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Gerade kurz vor wichtigen Urnengängen blickt die Öffentlichkeit gebannt auf die Zahlen der Demoskopen. Doch die Daten haben politische Wirkungen, die mancher Wissenschaftler äußerst kritisch sieht
Wahlumfragen können Wahlen beeinflussen – und zwar in ganz erheblichem Maße. Sozialwissenschaftler schätzen, dass etwa jede vierte Wahlentscheidung mit Blick auf die Umfrageergebnisse getroffen wird. Eine typische Folge von publizierten Umfragen ist dabei das taktische Wählen. Wenn die Meinungsforscher vermelden, eine Partei bleibe wohl unter der Fünf-Prozent-Hürde, macht so mancher Wähler sein Kreuz sicherheitshalber bei der Konkurrenz. Andere wiederum stimmen für den potentiellen Koalitionspartner ihrer Wunschpartei, damit auch der ins Parlament einziehen kann.
Darüber hinaus gibt es noch weitere Effekte: Wähler, die eher zum Mitläufertum neigen, wollen unbedingt auf der Seite der mutmaßlichen Gewinnerpartei stehen und handeln dann in der Kabine dementsprechend. Nonkonformisten votieren dahingegen oft für eine Partei, die von der Masse unterschätzt oder geschmäht wird.
Bekannt ist zudem, dass von den Meinungsforschungsinstituten prophezeite Kopf-an-Kopf-Rennen die Wahlbeteiligung erhöhen – der Fachausdruck hierfür lautet Mobilisierungseffekt. Andererseits bewirken Nachrichten über einen bereits feststehenden Wahlausgang bei den Anhängern des mutmaßlichen Verlierers das Gegenteil, dann spricht man vom Defätismuseffekt. Bleiben indes die Wähler des prognostizierten Gewinners zu Hause, weil sie die Wahl für entschieden halten, ist das die Folge des Lethargieeffekts. Und zu guter Letzt beeinflussen Wahlumfragen auch diejenigen, welche gewählt werden wollen. Nicht selten resultieren daraus sogar deutliche programmatische Veränderungen.
„Schnell und dreckig“
Aufgrund ihrer erheblichen politischen Relevanz sollten Wahlumfragen möglichst professionell und objektiv durchgeführt werden. Aber dies ist vielfach nicht der Fall, was auch und gerade für die Bundesrepublik gilt. Oft sind die Befragten nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung, vor allem bei den immer beliebter werdenden Online-Umfragen. Ältere Menschen ohne Internetzugang bleiben komplett ausgeschlossen, und etliche weitere potentielle Wähler haben kein Interesse an einer Teilnahme, wenn sie sich bei ihren Internet-Aktivitäten durch die plötzlich auftauchenden Fragen der Meinungsforscher gestört fühlen. Außerdem können Online-Erhebungen leicht manipuliert werden – beispielsweise durch die organisierte massenhafte Stimmabgabe von Mitgliedern gesellschaftlicher Randgruppen.
Dennoch stürzen sich die Medien auch auf Umfrageergebnisse, die unter methodisch so bedenklichen Umständen zustande kommen, dass Kritiker wie der Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, Frank Brettschneider, abschätzig von „Schnell-und-dreckig-Umfragen“ sprechen.
Eine weitere Fehlerquelle sind suggestive und nicht neutral formulierte Fragen. Diese resultieren entweder aus der Inkompetenz der Meinungsforscher oder aus dem Umstand, dass ihre Institute bewusst oder unbewusst selbst Politik machen wollen, weil sie bestimmten Parteien oder Ideologien nahestehen. Detaillierte Untersuchungen zu diesem brisanten Thema führten die beiden Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Walter Mohr und Frank Püschel von der Universität Flensburg sowie der Datenexperte David Kriesel vom US-Konzern Procter & Gamble durch.
Dabei erbrachte der Vergleich der Parteimittelwerte der jeweiligen Institute mit dem Gesamtmittelwert aller Prognosen folgende Ergebnisse: Das Institut für Demoskopie Allensbach, welches vorrangig den Christdemokraten verbunden ist, tendiert traditionell zu überdurchschnittlich guten Umfragewerten für die CDU/CSU und neuerdings auch für die SPD und das BSW. Dahingegen kommt die AfD in den Prognosen des „Orakels vom Bodensee“ regelmäßig schlecht weg.
Unterschiede machen stutzig
Anders verhält es sich bei INSA-Consulere, einem Unternehmen, dem Sympathien für die AfD nachgesagt werden. Nach Recherchen verschiedener Medien soll der INSA-Gründer und -Geschäftsführer Hermann Binkert der AfD Geld gespendet und als Berater gedient haben. Das erklärt dann möglicherweise die vergleichsweise hohen Zustimmungswerte für diese Partei in den INSA-Umfragen und das auffallend schwache Abschneiden der Grünen parallel hierzu. Außerdem wäre da noch das neue Institut Wahlkreisprognose unter der Leitung der beiden SPD-Mitglieder Valentin Blumert und Lukas Hornung. Das Institut ermittelt – ebenfalls wenig überraschend – regelmäßig gute Zahlen für die Sozialdemokraten, aber unerfreuliche für die Union.
Ins Auge stechende Tendenzen zeigen jedoch auch die Wahlumfragen der anscheinend unparteiischen Häuser: Infratest präsentiert oft niedrige Werte für die drei linken Parteien und die FDP, während die CDU/CSU positiv hervorsticht. Bei Forsa wiederum kommt vor allem die AfD schlechter weg. Und die Forschungsgruppe Wahlen neigt zu einer markanten Überbewertung der Grünen und zu negativen Prognosen für die FDP und das BSW.
Für die AfD relativ erfreuliche Zahlen legen hingegen auch Prognos und YouGov vor, wobei das letztere Unternehmen die Linke ebenfalls regelmäßig überschätzt. Keine nennenswerten Auffälligkeiten zugunsten oder zulasten bestimmter Parteien gibt es letztlich nur bei der Berliner Civey GmbH, obwohl diese stark unter Kritik steht, weil sie ausschließlich auf Online-Umfragen setzt.
Unabhängig von der jeweiligen Ausrichtung der Meinungsforschungsinstitute werden deutsche Wahlumfragen neuerdings aber auch noch durch weitere gesellschaftliche Trends beeinflusst. Infolge der wachsenden Vielfältigkeit des Parteienspektrums steigt die Zahl der Wechselwähler und die Quote derjenigen, die sich erst im letzten Moment entscheiden. Dazu kommt, dass offenbar immer mehr Umfrageteilnehmer lügen beziehungsweise nur Antworten geben, die sie für sozial erwünscht halten. Schuld hieran ist das öffentliche Klima, in dem die Anhänger bestimmter Parteien ihre Präferenzen lieber verschweigen. Aus all diesen Gründen fordern manche Sozialwissenschaftler und Politikexperten ein Verbot von Wahlumfragen, weil der dadurch verursachte Schaden inzwischen größer als der Nutzen sei.