11.12.2024

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Östlich von Oder und Neiße

„Wir betraten eine Welt, die wir nicht verstanden“

Die einstige kulturelle Aneignung nach dem Krieg ist nun selbst zur Geschichte geworden

Chris W. Wagner
26.04.2024

Eine Ausstellung im Breslauer Ethnographischen Museum, ul. Traugutta 113, stellt die Frage, wie das deutsche Erbe in den Oder-Neiße-Gebieten von den Polen adaptiert wurde.

Im Zentrum der Schau „Adaptierte Gegenstände“ steht ein Ausziehtisch – eine niederschlesische Erfindung, die Robert Ruscheweyh im 19. Jahrhundert patentierten ließ. Unter diesem Ausziehtisch findet der Besucher gestapelt deutsche Bücher, darunter gut sichtbar eines mit dem Titel: „Unbewältigte Vergangenheit“. Zufällig oder Gewollt? Eben um die Bewältigung des deutschen Erbes geht es Kuratorin Marta Derejczyk: „Wir suchen nach Antworten, welche Beziehung die heutigen Breslauer oder Stettiner zum deutschen Erbe ihrer Stadt haben. Wir fragen, ob sie Vorkriegsgegenstände besitzen, wie sie zu ihnen kamen und welchen Stellenwert sie diesen Objekten zuschreiben.“

Im Vorfeld der Präsentation wurde 2019 ein wissenschaftliches Projekt durchgeführt, in dem Anna Kurpiel von der Universität Breslau und Katarzyna Maniak von der Jagiellonen-Universität Krakau die Beziehung heutiger Breslauer und Stettiner zur Vorkriegsgeschichte ihrer Städte untersuchten. „In einer sehr kurzen Zeit gab es sowohl in Breslau als auch in Stettin einen kompletten Bevölkerungsaustausch. Wir betraten eine Welt, die für uns mental fremd war und die wir nicht verstanden und somit nicht annehmen konnten. Wir waren traumatisiert und vorbelastet, kamen an Orte, wo vor kurzem noch diejenigen lebten, die uns so viel Leid zugefügt hatten“, erklärt Piotr Oszczanowski, Direktor des Breslauer Nationalmuseums. Er gibt zu, „deutsche Inschriften wurden entfernt, Denkmäler von ihren Sockeln gestürzt, aber gleichzeitig haben wir Fragmente eines unglaublichen Erbes, das wir vorgefunden haben, gerettet.“

Kurpiel und Maniak wollten wissen, wie man heute mit dem Begriff „des Deutschen“ in Bezug auf Gegenstände umgeht, ob dieses Deutsche als feindlich, bedrohlich, solide, wertvoll oder praktisch wahrgenommen wird. Sie besuchten Siedlungen, in denen Vorkriegsgebäude erhalten geblieben waren. Es waren etwa 20 Wohnungen in Breslau und etwa 20 in Stettin. „Wir gingen von Haus zu Haus, baten unbekannte Menschen, uns einen Einblick in ihre privaten Räume zu gewähren, uns Gegenstände zu zeigen und uns zu erzählen, wie sie sich in den Vorkriegswohnungen einlebten“, so Kurpiel. Sie berichtet, dass ihnen Gegenstände gezeigt wurden, die oft nicht besonders wertvoll waren, aber einen emotionalen Wert hatten. Diese Gegenstände samt ihren Geschichten, also Postkarten, Fotoalben, Porzellangeschirr, Kaffeemühlen, Flaschen oder ein Kleid mit Schal, das kurz nach Kriegsende auf dem Schwarzmarkt von Deutschen gekauft wurde, sind Teil der Ausstellung in Breslau.

„Ein Briefbeschwerer mit dem Bild eines Kindes im Inneren löste in der Finderin Folgendes aus: Sie fragte sich, wie es möglich sei, dass ein so liebliches Gesicht ein deutsches Kind zeige, wo sie doch immer nur Geschichten von den bösen Aggressoren hörte“, berichtet Kurpiel.

Im Breslauer Stadtteil Gräbschen [Grabiszyn] lebt Teresa. Als ihre Eltern dort einzogen, lebten sie noch einige Monate lang mit den deutschen Eigentümern zusammen. Als diese vertrieben wurden, baten sie, dass eines der Bilder für immer dort hängenbleiben solle. „Für Teresa ist es schwer nachzuvollziehen, warum ausgerechnet dieses Bild den Deutschen so wichtig war, aber Teresas Eltern und sie respektierten den Wunsch dieser Deutschen. Das Bild wurde erstmalig für die Breslauer Ausstellung abgehängt“, so Kuratorin Derejczyk.

Eine Porzellanfigur, die drei Schweinchen zeigt, stammt aus Stettin. Gefunden hat sie Bogdana Kaźińska, als sie in den 50er Jahren als Kind mit ihren Eltern und den beiden Schwestern in ein deutsches Haus einzog. Für die drei Kaźiński-Schwestern wurde die Schweinchenfigur zum Symbol für ihre eigene „Dreiheit“.

Der Breslauer Künstler Jacek Zachodny sammelt deutsche Artefakte. Sie bedeuten für ihn eine „hybride Wirklichkeit der neuen polnischen Westgebiete“. Für die Ausstellung hat er Karten aus einem deutschen Schulatlas gespendet. Darin befinden sich Notizen deutscher Schüler und die seines aus Lemberg stammenden Vaters, der nach Kriegsende aus diesem Atlas lernte. Lidia Barankiewicz stellte für die Ausstellung Postkarten der Familie Mainka zur Verfügung. Sie hat das Schicksal dieser Familie recherchiert und zum Teil ihrer eigenen Familiengeschichte gemacht. Ähnlich wie Magda Wozińska, die auf dem Dachboden einen Zeitungsschnipsel von 1928 fand. Für sie war klar, sie würde ihn nicht wegwerfen. Sie hat diesen Fund eingerahmt, und nun hängt er im Herzstück der Wohnung, über dem Küchentisch.

Bis zum 25. August können Besucher der Ausstellung „Adaptierte Gegenstände“ im Breslauer Ethnographischen Museum testen, ob das deutsche Erbe immer noch Emotionen hervorruft, was ihr Schicksal ist oder ob es vielleicht sogar im Trend liegt, sich der deutschen Vergangenheit anzunehmen.


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