Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
„Glocken hör’ ich klingen, und die Fenster sind erhellt …“ - Als mittels historischem Brauchtum eine neue Zeit eingeleitet wurde
Es sind die 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts. Stettin hat in den Wochen vor Weihnachten geschmückt, den Paradeplatz, die Mönchen-, Schulzen- und Kleine Domstraße, auch die Breite Straße, das Herz der Großstadt. Überall leuchtet es heimelig.
Wohl niemand verschließt sich diesem hellen Schein. Tannenbäume auf Plätzen und an den Stadttoren schimmern im Lichterglanz von kleinen und großen elektrischen Birnen. Besonders zur Vorweihnacht, der schönste Zeit im Jahr, werden stets tausende Besucher vom Land erwartet. Wochen voller knisternder Spannung und froher Erwartung stehen bevor. War es nicht wie ein Zauber, wenn es im Dezember freudig und verheißungsvoll zuging? Vorfreude machte sich breit.
Heimlich wurde genäht, gestrickt und gebastelt. Die Gute Stube oder den Schrank verschloss Mutter und versteckte den Schlüssel in ihrer Schürzentasche. Zum Erspähen blieb nur noch das Schlüsselloch. Hinzu kam die traditionelle Weihnachtsbäckerei mit einem Butterstuten, der immer gewünscht wurde.
Eine Überraschung bereiteten 1934 die pommerschen Frauen der NS-Frauenschaft in den Messehallen Anfang Dezember. In dem Grün der Bäume standen zahlreich Buden, in denen in Mußestunden fleißig selbstgearbeitete Sachen auslagen. Handgewebtes Leinen, Flickenteppiche und große und kleine Diwandecken in vielen Farbtönen, Kleidung, wie Schürzen und Jacken, die sich von der Konfektion vorteilhaft abhoben. Der neuen Zeit geschuldet, adaptierten die Frauen pommersche Volkskunst.
Weihnachtsmarkt im Wandel
Natürlich sind auf dem beheizten Weihnachtsbasar neben Bastel- und Holzarbeiten entzückendes Kinderspielzeug zu sehen – Mütter wissen, was Kinder begeistert. Natürlich stehen für das leibliche Wohl Buden mit heißen Würstchen bereit, es gibt Kaffee und Kuchen und an besonderen Ständen alle in Pommern beliebten Schnäpse, Punsche und Grogs. 26 Kreise haben ausgestellt. Zweifellos herausgehoben steht die Jamunder Bauernstube. Der Reingewinn aus den Verkäufen war für das Winterhilfswerk bestimmt.
Den im Dezember ständig stattfindenden Weihnachtsmarkt gab es in der Lindenstraße, er reichte weit in die Friedrichstraße hinein. Hier reihten sich Bude an Bude. Schokolade, Bonbons, Zuckernüsse, Rollen mit Steinpflaster, Pfefferkuchen mit Mandeln und hübschen Zuckergussverzierungen preisen die Händler mit heiserem Rufen an. Weiter gab es Spielsachen, bunte Windräder, Bälle in allen Größen, Kreisel, Teddybären, Puppen und Puppengeschirr. Andere Angebote wechselten in schöner Reihenfolge: Schmuck, Hosenträger, Strickjacken, Zahnputzmittel, Lockenwickler, daneben Zigarren, Obst, Pelzwaren und Damenwäsche. Die riesengroße Auswahl hat sich beim Einkauf meistens auf den nützlichen Gebrauch von Tagtäglichem beschränkt.
Die Warenhäuser mit ihren ganzseitigen Annoncen in den Zeitungen waren keine Konkurrenz. Wer wollte sich denn einen Bummel zwischen Ständen und Buden entgehen lassen und auf die besondere Atmosphäre der Märkte verzichten? Dazu tragen auch die Gerüche der unzähliger Karbidlampen unter den Zeltplanen bei, sie vermischen sich mit dem Duft der Pfefferkuchen, den verschiedenen Obstsorten, gebrannten Mandeln und den Spirituskochern der Wurstverkäufer.
Der „Goldene Sonntag“
Männer und Frauen mit ihren Sammelbüchsen gehören ebenfalls zum Straßenbild. Das nahende Fest öffnet stets den Geldbeutel. Bereits an den Sonnabenden pulsiert das Leben in den Straßen. Der Einzelhandel freut sich über den regen Besuch der Kunden.
Doch von den drei verkaufsoffenen Sonntagen beschert der „Goldene Sonntag“, der letzte Adventsonntag nach dem „Kupfernen“- und „Silbernen Sonntag“ erfahrungsgemäß den größten Umsatz in der Weihnachtszeit. In den Straßen ist kaum ein Durchkommen, ein Schieben und Drängeln. Zeitweilig schließen die Warenhäuser ihre Pforten, weil auch manche Eingangstür in Scherben ging. Die Straßenbahnen kommen kaum voran, andere Fahrzeuge bleiben stecken, weil sich auch die Fahrstraße mit Fußgängern anfüllt. Fast alle tragen große und kleine Pakete. Die Polizei hat einen schweren Stand.
Besonders in den Läden der Altstadt war das Feilschen üblich. Den ausgezeichneten Preis der Ware erkannte der Kunde oft nicht an. Er wollte den Preis drücken. Zufrieden war er erst, wenn er einen Preisnachlass herausgeschlagen hatte.
Auch Spielzeug kündigt Wende an
Ganz anders aufregend für die Jungen war ein Rundgang durch die Spielzeugläden. Bereits im Dezember 1935 kündigte sich an, was vier Jahre später bittere Wirklichkeit werden sollte. Es bescherte der „wehrhafte“ Weihnachtsmann. Beliebt waren Dinge, wie Flugzeuge, Fliegertruppen, schnittige Jäger, schwere Kampfmaschinen mit und ohne Beleuchtung und für die Flugabwehr gibt es motorisierte Flakartillerie, wobei riesige Scheinwerfer nicht fehlen. Besonders fesselt ein hochmodernes motorisiertes Küstengeschütz in technischer Vollkommenheit, wie es als Spielzeug bisher noch nicht zu haben war.
Ein Erlebnis für Erwachsene und Kinder war auch die Ausstellung im Pommerschen Landesmuseum: „Pommersche Weihnacht“ im Jahre 1935. Hier wurde dem Besucher lebendiges Volkstumswissen vermittelt.
Im Jahre 1936 wurde der spätere Architekt Hans Bernhard Reichow Stadtbaudirektor in Stettin. Zur Einführung beziehungsweise Wiederbelebung volkstümlichen Brauchtums lässt er auf dem Paradeplatz, nahe dem Berliner Tor und am Kaiser-Wilhelm-Denkmal, riesig leuchtende Weihnachtspyramiden, erstmals 1938, aufstellen. An ihnen hängen Figuren Stettiner und pommerscher Symbole wie Matrose, Flunder und Anker, die leicht im Dezemberwind schaukeln.
Etwas traditionelles in neuen Formen gibt es in der Pfefferkuchenbäckerei, denn die Losbäcker in Stettin setzten es im Jahr 1614 durch, dass sie allein Lebkuchen backen durften. Überall lagen bald die neu entworfenen, hübschen goldbraunen Figuren mit weißem Zuckerguss in den Schaufenstern.
Die schön in Kartons verpackten „Stettiner Peperkoken“, auch Gebildbrot genannt, galten nach ihrer Einführung 1938, als pommersche Spezialität und gingen zu Weihnachten päckchenweise vielerorts hin. Ihn gab es bereits 1939 nur auf Zuteilung. So wurde er angepriesen: „Den bannig, bannig groten Stettiner Peperkoken, den motens versoken!“
Saisonale Bräuche
Der bereits vermutete Krieg hatte begonnen. Trotz Transportschwierigkeiten und Verdunklungsvorschriften konnte 1939 der Weihnachtsmarkt wieder in der Lindenstraße, vom 17. bis 23. Dezember, abgehalten werden. Etwa zur Hälfte des früheren Umfangs besetzten ambulante Händler den Markt. Nicht nur Spielsachen, Gebrauchs- und Luxusgüter, sondern auch lebenswichtige Bedarfsartikel wie Bekleidung und Filzpantoffeln boten sie feil. Das änderte sich 1940: Der schwach besetzte Weihnachtsmarkt hatte jedoch wenigstens einen zufriedenstellenden Umsatz. Die Leuchtpyramiden fehlten begreiflicherweise in der Adventszeit, und der „Peperkoken“ konnte auch nur eingeschränkt verkauft werden.
Die pommerschen Weihnachtsbräuche sind zudem erwähnenswert, das Sinnige und Gemütvolle, was sich aus heidnischem, mittelalterlichem und protestantischem Kulturgut entwickelt hat. Pommern ist das Land der Tiermaskenumzüge, des in Skandinavien üblichen Julklappwerfens und des vorreformatorischen, im hinteren Ostpommern üblichen Quempassingens. Eine noch größere Rolle spielen der St. Nikolaus als Knecht Ruprecht und der Weihnachtsmann, beide sind vorwiegend Gabenspender. Das Christkind füllt im Dunkeln die vor der Tür abgestellten blitzblank geputzten Schuhe mit Süßigkeiten. Weihnachtskrippen kommen kaum vor.
Tradition: Fisch und Gans
Schnell sind die Stände und Buden vom Weihnachtsmarkt abgebaut, der jetzt einsam daliegt. Heilig Abend ist da, endlich. Spätnachmittags leeren sich die innerstädtischen Straßen, und bald erklingt die Glockensymphonie aller Glocken. Ein brausendes Klingen in Akkorden wogt über die Stadt hinweg. Die Familien gehen zur Christvesper. Die Orgel ertönt. An ihr spielt der neue Meisterorganist Theo Blaufuß. Gesang hebt an; die Gemeinde singt: „Wie soll ich dich empfangen.“ Der Chor und die Solisten bieten fast vergessene Werke aus dem Weihnachtsoratorium von Carl Loewe.
Nach dem Weihnachtssegen und dem Lied: „O, du fröhliche, o, du selige gnadenbringende Weihnachtszeit“ geht jeder frohen Herzens heim. Straßen und Häuser sind erhellt. Es hatte frisch geschneit. Unsere Stadt ist verwandelt, wie verzaubert. In der Wohnung öffnet sich das Wohnzimmer. Der Weihnachtsbaum strahlt. Die Großeltern sind da und Kinder sagen herzklopfend ihr Gedichte auf, worauf die schönen, bewegenden Weihnachtslieder gesungen wurden.
Die Bescherung war bereits. Begeisterung kam auf – jetzt spielen die Kinder. Sie sind glücklich, dürfen heute länger aufbleiben. Wichtig zum Fest sind – damals wie heute – schmackhafte Speisen, die oft und reichlich auf den Tisch kommen. Am Heiligen Abend Fisch und am Ersten Feiertag – 'ne „Jans“.