10.05.2025

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Geschichte

Zur Entstehung von Kriegen

Von vorbiblischen Jahrhunderten bis zur Gegenwart – Wie Konflikte bewältigt werden können

Karlheinz Lau
10.05.2025

Der Archäologe Harald Meller, der Historiker Kai Michel und der Evolutionsbiologe und Verhaltensforscher Carel van Schalk wollen mit ihrem Buch „Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte“ die Frage prüfen, ob Gewalt und Krieg angeboren sind in der Natur des Menschen. Sie betonen, dass diese Frage nur in Kombination der Wissenschaften und nicht nur in der Ethnographie oder Archäologie behandelt werden kann.

Nur die Forschungsergebnisse der infrage kommenden Wissenschaften könnten das echte Ergebnis erzielen. Das betreffe hauptsächlich die vorbiblischen Jahrhunderte und Jahrtausende. Die Forscher sind auf Felsmalereien, tierische und menschliche Knochenfunde, steinerne Faustkeile angewiesen, und erst in relativ jüngerer vorbiblischer Zeit kamen Schriftzeichen, Sprache sowie die Fähigkeit, Feuer zu entfachen, hinzu. Parallel wurden aus Jägern und Sammlern sesshafte Personenverbände mit Getreideanbau und Schafs- und Rinderhaltung.

Moderne Forschungsmethoden schaffen Klarheit
Kriegsähnliche Handlungen oder Kriege konnten aus den vorhandenen Quellen nicht angenommen werden, allenfalls gewaltähnliche Spuren an einzelnen Skeletten. Viele Interpretationen und Mutmaßungen waren notwendig, mit der Gefahr des Irrtums. Übereinstimmend stellen die Autoren fest: „Wir haben das große Glück, dass seit einigen Jahren eine ganze Reihe von Wissenschaften mit immer raffinierteren Methoden dazu beitragen, ein immer genaueres Bild der Vergangenheit zu zeichnen“ – und das weltweit und nicht nur auf Europa bezogen.

An anderer Stelle heißt es: „Wir präsentieren keine Kriegsgeschichte voller Pulverdampf und Schlachtenlärm. Die Auffindung des Massengrabes führte die Autoren zu grundsätzlichen Fragen zu Krieg, Gewalt und Frieden. Das Ziel unseres Buches ist evolutionäre Aufklärung: Wir legen auf Basis des aktuellen Forschungsstandes und eigener Arbeiten eine Anamnese der Vorgeschichte des Krieges vor“.

Vorgeschichte des Krieges
Das Buch ist in vier Teile und einer Zusammenfassung „Zwölf Lektionen“ gegliedert. Einleitend geht es um das 1632 angelegte und erst jetzt entdeckte Massengrab von Lützen mit 47 Skeletten. Hier fand eine der größten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges zwischen Wallenstein und dem Schwedenkönig Gustav Adolf statt, der tödlich verletzt wurde. Unweit von Lützen auf dem ehemaligen Schlachtfeld entsteht das „Museum 1632“, dessen Kernstück das Massengrab ist. Dieses führte zu grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Krieg und Mensch.

Gehören Kriege zur Natur des Menschen oder sind Menschen weder auf Krieg noch auf Frieden festgelegt? Auch im weiteren Verlauf der Darstellung werden diese grundsätzlichen Fragen erörtert. Es werden keine wichtigen Orte seit konkreter schriftlicher und/oder mündlicher Überlieferung, die im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen stehen, ausgelassen. Mesopotamien und Ägypten gelten bis heute als Wiege der Zivilisation – so das Autorenteam. Die Summe aller Darstellungen über die Jahrtausende alte Vorgeschichte macht deutlich, wie kompliziert die Einordnung der auszuwertenden Felsmalereien, gefundenen Werkzeuge und vorhandener Skelette sein muss. Ohne die hohe Kompetenz der Forscher aller Disziplinen hätten wir nicht die Kenntnisse über die Vorgeschichte des Menschen. Kriege wurden nicht überliefert, dafür Gewaltausbrüche innerhalb von Personenverbänden.

Qualitative Veränderungen beziehungsweise Weiterentwicklungen setzten erst in unserem erdgeschichtlichen Zeitalter ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. ein. Deutlichere Erkenntnisse in der Archäologie und Ethnographie, Entzifferung von Schriftzeichen sowie erste Anfänge mündlicher Überlieferungen wurden möglich. Auch die Bibel spielt eine zunehmend bedeutende Rolle.

Von Beginn unserer Zeitrechnung an häufen sich kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Stadtstaaten und Flächenstaaten mit immer wirksameren Waffen und Waffensystemen. Negative Höhepunkte sind der Erste und der Zweite Weltkrieg und die Jahrzehnte nach 1945. Religiöse Strömungen oder politische Ideologien sind häufig Konflikt-Ursachen. Diese Entwicklungen führen bis heute zur immer wieder gestellten Frage: „Wie tief ist der Krieg in die Natur des Menschen eingeschrieben?“ Gibt man religiöse oder politische Motivationen an, wie wir sie auch heute erleben, müsste man in tiefe Resignation oder in einen nicht aufhebbaren Fatalismus fallen.

Diesen Eindruck müssen Passagen des Buches vermitteln, dem ist aber nicht so. Je näher man an unsere Gegenwart herankommt, desto klarer werden die Versuche von Menschen, Gewalt und kriegerische Auseinandersetzungen zu beenden oder durch Kompromisse zu entschärfen.

Wille zur friedlichen Regelung
Dieser Wille zu friedlichen Regelungen von Konflikten und Kriegen wuchs weltweit und besonders in Europa. Genannt werden Völkerbund (1920), Vereinte Nationen (1945) oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (1959) sowie in den Zivilgesellschaften zahlreiche Aktivisten und Initiativen, die sich für die Beendigung von Kriegen einsetzen. Die Autoren sprechen es aus: „Diese historischen Prozesse, den Krieg zu bändigen, untermauern den Befund unserer ... Bestandsaufnahme: sie bestätigen die Stärke der menschlichen Natur.“. Damit werden aus dem oben genannten Fatalismus doch Hoffnung und ein wenig Zuversicht trotz der gegenwärtigen Weltlage.

Es ist ein wichtiges Buch gerade für unsere Zeit, das gründlich und mit Ruhe gelesen werden muss. Es ist gut geschrieben, mit spannenden Passagen aus dem Alltag archäologischer Forschungsarbeit sowie Verweisen auf historische Ereignisse im Rahmen kriegerischer Vorgänge. Wer sich für die angesprochenen Probleme interessiert, dem ist dieses Buch besonders zu empfehlen.

Harald Meller/Kai Michel/Carel van Schaik; „Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte“, dtv Verlag, München 2024, gebunden, 364 Seiten, 28 Euro


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