken verloren gegangen – oder genauer gesagt, mit Macht selbst verdrängt worden. Denn heute lautet ihre Devise: Nur wenn wir alles in der Hand haben, ist es überhaupt demokratisch. Wenn die anderen per demokratischer Wahl die Macht zugesprochen bekommen, ist das „demokratiefeindlich“, und die „engagierten Demokraten“ müssen Wege finden, wie sie das Ergebnis politisch unschädlich machen, wobei der Zweck die Mittel heiligt wie seinerzeit in Thüringen.

Vielleicht erklärt dies das gelangweilte Desinteresse, mit dem beispielsweise Nancy Faeser auf die Empörung über die Welle von Prügelattacken, Messerangriffe und Vergewaltigungen reagiert, die unschwer auf eine gewisse Art von Zuwanderungspolitik zurückzuführen ist. Irgendwie scheint sie einen Machtverlust infolge dieser Empörung gar nicht zu fürchten. Worauf gründet sich diese verblüffende Gelassenheit?

Möglicherweise werden wir über den wahren Zustand unserer Demokratie bald mehr erfahren, als uns lieb ist.


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Kommentare

Annegret Kümpel am 07.07.24, 20:31 Uhr

Diejenigen die ständig die "Demokratie" beschwören sind die Antidemokraten. Wann endlich bemerken die Wähler diesen Betrug und wählen mal richtig?

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