Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Reportagen des einzigen Sozialdemokraten an der BdV-Spitze über Unrecht in der Tschechoslowakei
Der Sudetendeutsche Wenzel Jaksch (1896–1966) war von 1929 bis 1938 Mitglied des tschechoslowakischen Abgeordnetenhauses und von 1953 bis 1966 Mitglied des deutschen Bundestages. Allein dies macht den Sozialdemokraten zu einem interessanten Zeitzeugen. Als Mitglied der sudetendeutschen Minderheit vertrat der im südböhmischen Langstrobnitz [Dlouhá Stropnice] geborene Jaksch nicht nur sozialdemokratische Politik im Prager Parlament, sondern machte auch Politik für seine Landsleute.
Exil in London
Nach dem Münchner Abkommen 1938 ging Jaksch mit der tschechoslowakischen Regierung nach London ins Exil. Dort wurde er zum Gegner der Politik des tschechoslowakischen Präsidenten Edward Benesch, die auf eine Vertreibung der Sudetendeutschen abzielte. Als solcher war Jaksch nach 1945 in Prag nicht mehr willkommen. Er flüchtete nach Deutschland. In Hessen leitete er das Landesamt für Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte. Jaksch stieg in den engeren Führungskreis der SPD auf, gehörte im Bundestagswahlkampf 1961 dem Schattenkabinett der SPD an und beteiligte sich als einziger Vertriebenenpolitiker an Willy Brandts neuer Ostpolitik. Wenn er heute kaum noch bekannt ist, dürfte das nicht zuletzt daran liegen, dass er von 1964 bis zu seinem Unfalltod 1966 Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen war, der einzige Sozialdemokrat, der je dieses Amt innehatte.
Jaksch unternahm als junger Journalist längere Reisen durch das deutschsprachige Grenzgebiet der alten Tschechoslowakei. Darüber berichtete er in den Jahren 1924 bis 1928 im Zentralorgan der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, dem Prager „Sozialdemokrat“. Jakschs Texte sind ein einzigartiges Zeitdokument dieser heute untergegangenen deutschen Welt. Er wollte die Not arbeitender und arbeitsloser Menschen dieser armen Region dokumentieren, sie bezeugen, denn die Not war oft unbeschreiblich.
Aussichtslose Lage in Böhmen
Besonders schlimm und aussichtslos war die Krise der landestypischen böhmischen Heimarbeit, die lange Zeit weltweit einen fast legendären Ruf besessen hatte. Die erschütterndsten Reportagen des Buches handeln hiervon. Doch mit dem Aufkommen der Massenproduktion schlug für die meisten dieser Heimwerker die Stunde des Untergangs. Sie fielen ins Nichts, kein Sozialstaat fing sie wenigstens halbwegs auf. Das war für die böhmischen Heimarbeiter umso entsetzlicher, als sie ihre Heimat liebten und nun unverschuldet ohne Zukunft in ihr hängenblieben.
Das Ohr am Volk
Jaksch war ein entschiedener Sozialdemokrat, und zwar in der alten proletarischen Tradition der Partei. Von Aufständen hielt er nichts, in früher Hellsicht kritisierte er scharf und unversöhnlich die Kommunisten, die das Elend der Arbeiter nicht empörte und erschütterte, denen es vielmehr geradezu willkommen war, um den Klassenkampf zuzuspitzen. Jaksch war überzeugt, dass im industriellen Fortschritt die bessere Zukunft der Arbeiter schlummere. Sicher, zwischen den Lebensbedingungen im Böhmerwald vor 100 Jahren und dem, wie es heute in Europa den Arbeitenden wie den Arbeitslosen und Rentnern geht, besteht ein himmelweiter Unterschied. Aber Jaksch hatte noch das Ohr am Volk, was die heutige Sozialdemokratie nicht mehr hat. Auch deshalb ist seine sudentendeutsche Milieustudie auch ein Abgesang auf die heutige Sozialdemokratie.
• Wenzel Jaksch
Verlorene Dörfer, verlassene Menschen.
Reportagen 1924–1928
Verlagsbuchhandlung Sabat,
Kulmbach 2018, gebunden,
320 Seiten, 24.95 Euro