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Literatur

„Aber wir leben nicht in normalen Zeiten“

Insel der Freiheit: Mit Uwe Tellkamp, Jörg Bernig und Monika Maron startet die Dresdner „Edition Buchhaus Loschwitz“ ihre neue Reihe „EXIL“

Erik Lommatzsch
14.03.2020

In normalen Zeiten würde ich einen größeren Raum besorgen. Aber wir leben nicht in normalen Zeiten.“ So Susanne Dagen, die gemeinsam mit ihrem Partner Michael Bormann in Dresden neben einer Buchhandlung das „Kulturhaus Loschwitz“ betreibt. Bundesweit bekannt geworden war Dagen vor zweieinhalb Jahren, als sie die „Charta 2017“ auf den Weg brachte. Die Petition war Folge der Zerstörung von Ständen „rechter“ Verlage auf der Frankfurter Buchmesse. Angeprangert wurde, „wie zum scheinbaren Schutz der Demokratie die Meinungsfreiheit ausgehöhlt wird“, also der vorherrschende Gesinnungskorridor.

Den „größeren Raum“ – die Kapazitäten des idyllischen „Kulturhauses“ sind begrenzt – bräuchte Dagen im März für die Präsentation dreier Schriftsteller: Uwe Tellkamp, Jörg Bernig und Monika Maron. Die Autoren stellen jeweils neue Bücher vor, welche in der „Edition Buchhaus Loschwitz“ erscheinen. Titel der Reihe: „EXIL“. Sämtliche Veranstaltungen waren weit vor dem Termin ausgebucht, auch für Zusatzveranstaltungen sind keine Plätze mehr zu bekommen.

Alle drei Autoren verbindet, dass sie sich, jeder auf seine Weise, deutlich anders positioniert haben, als es das gegenwärtig tonangebende mediale und politische Deutschland gutzuheißen vermag. Tellkamp und Bernig gehörten auch zu den Erstunterzeichnern der „Charta 2017“. Eine geplante Lesung Tellkamps im Dresdener Lingnerschloss wurde unlängst verhindert (die PAZ berichtete). Monika Maron sollte sich an einer „Umfrage“ der „Welt am Sonntag“ beteiligen, wobei klar die Absicht verfolgt wurde, spekulative – Gegenstand war der erst für 2021 angekündigte Roman Tellkamps „Lava“ – und vor allem negative Äußerungen zu erhalten. Maron verweigerte das. Andere, wie die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, zeigten die gewünschte „Haltung“.

Veranstaltung rasch ausverkauft

Die Buchreihe „EXIL“ versteht sich „als Kunst der Zuflucht ebenso wie als Zuflucht der Kunst, die sich einem Klima zunehmender politischer Anfeindung ausgesetzt sieht“. Bitter nötig in einer Zeit, in der prominente Schriftsteller bereits (wieder) anfangen, nur noch für die Schublade zu schreiben. In einer Zeit, in der hochprämierte Autoren schlagartig keine Preise mehr bekommen, weil sie sich selbstdenkend-kritisch geäußert haben. In einer Zeit, in der Verlage die Zusammenarbeit nicht weiterführen. Geistiges Exil und innere Emigration sind hierzulande keine Begriffe mehr, mit denen man ausschließlich historisches Geschehen verbindet.

Drei ansprechend gestaltete Bücher liegen nun als erste „EXIL“-Staffel vor. Die Autoren stehen mit ihren – bekannten – Namen für die Programmatik der Reihe. Die Zugänge, die mehr oder weniger direkt die unmittelbare Gegenwart berühren, sind dabei höchst unterschiedlich. Unter dem Titel „Das Atelier“ entführt Uwe Tellkamp den Leser in einem im wahrsten Sinne des Wortes farbenprächtig schillernden Stück Literatur nicht nur in den Kunstbetrieb, sondern auch in die Kunst an sich, die Kunstgeschichte und die Geschichte. Die Vielzahl von – realen – Namen und Anspielungen fordert zum Entdeckungsrundgang heraus, oft lohnt ein zweiter Blick. Neben Bildern, allein durch Sprache vermittelt, findet man im „Atelier“ immer wieder Kleinigkeiten wie den Mopshund Scylla. Benannt ist dieser nach einem griechischen Meeresungeheuer, welches mit seinem Gegenüber Charybdis die Wahl zwischen zwei Übeln als einzige mögliche Wahl symbolisiert. Oder es gibt unvermittelt einen Hinweis auf „Das gespaltene Bewusstsein“. Dabei handelt es sich um ein älteres geschichtswissenschaftliches Standardwerk, dessen Titel überraschend aktuell erschient.

Jörg Bernig versammelt in seinem „EXIL“-Band „An der Allerweltsecke“ Reiseeindrücke, etwa von Aufenthalten im ehemaligen Jugoslawien. Erlebtes und historische Betrachtungen nimmt er zum Anlass für Reflexionen. In seinen Aussagen ist er weniger subtil als Tellkamp. So heißt es, das, was sich bei uns lauthals als „Europa“ bezeichne, habe die „Geistigkeit dieses Erdteils“ vergessen. Sie sei eingetauscht worden „gegen das Katzensilber entgrenzter Ökonomien, gegen nivellierende politische Parolen ... gegen Selbstaufgabe und gegen die im fortlaufend skandierten Toleranzmantra verborgene Selbstverleugnung vor allem und jedem, wenn es nur nicht das Eigene ist“.

In einem ihrer „Essays aus drei Jahrzenten“, welche sie für ihr Buch „Krumme Gestalten, vom Wind gebissen“ ausgewählt hat, bekennt Monika Maron, beim Zeitunglesen überkomme sie immer öfter das Gefühl, sie „lebte in einem Irrenhaus“, und sie ist gleich beim Thema, wenn sie darüber nachdenkt, dass es ja gar nicht mehr so genannt werden dürfe. „Behindertenhaus“ wahrscheinlich auch nicht. An anderer Stelle erinnert sich Maron, die bis 1988 in der DDR lebte, sie höre seit einiger Zeit wieder „ein böses, hilfloses Lachen“, welches sie von damals kenne – das „gallige Gelächter“, eine resignierte „Form des Widerstands“.

Das hilflose Lachen ist zurück

Die „Edition Buchhaus Loschwitz“, in der nun „EXIL“ erscheint, wurde von Dagen und Bormann bereits 2002 ins Leben gerufen, zu diesem Zeitpunkt weit von dem Gedanken entfernt, in die kultur- und tagespolitische Diskussion einzutreten. Der klassischen Idee der Verlagsbuchhandlung folgend, ging es um Liebhaberprojekte und Regionales. So erschien etwa ein Bildband „Flusslandschaften. Die Elbe bei Dresden“. Seit 2013 wird, auf Initiative des „Kulturhauses Loschwitz“, ein Lyrikstipendium vergeben, verbunden mit einem mehrwöchigen Aufenthalt vor Ort und einer Publikation. Bis 2019 erschien jährlich ein Band, so etwa von dem Leipziger Dichter Andreas Reimann. Gegenwärtig gibt es keinen Stipendiaten. Für die in den Vorjahren begehrte Auszeichnung fanden sich plötzlich kaum noch qualifizierte Bewerber. Dass das anderweitige Engagement der Initiatoren für das freie Wort hierfür maßgeblich ist, dürfte mehr als naheliegend sein.

Und ein Zeichen der Zeit: Sofern nicht „politisch korrekt“ eingerahmt, verzichtet sogar der – in der Regel – arme Poet auf Finanzierung und Veröffentlichung. Aber es gibt auch andere Zeichen: Die zeigen sich im Bedarf eines größeren Raumes, wenn „EXIL“ vorgestellt wird und daran, dass bereits im Herbst die zweite Staffel der Buchreihe erscheint.


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