17.03.2025

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Fremdenführer entdecken immer häufiger die deutsche Vergangenheit unter dem  zunehmend bröckelndem Putz
Bild: WagnerFremdenführer entdecken immer häufiger die deutsche Vergangenheit unter dem zunehmend bröckelndem Putz

Östlich von Oder und Neiße

Wenn Vor- und Nachkriegszeit nicht mehr Maßstab sind

Eine Kasachstan-Polin führt als Stadtführerin zu alten deutschen Inschriften

Chris W. Wagner
17.03.2025

Der Welttag des Fremdenführers wird seit 1990 am 21. Februar begangen. In Stettin [Szczecin] wurde er zwar erst am 1. März, dafür aber mit vielen kostenlosen Stadtführungen gefeiert – auch auf Deutsch. So standen der im 13. Jahrhundert angelegte Heumarkt in der historischen Altstadt, das im Krieg zerstörte und 1968 wiederaufgebaute Alte Rathaus, das Stettiner Schloss oder die 500 Meter lange Hakenterrasse auf dem Programm.

Fremdenführerin Polina Wierzchowiec wandelte in ihrer Führung jenseits der ausgetrampelten Pfade. Sie führte beispielsweise zum Pommerschen Gutsherrenpalast, „wo sich in Räumen, die sonst unzugänglich sind, Fresken mit Ansichten pommerscher Städte mit deutschen Inschriften befinden“, berichtet sie gegenüber dem Stadtportal „wSzczecinie.pl“.

Das alte Stettin und wie es wieder mehr und mehr sichtbar wird, ist ihr Steckenpferd. Wierzchowiec ist Autorin des polnischsprachigen Buches „Spod Tynku, przeszłość miasta utrwalona w napisach“ (Unter dem Putz ist die Vergangenheit der Stadt in Inschriften verborgen). „Zum großen Teil sind es deutsche, seltener lateinische Inschriften“, sagt sie. Es gebe aber auch einige in russischer Sprache. Letztere stammen aus der Nachkriegszeit, als sich Sowjetsoldaten noch in der Stadt aufhielten. Einige finde man noch an den Kasernengebäuden oder am Hospital in der Kreckower Landstraße.

Während ihrer Führungen durch die Innenstadt, die Stadtteile Torney [Turzyn], Braunsfelde [Pogodno] oder Zabelsdorf [Niebuszewo] berichtet sie zudem darüber, wie die neuen Bewohner nach Kriegsende in freiwilligen Arbeitseinsätzen alles Deutsche vernichtet hatten. „Ich bin auf einen Brief an die Stadt gestoßen, in dem sich ein Einwohner beschwerte, dass er am Hauseingang die deutsche Inschrift bereits fünfmal überstrichen hatte und man sie immer noch lesen könne. Mehr Farbe habe er nicht und würde es nun bleiben lassen.“

In Stettin gibt es bis heute keine Regelungen, was mit solchen Inschriften geschehen soll, bemängelt die aus Kasachstan stammende Stadtführerin. „Nach 1989 haben wir Polen allmählich begonnen, die Städte anders zu betrachten. Wenn heute auf solche historischen Inschriften hingewiesen wird, weiß die Stadt nicht wirklich, was damit passieren soll. Deshalb ist es so, dass diese an manchen Denkmälern erhalten bleiben, an anderen werden sie entfernt.“ Als vor zehn Jahren das Gebäude des Nationalmuseums, das sich an der Hakenterasse befindet, saniert wurde, kam die Frage auf, was mit dem deutschen Namen auf dem Gebäude passieren soll. „Wir haben es dem Denkmalpfleger Michał Dębowski zu verdanken, dass heute wieder deutsche Inschriften saniert werden“, freut sich Wierzchowiec, die vor 32 Jahren aus Alma Ata (Almaty) nach Stettin kam.

Als Kasachstan-Polin war sie in ihrer alten Heimat Umbenennungen gewohnt. Aus Werny wurde 1920 Alma Ata, und seit 1993 nennt sich ihre Heimatstadt nun Almaty. Wierzchowiec siedelte 1993 im Zuge der Repatriierung nach Polen über und kam so nach Stettin. „Seit damals haben viele Menschen Kasachstan verlassen. Praktisch sind alle Deutschen weg. Ebenso sind viele Polen gegangen, obwohl immer noch relativ viele in Kasachstan leben. Auch russischsprachige Menschen sind nach Russland gegangen, sodass man auf der Straße heute eher Kasachisch als Russisch hört. Was heute in Kasachstan auffällt, ist, dass die Schilder an den Geschäften dreisprachig sind: Kasachisch, Englisch und Russisch“, so Wierzchowiec. „Ich bin ja keine gebürtige Stettinerin und unterteile die Stadtgeschichte nicht nach der Vor- und Nachkriegszeit.“ Für sie gehört die deutsche Vergangenheit genauso zum Stettiner Erbe wie die polnische Neubesiedlung mit deren Versuchen, die Geschichte neu zu gestalten.

Sie führe die Stadtbesucher gerne zu „Kolonialwaren Otto Marquardt“ an der Fassade eines Eckhauses in der Elisabethstraße (ul. Kaszubska) zur Inschrift „Cigarren“ über dem Schaufenster der Alten Druckerei oder zum Gebäude der 1855 von deutschen Baptisten gegründeten Kirche. „Es gibt immer mehr solcher Orte, wo die historischen Inschriften entweder saniert werden oder unter dem bröckelnden Putz zum Vorschein kommen“, freut sich die Fremdenführerin.


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