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Vor 150 Jahren begann die Brüsseler Konferenz, vor 125 Jahren die erste Haager Friedenskonferenz – Beide initierte Russsland
Vor 150 Jahren, am 27. Juli 1874, begann in Brüssel eine Konferenz, die aus dem politisch-historischen Blickfeld weitgehend verschwunden ist. In der Hauptstadt des 1830 gegründeten Königreichs Belgien trafen sich auf Initiative des russischen Zaren Alexander II. Delegierte aus 15 europäischen Ländern. Sie wollten einschränkende Regeln sowohl für das Ius ad bellum, also das Recht, Kriege zu führen, sowie für das Ius in bello, also das Recht im Kriege (Recht der Kriegführung, Kriegsvölkerrecht, humanitäres Völkerrecht) aufstellen.
Hintergrund war nicht der damals gerade wenige Monate zurückliegende Deutsch-Französische Krieg. Vielmehr lagen die Auslöser der „Brüsseler Konferenz von 1874“ etwas länger zurück. 1854 waren in Greytown/Nicaragua und 1866 in Valparaiso/Chile küstennahe Städte durch feindliche Kriegsschiffe beschossen worden. Während die Attacke der US-Marine auf Greytowns Häuser kein Menschenleben forderte, waren die Folgen in Valparaiso tödlich. Während des Spanisch-Südamerikanischen Kriegs von 1864 bis 1866 hatte die spanische Marine einen Operationsplan entwickelt, dessen erster Schritt die Vernichtung der in Valparaiso stationierten chilenischen Kriegsflotte vorsah. Da dort auch britische und US-amerikanische Kriegsschiffe vor Anker lagen, hatte man sich in der Hafenstadt sicher gefühlt und auf schützende Befestigungen verzichtet. Dass ungeachtet schwerster Zerstörungen nur fünf Menschen durch die stundenlange Bombardierung starben, lag an gerade noch rechtzeitig eingeleiteten Fluchtbewegungen.
Die Brüsseler Konferenz mündete in eine „Deklaration über die Gesetze und Gebräuche des Krieges“ mit 56 Artikeln. Sie lieferte Vorgaben zur Verwaltung besetzter Gebiete und trennscharfe Definitionen von Kämpfern und Nichtkämpfern, von Kombattanten und Nichtkombattanten. Obendrein beschränkte sie die bis dahin freie Auswahl an Kampfmitteln. Verboten wurde etwa der Einsatz giftiger Substanzen zur Kriegführung. Weiterer Baustein der Deklaration war das Verbot der Tötung eines wehrlosen oder sich ergebenden Gegners. Kriegsgefangene sollten menschlich behandelt werden. Zur Behandlung verwundeter und erkrankter Soldaten verwies die Deklaration auf die Genfer Konvention von 1864, also das erste völkerrechtliche Abkommen, das derartige Schutznormen verbindlich vorsah.
Allerdings litt die an sich lobenswerte Deklaration unter einem alles entscheidenden Manko. Sie wurde von keinem Staat ratifiziert und verfehlte daher den Status geltenden Völkerrechts. Kleinere Länder hatten von Anfang an zwiespältig auf die Brüsseler Konferenz geblickt, hinter der man den Selbstdarstellungsdrang großer europäischer Herrscherhäuser witterte. Vor allem aber verhinderte die fragile europäische Machtbalance des späten 19. Jahrhunderts, gepaart mit allseitigem Misstrauen, den bahnbrechenden völkerrechtlichen Wurf.
Die Brüsseler Konferenz war der Startschuss zum modernen Kriegsvölkerrecht
Russlands Regenten ließen indes nicht locker. Nikolaus II., von 1894 bis 1917 Nachfolger von Alexander II., warnte vor einer „europäischen Katastrophe“, und so folgte ein Vierteljahrhundert später, nämlich vom 18. Mai bis zum 29. Juli 1899, die erste Haager Friedenskonferenz im niederländischen Den Haag. Vertreten durch Diplomaten, Völkerrechtler und Militärexperten tagten diesmal 26 Staaten, darunter auch die außereuropäischen Mächte USA, Japan und China.
Stärker als bei der „Brüsseler Konferenz von 1874“ trat nun ein pazifistischer Impuls zutage, der sich im 19. Jahrhundert entwickelte und um den Namen der tschechisch-österreichischen Publizistin und späteren Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 1905, Bertha von Suttner, rankt. Ins Blickfeld der Haager Konferenzteilnehmer rückten die Abrüstung und das Bemühen, Grundsätze zur friedlichen Beilegung von Interessengegensätzen zu entwickeln. Etwas hochtrabend wurde die Zusammenkunft auch als erster Versuch einer Staatengemeinschaft bezeichnet, „den Krieg als Institution abzuschaffen“. Dies klingt aus heutiger Sicht nach „Wolkenkuckucksheim“. Unzureichender Pragmatismus mag denn auch der Grund gewesen sein, dass man 1899 in Den Haag ohne greifbare Ergebnisse zur Friedenssicherung auseinanderging.
Immerhin kam es Mitte 1907 zu einer zweiten Haager Friedenskonferenz. Initiator und treibende Kraft war diesmal der damalige US-Präsident Theodore Roosevelt. Die Abgesandten der 44 teilnehmenden Staaten versuchten trotz zunehmender internationaler Differenzen fast schon verzweifelt, den Ausbruch eines Krieges mit den Mitteln des Rechts zu verhindern. Diesmal konzentrierte man sich auf kleinere, für praktikabler gehaltene Schritte der Rüstungsbegrenzung. Hinzu kam der Plan, eine obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit für internationale Interessenkonflikte zu installieren.
Die Haager Friedenskonferenzen schafften keinen Frieden
Beim Thema Friedenssicherung blieb der Ertrag ebenso mager wie 1874 und 1899. Es gab keine Rüstungsbegrenzung, und die Einführung eines international besetzten Gerichtshofs mit verbindlichen Entscheidungsbefugnissen scheiterte an der Ablehnung der drei späteren Mittelmächte des Ersten Weltkriegs Deutsches Reich, Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich sowie einiger kleinerer Staaten. Immerhin bekräftigte man einen informellen Beschluss von 1899 zur Schaffung eines Ständigen Schiedshofs in Den Haag. Diese nicht mit dem Internationalen Gerichtshof zu verwechselnde und nicht an Völkervertrags- oder -gewohnheitsrecht gebundene Institution existiert bis heute und kann von allen Unterzeichnerstaaten zur Streitbeilegung angerufen werden.
Wesentlich ertragreicher verhandelte man 1899 und 1907 zum Ius in bello beziehungsweise Kriegsvölkerrecht. Beschlossen und von 38 Staaten ratifiziert wurde das „Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“. Es enthielt mit der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 (HLKO) eine Anlage, die zu den wichtigsten Kodifikationen des humanitären Völkerrechts zählt. Bis in die Gegenwart hinein hat die HLKO den Status geltenden internationalen Rechts − entweder als Völkervertragsrecht der Unterzeichnerstaaten oder als allgemein akzeptiertes Völkergewohnheitsrecht für weitere Staaten, die dem Haager Abkommen nicht explizit beigetreten sind.
Zu berücksichtigen bleibt lediglich, dass wesentliche Teile der HLKO durch spätere Vertragswerke – wie die vier Genfer Abkommen von 1949 nebst Zusatzprotokollen von 1977 – inhaltlich überlagert und präzisiert wurden. Innerhalb ihres zeitlichen und räumlichen Geltungsbereichs gehen diese Abkommen als spezielleres Recht (lex specialis) der HLKO vor.
Thematische Blaupause der HLKO war die Brüsseler Deklaration von 1874. Insbesondere enthält die HLKO Erläuterungen des Kombattantenstatus sowie Regeln zum Umgang mit Kriegsgefangenen, zu Beschränkungen der Kriegführung, zur Verschonung exponierter Gebäude und Einrichtungen von religiöser und gesellschaftlicher Bedeutung, zum Umgang mit Spionen, für Kapitulationen und Waffenstillstandsvereinbarungen und zum Verhalten einer Besatzungsmacht auf besetztem Territorium. Beispielsweise darf sich ein Besatzerstaat nur „als Verwalter und Nutznießer“ dieses Territoriums betrachten, Artikel 55 HLKO, was unter anderem eine systematische Siedlungspolitik wie beispielsweise im israelisch besetzten Westjordanland ausschließt.
Macht und Ohnmacht der Haager Landkriegsordnung
Bei alledem fragt man sich, warum die HLKO in den beiden Weltkriegen so wenig zur Mäßigung der Kriegsparteien beitragen konnte. Hierfür gibt es Gründe. Zum einen enthält Artikel 2 des Haager Abkommens von 1907 eine einschränkende „Allbeteiligungsklausel“ für die HLKO, die „nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung finden soll und auch nur dann, wenn alle Kriegführenden sämtlich Vertragsparteien sind“. Zum anderen liefert die HLKO weder substantielle Anspruchsgrundlagen für Reparationsforderungen noch völkerstrafrechtliche Normen zur Ahndung von Kriegsverbrechen.
Was sich nach 1918 und 1945 insoweit tat, war ein ad hoc gesäter juristischer Wildwuchs, der elementare Rechtsprinzipien missachtete, internationale Spannungen teilweise noch verschärfte und einige der übelsten Verbrecher ungeschoren davonkommen ließ. Vergeblich mahnte der in die USA emigrierte jüdische Völkerrechtler Hans Kelsen 1944: „Nur wenn sich die Sieger demselben Recht unterwerfen, das sie auf die Besiegten anwenden wollen, wird die Idee der Gerechtigkeit unversehrt bleiben.“ Pointiert kritisierte William Inge, Dekan der Londoner St. Pauls Cathedral, das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs und den Hauptkriegsverbrecherprozess gegen führende Nationalsozialisten: „Einer der Richter − Russland nämlich − hätte ganz gewiss auf die Anklagebank und nicht auf den Richterstuhl gehört.“
Selbst die Vernichtungsbombardements des Zweiten Weltkriegs blieben ungesühnt, obwohl sich ausnahmslos HLKO-Vertragsstaaten an ihnen beteiligten. Zwar heißt es in Artikel 25 HLKO ziemlich eindeutig: „Es ist untersagt, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschießen.“ Fast alle Politiker, Militärs und Völkerrechtler legten die Vorschrift aber mit fadenscheiniger Begründung viel zu eng aus. Weil die Haager Abgesandten keine Hellseher waren und über Luftschläge mit High-Tech-Bomberstaffeln und ausgeklügelten Bombenmixturen gegen Städte im Hinterland nicht ausdrücklich debattiert hatten, behaupteten die Verfechter des totalen Krieges, Artikel 25 HLKO gelte nur für die taktische Luftunterstützung eines an der Front kämpfenden Heeres.
Diese willkürliche Interpretation einer zentralen Zivilschutznorm ist zurückzuweisen. Strategische Luftschläge gegen Zivilisten verstießen sehr wohl gegen Artikel 25 HLKO. Die im Feuersturm verglühten Städte waren auch „unverteidigt“. Abfangjäger und Flugabwehrgeschütze änderten daran nichts; denn „der Bomber wird immer durchkommen“, wie es der britische Premierminister von 1923/24, 1924 bis 1929 und 1935 bis 1937, Stanley Baldwin, 1932 formulierte. Die passende Antwort auf völkerrechtliche Haarspaltereien und bewusste Verharmlosungen militärischer Barbarei gab Bischof George Bell in einer Sitzung des britischen Oberhauses am 9. Februar 1944: „Die Alliierten repräsentieren etwas Größeres als Macht. Das Schlüsselwort auf unserem Banner heißt ‚Recht'. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wir, die wir mit unseren Verbündeten die Befreier Europas sind, die Macht so nutzen, dass sie unter der Kontrolle des Rechts steht.“
Nils Pellnat am 01.08.24, 14:20 Uhr
Der Sieger schreibt nicht nur die Geschichte sondern auch das Recht.
Peter Faethe am 27.07.24, 09:14 Uhr
In "Verträgen" zwischen der BRD und den "Befreiern"-West wurde der deutschen Justiz verboten, wg. von den "Befreiern" an Deutschen verübten Kriegsverbrechen zu ermitteln - geschweige denn Anklage zu erheben.
Lt. Haager Landkriegs-Ordnung dürfen Besatzer an den Eigentums-Verhältnissen der Besetzten nichts verändern. Dennoch haben sie millionenfach gestohlen, geraubt und beschlagnahmt. Diese Kriegsverbrechen sind heute in der BRD geltendes Recht - sogar durch den EuGH sanktioniert.
Der von einem US-Offizier 1945 geplünderte Kirchenschatz (ein Kriegsverbrechen) von St. Servatius in Quedlinburg musste von der BRD den Erben des Räubers mit mehreren Millionen $ abgekauft werden.
Ein deutscher Jude, der ein Kunstwerk 1935 zum Marktpreis verkaufte (kein Kriegsverbrechen), darf es heut nochmal verkaufen.
Die Erwähnung ist (noch?) nicht verboten, doch nicht erwünscht.
Peter Faethe am 26.07.24, 08:49 Uhr
Lt. HLKO sind Einmischungen der Besatzer in Eigentumsrechte der Besetzten nichtig, was die Enteignungen der Hohenzollern, Bismarcks usw. durch die Sowjets betrifft.
Allerdings anerkennt die BRD sämtliche Kriegsverbrechen aller "Befreier" als geltendes Recht.