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Jekaterinburg

Zu viel Boris Jelzin im Jelzin-Zentrum?

Moskauer Scharfmacher verlangen Schließung der Gedenkstätte – Bürger der Region halten an ihr fest

Manuela Rosenthal-Kappi
26.01.2025

Nach Ansicht sogenannter Turbo-Patrioten ist das Jelzin-Zentrum in Jekaterinburg eines der skandalösesten Museen Russlands. Sie werfen ihm schädliches Handeln vor, da es dort geschlechtsneutrale Toiletten geben soll, und überhaupt gebe es zu viel Boris Jelzin im Jelzin-Zentrum. Sie wollen es am liebsten geschlossen sehen, doch dagegen gibt es Widerstand. Einheimische weisen auf die aufklärerische Mission des Zentrums hin. Sie sehen es als Symbol ihrer Stadt Jekaterinburg.

Das Jelzin-Zentrum steht schon länger unter dem Druck der Patrioten, die jegliche Kritik am politischen System Russlands unterdrücken wollen. Ende November bekam das auch Nina Chruschtschow, die Urenkelin des sowjetischen Führers Nikita Chruschtschow, zu spüren, als die angekündigte Präsentation ihres Buchs über ihren Vorfahren kurzfristig abgesagt wurde. Sie ist Professorin an der New Yorker New School University. Weil sie Kritik am russischen Einmarsch in die Ukraine und an russischen Behörden geübt hatte, bezeichneten die Hardliner sie gar als Spionin und verlangten ihre Festnahme.

Was stört Leute wie Filmregisseur Nikita Michalkow – der einst ein eifriger Jelzin-Unterstützer war – und Fernsehmoderator Wladimir Solowjow an dieser Gedenkstätte? Sie kritisieren die zu positive Darstellung des ersten Präsidenten Russlands sowie dass das Zentrum den Geist der 1990er Jahre atmet und die Besucher an eine „freie und kreative Ära“ erinnert. Die Moskauer Hardliner wittern darin „unzureichenden Patriotismus“.

Dabei folgt das Jelzin-Zentrum lediglich einem 2008 verabschiedeten Gesetz, demzufolge jeder russische Präsident, der sein Amt nicht mehr ausübt, sich an der Schaffung seines eigenen Zentrums beteiligen muss. Jelzins Zentrum ist wie eine eigene Stadt aufgebaut.

Am Eingang begrüßt eine lebensgroße Statue des stattlichen Politikers die Besucher, und auf mehreren Etagen wird ungeschönt das Leben der damaligen Zeit gezeigt. Es gibt eine Bank, ein Fitnesscenter, Geschäfte, Souvenirläden, Cafés und Restaurants. In einem Lebensmittelladen ist eine gelangweilte Verkäuferin zu sehen, die nur ein paar Konservendosen im Angebot hat. Die bolschewistische Revolution, in deren Folge eine blutige politische Diktatur entstand, in der Massenterror herrschte, wird ebenso offen gezeigt wie Kritik an der Perestrojka oder Querelen im Kreml. Als Errungenschaft der Jelzin-Ära wird die Bildung einer neuen Mittelschicht hervorgehoben mit Kleinunternehmern, dem sich entwickelnden Bankensektor und freien Medien. Jelzin werde als rundum guter Politiker dargestellt, während seine Gegner als bedingungslos böse stigmatisiert würden, sagen die Kritiker.

Junge Menschen, die diese Zeit nicht erlebt haben, schätzen die moderne Präsentation, die interaktiven Exponate wie Beispiele der Musik und Kultur der 90er Jahre. Besonderes Interesse finden eine typische Wohnungseinrichtung mit Schrankwand, Fernseher und Sofa oder auch der präzise Nachbau von Jelzins Präsidentenamt. Vermutlich ist es die Erinnerung an ein freieres Russland, welche die Anhänger des Putin-Regimes fürchten. Was, wenn junge Menschen von dem 90er-Geist infiziert würden?


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