15.12.2024

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Arbeitsmarkt im südlichen Ostpreußen

Zunahme der Arbeitslosigkeit erwartet

Viele Kleinbetriebe mussten aufgeben. Bislang fehlten in Allenstein vor allem Handwerker und Techniker

Dawid Kazanski
17.04.2020

Die Unternehmer in der Republik Polen befürchten, dass sie im Zuge der Corona-Krise in naher Zukunft viele Arbeitnehmer entlassen müssen. Die Regierung arbeitet an einem erweiterten Anti-Krisen-Paket, da vor allem viele Kleinunternehmer völlig unabgesichert dastehen. Besonders hart trifft es die Gastronomiebranche, aber auch das Friseur- und Kosmetikerhandwerk, deren Betriebe wegen der Pandemie geschlossen bleiben. Unter der Ausgangssperre (man darf sein Zuhause nur verlassen, wenn man zur Arbeit fährt, Einkäufe macht, zur Apotheke geht und so weiter) leidet auch der Dienstleistungssektor, da sie den gesamten Handel stoppt. Die Kurierdienste haben zurzeit Hochkonjunktur. Der sonst wenig geschätzte Beruf des Auslieferers wird immer beliebter. Doch rechnen selbst die Transportfirmen damit, dass sie bald vielen ihrer Mitarbeite kündigen müssen. Es wird allgemein mit einem hohen Anstieg der Arbeistlosenquote gerechnet. 

Laut Angaben des Woiwodschaftsarbeitsamtes in Allenstein ist die Arbeitslosenquote im südlichen Ostpreußen bislang nicht gestiegen. Einschränkend heißt es jedoch, der Einfluss von Corona auf den Arbeitsmarkt werde erst im Mai oder Juni sichtbar sein. Wirtschaftswissenschaftler malen ein düsteres Bild: Es könne jede zweite Arbeitsstelle wegen der Epidemie bedroht sein. 

Jede zweite Stelle in Gefahr 

Viele Kleinunternehmer mussten bereits aufgeben. Ende März stellten in der Republik Polen über 48 000 Firmen ihre Geschäftstätigkeit ein. Es wird geschätzt, dass bis Ende des Jahres eine Million Arbeitslose dazukommen werden, und das ist noch eine optimistische Prognose. 

Vor der Corona-Pandemie fielen die Wirtschaftsprognosen für Polen positiv aus. Laut Angaben der Europäischen Kommission war das Wirtschaftswachstum in Polen im Jahr 2019 auf vier Prozent geschätzt worden. Es wurde von der Inlandsnachfrage, insbesondere von Investitionen, angetrieben. Das schlug sich unmittelbar auf den Arbeitsmarkt nieder. Die niedrigste Arbeitslosenquote lag bei 2,8 Prozent in der Woiwodschaft Großpolen und die höchste hatte die Woiwodschaft Ermland-Masuren mit 8,6 Prozent. 

Fachkräftemangel in Allenstein 

Den Schätzungen des städtischen Arbeitsamtes zufolge lag die Arbeitslosenquote in Allenstein bei 2,7 Prozent. In der Woiwodschaftshauptstadt fehlen Arbeitskräfte. Die Fluktuation ist für gewöhnlich hoch, die Menschen wechseln oft ihren Arbeitsplatz, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. „Viele ziehen in andere Regionen Polens, die wirtschaftlich stärker entwickelt sind“, teilte die stellvertretende Direktorin des Stadtarbeitsamtes Jolanta Filipek mit. 

Wegen der niedrigen Gehälter, die vom Durchnittslohn des Landes erheblich abweichen, ist der lokale Arbeitsmarkt unattraktiv. Andererseits sind die Arbeitgeber nicht im Stande, hohe Löhne zu zahlen, weil sie selbst ihr Gewerbe an der Grenze der Rentabilität betreiben. Es herrscht ein spürbarer Mangel an qualifiziertem Personal, vor allem in der Maschinenindustrie, im Gastronomiebereich und im Baugewerbe. 

Bei der Inbetriebnahme einer Filiale des bekannten internationalen Versandhandelsunternehmens Zalando in der Nähe von Hohenstein fanden sich nicht genügend Arbetswillige. Zalando beschäftigt 550 Personen, angestrebt waren 2000. Die Personalbeschaffung ist das größte Problem der Firma. Häufig klaffen die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes und die wirtschaftlichen Anforderungen auf der einen Seite sowie die Qualifikationen der Arbeitssuchenden auf der anderen auseinander. 

Unattraktive Löhne 

Das Handwerk hat bereits Alarm geschlagen, weil sich in fast jeder Sparte ein enormer Fachkräftemangel abzeichnet. Es fehlt an Lehrlingen, Gesellen, Meistern. Die Wartezeiten auf handwerkliche Dienstleistungen, deren Preise spürbar gestiegen sind, verlängern sich erheblich. Die Politik hat diese problematische Entwicklung schon seit Langem im Blick und widmet der beruflichen und akademischen Ausbildung besondere Aufmerksamkeit. Mit der letzten Schulreform wurde viel Geld in neue Branchen- und Berufsschulen investiert. Dennoch entscheiden sich zu wenige junge Menschen für die geschaffenen Bildungsstätten. Größtenteils liegt das an der Mentalität der Jugendlichen, die vor allem allgemeinbildende Schulen wählen und ein anschließendes Studium anstreben. Zwar haben dann die jungen Akademiker einen Hochschulabschluss in der Hand, aber meist nicht im Bereich der Technik. Viel zu wenige Uni-Absolventen haben ein Ingenieurstudium hinter sich oder verfügen über eine technische Ausbildung. Stattdessen ist der lokale Arbeitsmarkt übersättigt mit Humanisten. Die Aussicht, dass ausgebildete Handwerker mit ihren Fähigkeiten viel leichter einen gut bezahlten Job finden können, zieht offenbar nicht. 

Techniker sind gefragt 

Wie in den vorangegangenen Jahren veröffentlichte das Woiwodschaftsarbeitsamt auch in diesem Jahr eine Untersuchung unter dem Namen „Berufsbarometer“, in der die meistgefragten Berufe aufgezählt und Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt präsentiert werden. Daraus ergibt sich deutlich, dass man dringend Karosseriebauer, Klempner, Bauarbeiter, Mechaniker, Schlosser, Schweißer und Friseure benötigt. Aus der gleichen Studie geht hervor, dass es überhaupt keinen Bedarf an Philosophen, Historikern, Politologen und Kulturwissenschaftlern gibt. Deswegen verdienen Akademiker nicht selten zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn schlechter als beispielsweise Lagerarbeiter, müssen sich weiterbilden lassen, um den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Ansonsten werden sie sich mit einem niedrigeren Lohn zufrieden geben müssen. Corona dürfte ihre Lage noch verschlimmern.


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