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Kultur

Wo im Sommer die erste Geige gespielt wird

Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wollen bei ihren musikalischen Klassik-Festivals an Vor-Pandemie-Zeiten anknüpfen

Helga Schnehagen
03.06.2022

In den Jahren 2020 und 2021 konnten das Schleswig-Holstein Musik-Festival (SHMF) und die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern (FMV) wegen der Pandemie nur mit reduziertem Programm beziehungsweise digital den Kontakt zum Publikum aufrechterhalten. Doch schon in diesem Sommer peilt man wieder die Besucherrekorde von früheren Zeiten an. 2019 konnte das SHMF rund 193.000 Konzertkarten verkaufen und die FMV über 84.500.

„Lieben Sie Brahms?“ Zum Abschluss der seit 2014 bestehenden Reihe der Komponisten-Retrospektiven präsentiert das SHMF in diesem Sommer einen Querschnitt durch das Gesamtwerk des in Hamburg geborenen Komponisten und Klaviervirtuosen. Insgesamt 97-mal steht Brahms auf dem Programm, neben seinen großen Sinfonien und seiner Kammermusik auch mit modernen Adaptionen.

„Sein Œuvre“, so Festivalintendant Christian Kuhnt, „prägt die Konzertprogramme der Welt. Aber nach intensiven Diskussionen bemerkten wir, dass wir aus neuen Perspektiven auf das Schaffen und Leben von Brahms blicken können. Dabei entdeckten wir ganz neue Seiten und kreative Auseinandersetzungen mit seinem Werk.“

Einen neuen Blick präsentiert parallel auch die Ausstellung „Der junge Brahms – Zwischen Natur und Poesie“ in der Villa Brahms auf dem Jerusalemsberg in Lübeck. Fachkundige Expertise und neue Blickwinkel verspricht ebenso der festivaleigene Podcast an jedem Festival-Montag ab dem 4. Juli um 15 Uhr mit Wolfgang Sandberger, Leiter des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck, im Gespräch mit Koryphäen der Brahms-Szene.

Als sogenannter Portraitkünstler kommt dieses Jahr erstmals ein Dirigent nach Schleswig-Holstein. Omer Meir Wellber, 1981 in Israel geboren, erster Gastdirigent der Semperoper Dresden, Chefdirigent des BBC Philharmonic, Musikdirektor des Teatro Massimo Palermo und ab September 2022 auch der Volksoper Wien, gehört zum Kreis der derzeit führenden Kapellmeister. Bei 14 Auftritten ist Wellber zudem am Akkordeon, Cembalo und Klavier zu erleben.

Zum Festival-Auftakt spielt ein weiterer Star, Igor Levit, zusammen mit dem NDR-Elbphilharmonie-Orchester laut Programm das Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83 von Johannes Brahms und die Sinfonie „Die Harmonie der Welt“ von Paul Hindemith (2. und 3. Juli in der Musik- und Kongresshalle Lübeck). Politisch stark engagiert, hat sich der russisch-deutsche Pianist auf einem Klavierabend Anfang März in Berlin bereits eindeutig zum gegenwärtigen Krieg geäußert. Er widmete sein Konzert den Opfern in der Ukraine und spielte die Nationalhymne.

„Klassik-Tjek“ mit Mozart-Geige

Nach altbewährtem Rezept geht es beim SHMF nicht immer ganz klassisch zu. Bei „Star Wars in Concert“ etwa begleitet das Festivalorchester den kompletten Filmklassiker „Das Imperium schlägt zurück“ (13. August, Wunderino-Arena Kiel). In der konzertanten Aufführung von Gershwins Erfolgsoper „Porgy and Bess“ setzen zum Finale erneut Stars, dieses Mal der New Yorker Metropolitan Opera, ein Ausrufezeichen (27. August, ebenfalls in der Wunderino-Arena Kiel).

Die Sommer-Festspiele im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern stellen als „Preisträger in Residence“ ebenfalls einen Dirigenten in den Mittelpunkt. Emmanuel Tjeknavorian, Sohn des armenischen Komponisten und Dirigenten Loris Tjeknavorian, wurde 1995 in Wien geboren. Der „Klassik-Tjek“, wie er genannt wird, ist zudem ein begnadeter Geiger. Seit 2017 darf er sogar auf Mozarts Geige spielen. Als besonderen Höhepunkt bringt er die 1764 von Pietro Antonio dalla Costa gebaute Mozart-Violine auf Schloss Ulrichshusen zum Klingen (15. bis 17. Juli).

Insgesamt wird Tjeknavorian mit 24 Konzerten und Veranstaltungen den Festspielsommer prägen. Gleich beim Eröffnungskonzert spielt Tjeknavorian in der Konzertkirche Neubrandenburg zusammen mit der NDR-Radiophilharmonie die „erste“ Geige (18. Juni). Die Festspiele beschließen das NDR-Elbphilharmonie-Orchester und die schwedische Sopranistin Nina Stemme mit Wagners „Wesendonck-Liedern“ und der Sinfonie Nr. 15 A-Dur von Schostakowitsch (18. September in der St.-Georgen-Kirche Wismar).

Auch in Mecklenburg-Vorpommern vermischen sich Streichakkorde und rockigen Beats. Schon zum dritten Mal findet das dreitägige Detect Classic Festival statt. Irgendwo zwischen Klassik und Elektronik angesiedelt, zieht es vor allem junges Publikum an (29. bis 31. Juli auf Schloss Bröllin). Neu im Programm jenseits der Klassik ist das Format „Grenzgänge“ mit Talenten der jungen deutschen Jazzszene (15. Juli in Loitz, 11. September in Landsdorf und 15. September in Hagenow).

In Schleswig-Holstein hat sich die Szene mit JazzBaltica schon vor 30 Jahren etabliert. Als Teil des SHMF findet das Festival seit 2018 direkt am Meer rund um das Maritim-Hotel am Timmendorfer Strand statt (23. bis 26. Juni). Unter der bewährten künstlerischen Leitung des schwedischen Posaunisten Nils Landgren wird auch dieses Jahr mit fünf Bühnen, 37 Konzerten, Sessions und Talks ein facettenreiches Programm geboten, 21 Veranstaltungen sind eintrittsfrei.

Als Stargast feiert der brasilianische Sänger, Musiker und zeitweilige Kulturminister Gilberto Gil am 26. Juni mit einem Konzert zusammen mit seiner Familie und Freunden seinen 80. Geburtstag auf der JazzBaltica-Bühne. Auf das von der Ostsee-Gemeinde versprochene Geschenk an die Musik-Legende darf man gespannt sein.

• Programm und Kartenbuchungen www.jazzbaltica.de, www.shmf.de und unter Telefon (0431) 237070; www.festspiele-mv.de und unter Telefon (0385) 5918585


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Kommentare

sitra achra am 09.06.22, 16:18 Uhr

Musik ist göttliche Harmonie, die den Menschen mit der Welt versöhnt. Sie schlägt Brücken zwischen allen Menschen guten Willens. Dies ist heute wieder einmal wichtiger denn je, um den Mut in dieser finsteren Zeit nicht zu verlieren.

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