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Ein Schriftwechsel zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundespräsident Theodor Heuss brachte vor 70 Jahren die Entscheidung
Bei der Auswahl der Staatssymbole der Zweiten Republik wurden grundsätzlich Symbole der Ersten, der Weimarer wie der schwarz-rot-goldene Dreifarb oder der rot bewehrte Adler auf goldenem Grund positiv und solche des NS-Staates wie die Hakenkreuzflagge oder das Horst-Wessel-Lied negativ beurteilt. Zu einem Problem führte dieser nachvollziehbare Grundsatz, wenn ein Symbol wie das Deutschlandlied von beiden Staatsformen gleichermaßen benutzt worden war.
Kritik erregte an der von der Weimarer Republik eingeführten Nationalhymne insbesondere die erste Strophe. Zum einen reichte die junge Bundesrepublik weder von der Maas bis an die Memel noch von der Etsch bis an den Belt. Zum anderen waren die Worte „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“ von der Feindpropaganda als Beweis angeführt worden, dass die Deutschen eine herausgehobene Stellung unter den anderen Nationen für sich beanspruchten.
Hymne Weimars und des NS-Staats
Dieser Kritik an der ersten Strophe versuchten Befürworter des Deutschlandliedes mit einer Betonung der dritten entgegenzukommen. Beispielsweise hatte sich der spätere rheinland-pfälzische Kultusminister Albert Finck bereits wenige Monate nach der Verkündung des Grundgesetzes, am 9. August 1949, in der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ für diese dritte Strophe als provisorisches Bundeslied ausgesprochen und am Ende einer Wahlveranstaltung seiner CDU in Lindau die Anwesenden aufgefordert, gemeinsam die dritte Strophe zu singen.
Unter den Teilnehmern dieser Veranstaltung war neben Helmut Kohl auch Konrad Adenauer, der im darauffolgenden Jahr in Berlin analog vorging. Bei einer Großveranstaltung im Titania-Palast am 18. April 1950 forderte der Bundeskanzler die Anwesenden auf, gemeinsam die dritte Strophe zu singen.
Zwei Jahre später, mit Datum vom 29. April 1952, trug Bundeskanzler Konrad Adenauer Bundespräsident Theodor Heuss die „Bitte der Regierung“ vor, „das Hoffmann-Haydn'sche Lied als Nationalhymne anzuerkennen. Bei staatlichen Veranstaltungen soll die dritte Strophe gesungen werden.“
Konzentration auf dritte Strophe
Der Adressat dieses Briefes war der prominenteste Gegner des Deutschlandliedes. Heuss bescheinigte dem dritten Vers zwar eine „echte und sinnvolle Würde“, doch eine Beschränkung auf ihn lehnte er mit der Begründung ab: „Ihn isoliert zu nehmen, wie manche vorschlagen, wird aber zu knapp.“
Deshalb hatte er bereits an dem Adenauers Fait accompli auf der Großveranstaltung im Titania-Palast folgenden 19. April 1950 durch sein Amt klarstellen lassen, dass das Absingen der dritten Strophe des Deutschlandliedes bei derartigen politischen Veranstaltungen keine Entscheidung in der Frage der Nationalhymne für die Bundesrepublik bedeute. Vielmehr stehe diese Entscheidung nach deutschem Staatsrecht ihm zu.
Da ihm die dritte Strophe „zu knapp“ war, hätte Heuss die hinsichtlich ihrer musikalischen Qualität über jeden Zweifel erhabene Haydn-Melodie des Deutschlandliedes mit weiteren, neuen Strophen oder einem gänzlich neuen Text versehen können, so wie es beispielsweise Wladimir Putin mit der Sowjethymne getan hat. Doch auch dieses lehnte er ab mit der Begründung, dass die Folge ein „ewiger Sängerwettstreit der stärkeren Stimmen“ zwischen den Anhängern des alten und des neuen Textes wäre.
Heuss wollte für die Hymnenfrage das, was er in der Flaggenfrage vor der Gründung der Bundesrepublik ebenso vehement wie beredt abgelehnt hatte: ein Kunstprodukt, eine Neuschöpfung aus der Retorte. Er wollte den Weg der DDR gehen mit einem neuen Text und einer neuen Melodie und der Hoffnung, dass das Volk damit schon warm würde.
Er orderte bei dem evangelischen Kirchenlieddichter Rudolf Alexander Schröder einen Text und bat Carl Orff, diesen zu vertonen. Der Musikpädagoge und Komponist der „Carmina Burana“ antwortete sehr treffend. Er wies darauf hin, dass der Schröder-Text mit einer Nationalhymne so viel gemein habe wie eine Konzertarie mit einem Volkslied und es ihm schwer scheine, diesen „irgend geeignet zu vertonen“. Ihm zumindest scheine „diese Aufgabe unmöglich“. Er schlug vor, Schröders Text zu verwerfen, und verwies ansonsten auf seinen Frankfurter Kollegen Hermann Reutter als einen „ausgezeichneten, mit hymnischer Ausdruckskraft begabten Musiker“.
Orff war klug genug zu wissen, wie schwer es war, mehr oder weniger auf Knopfdruck eine Melodie zu komponieren, die es mit jener Haydns aufnehmen konnte. Er warf deshalb vorsichtig die Frage auf, ob „sich nicht in unserer unsterblichen Klassik (Mozart oder Beethoven) ein Satz fände, der neben Haydn standhielte“.
Die „Hymne an Deutschland“ floppt
Heuss hielt jedoch am Schröder-Text fest und beauftragte Reutter mit der Vertonung. Das Ergebnis war ein Stück, mehr Choral denn Nationalgesang. Am 31. Dezember 1950 ließ er die „Hymne an Deutschland“, so der Titel, seinem Volk im Anschluss an seine Silvesteransprache durch den Rundfunk präsentieren. Der Funke sprang nicht über.
Der erfahrene Politiker der Weimarer Republik Carl Severing brachte es in seinem Schreiben an Heuss vom 8. Januar 1951 auf den Punkt, wenn er die Melodie als zu wenig lebhaft, warm und packend kritisierte und anschließend im Grunde in dieselbe Kerbe wie Orff haute: „Dem Professor Heuss brauche ich nicht zu erzählen, dass man dramatische und lyrische Werke in der Tat ,auf Bestellung' schreiben kann und dass nicht alle ,bestellten' Werke minderwertig zu sein brauchen. Aber eine Nationalhymne, die in das Volksbewusstsein eindringen soll, stellt höhere Anforderungen als zum Beispiel eine Festaufführung zur Einweihung des Suezkanals.“
„Anerkennung des Tatbestandes“
Deeskalierend wirkte, dass Heuss bereits in seiner Silvesteransprache erklärt hatte, dass das letzte Wort über das Lied noch nicht gesprochen sei, „da dies den Vorwurf des ,Anbefohlenseins' mit sich bringen könnte“. So konnte er gesichtswahrend von seinem Alternativvorschlag zum Deutschlandlied abrücken, den Zeitgenossen nicht ganz unzutreffend als „schwäbisch-protestantischen Nationalchoral“ und „Theos Nachtlied“ verspotteten.
Damit hatte die Bundesrepublik aber immer noch keine Nationalhymne. Als das Fehlen einer solchen Hymne für die Bundesrepublik auf internationalem Parkett zu immer kurioseren Peinlichkeiten führte, trat der Regierungschef schließlich vor 70 Jahren mit der obengenannten „Bitte der Regierung“ an den Staatschef.
Drei Tage später antwortete Heuss Adenauer: „Da ich kein Freund von pathetischen Dramatisierungen bin und mit mir selbst im reinen bleiben will, muss ich nach meiner Natur auf eine ,feierliche Proklamation' verzichten. Wenn ich also der Bitte der Bundesregierung nachkomme, so geschieht das in der Anerkennung des Tatbestandes.“
Hein ten Hhof am 05.05.22, 11:11 Uhr
Man hätte auch den Trizonesien Song beibehalten können, wurde damals als Ersatz für die Hymne genutzt.
Das Lied der Deutschen war verboten.
Nachdem Adenauer bei einem Chicago Besuch angeblich mit Heidewitzka Herr Kapitän begrüsst wurde kam Bewegung in die Sache.
Waffenstudent Franz am 03.05.22, 15:06 Uhr
Irrtum!
Die Provinz Limburg, und damit auch das Westufer der Maas gehörten bis 1815 ebenso wie Groß Luxemburg zum Deutschen Bund! Dort sprach man Deutsch!
Mats Osrig am 30.04.22, 18:01 Uhr
Für mich ist die 1. Strophe noch immer unsere Nationalhymne - ohne Wenn und Aber!
Warum? Weil der Text zum Ersten den Umfang unseres Landes klar benennt, und zum Zweiten den vielleicht wichtigsten Gesichtspunkt einer Volksgemeinschaft beschwört: In Zeiten der Gefahr gibt es nichts Wichtigeres, als für die Heimat zusammen zu stehen! Zu Schutz und Trutze!!
Chris Benthe am 28.04.22, 13:47 Uhr
Interessantes Stück Zeitgeschichte, das kaum jemand kennen dürfte. Schön, dass die PAZ das ausgegraben hat.