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In der jungen Bundesrepublik schuf Ludwig Erhard die Grundlagen für einen dauerhaften ökonomischen Aufschwung. Zu seinem 125. Geburtstag ist wenig davon geblieben. Sein heutiger Nachfolger bricht sogar offen mit den Prinzipien der Marktwirtschaft
Zu seinem 125. Geburtstag am 4. Februar gibt es Ludwig Erhard in allen Größen und Formen: Lebensgroß als Statue, im Spielzeugeisenbahnmaßstab H0, als Playmobil-Männchen oder als Abwandlung des Ampelmännchens der DDR bis Kniehöhe in einem Fürther „Erhard-Zentrum“. Dort wird neuerdings auch allerlei Tinnef ausgestellt, den die Stiftung Ludwig-Erhard-Haus pünktlich zum Jubiläum für angeblich 100.000 Euro erworben hat; auf geheimnisvollen Wegen in „verpoppten Blechkisten“ aus Südafrika, wie die Stiftung behauptet. Seltsamerweise ähneln die Stücke bis ins Detail an die Reste von Erhards Haushalt in seiner Bonner Villa. Bedeutung oder Inhalt sind einem Aschenbecher aus Rosenquarz, einem Kinderkaufladen oder Notizen über das Bargeldversteck jedoch nicht zu entnehmen.
Man mag sich über die museale Verzweigung ärgern. Was bleibt ist: Ludwig Erhard ist nach wie vor populär. Sein Wahlkampf-Buch „Wohlstand für Alle“ wurde 2020 in einer besonders sorgfältigen Edition neu aufgelegt. Seine Leistung als Wirtschaftsminister für Deutschlands Freiheit, Wohlstand und Stabilität kann nicht hoch genug bewertet werden – und statt in seinen privaten Dingen zu stöbern wäre eine Auseinandersetzung darüber angebracht. Doch die wird vermieden, und die Chance des Jubiläums verschenkt.
Dass sich die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland von den ordnungspolitischen Grundsätzen Erhards, die das Erfolgsmodell des Wirtschaftswunders nach dem Kriege waren, schon lange verabschiedet hat, ist keineswegs neu. Doch hat dieser Abschied mit dem neuen Wirtschaftsminister Robert Habeck richtig Schwung aufgenommen. Habecks erklärtes Ziel ist eine Art gelenkte Staatswirtschaft – das komplette Gegenteil von Marktwirtschaft, in der Preise und unternehmerisches Handeln frei sind.
Während Erhard im Zweifel weniger Staat wollte, will Habeck ihn zum Motor einer großen Transformation benutzen. Um das zu verwirklichen, so Habeck, „bauen wir von der Mission aus, vom Ziel her aus eine klimaneutrale Gesellschaft. Wir brauchen dafür die freien Märkte, das freie Unternehmertum, aber es muss eine Richtung bekommen, es muss sich dem gesellschaftlichen Ziel anschließen.“ Die Politik gibt das Umbau-Ziel vor, die Wirtschaft soll folgen.
Erhard dagegen wollte Wettbewerb und keine gut organisierten und politisch einflussreichen Konzerne samt Lobby-Vertretern. Zu seinem 75. Geburtstag lud er die Verbandsvertreter des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) aus – er fürchtete ihre vergifteten Lobpreisungen, die kaschieren sollten, dass der mächtige Verband und die ihn tragenden Konzerne wenig mehr hassten als Erhards Wettbewerbspolitik, die ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht Begrenzungen setzen sollte.
Gelenkte Wirtschaft als Zukunftsmodell
Nach Erhards Verständnis gibt der Staat die Ordnung vor und nicht das Ergebnis. Er übernimmt die Verantwortung für die Rahmenbedingungen und verheddert sich nicht in einer gängelnden Detailsteuerung mit dem Anspruch, alle Lebensbereiche bis zur Menge des noch erlaubten Fleisches oder dem Zuckergehalt von Limonaden oder dem Salzgehalt von Fertigpizza lenken zu wollen. Erhards Staat spielt sich auch nicht als moralische Instanz auf, sondern vertraut auf die gestaltende Kraft der Produzenten und der Konsumenten, also letztlich auf die mündigen Menschen. Doch der mündige Mensch als Leitbild hat längst abgedankt zugunsten eines gelenkten, betreuten und bevormundeten Verbrauchers.
Unter Erhard sollte ein ständig geschärfter Wettbewerb als Innovationspeitsche wirken, um die Macht der Konzerne zu bändigen und über sinkende Preise Wohlstand für alle zu schaffen. Unter Habeck dagegen soll der Staat die Innovationsrichtung vorgeben und sollen die Preise möglichst steigen, was schon jetzt Habecks Beliebtheit beim BDI erklärt: Dabei sind steigende Energiepreise der Schlüssel, denn Energie steckt in jedem Produkt von der Kartoffel bis zum Mobiltelefon. Unternehmerische Freiheit ist nur noch in einem engen Rahmen möglich. Statt Rahmenbedingungen zu setzen, will Habeck Vorgaben machen, damit „die großen Kräfte der Märkte, der Marktwirtschaft in die richtige Richtung laufen“.
Es ist ein umfassendes Kontrollprogramm, das ihm vorschwebt, und das die bisher beklagte Regulierungswut vervielfältigen soll – mit einem Anspruch, den man statt Marktwirtschaft ruhig Wirtschaftstotalitarismus nennen darf: „Politische Rahmenbedingungen werden dazu führen, dass sich Industrien wandeln und auch bestimmte Produkte nicht mehr notwendig sind“, sagt Habeck beispielsweise in einem „Spiegel“-Interview. Zukünftig will also der Wirtschaftsminister über Notwendigkeit oder Nicht-Notwendigkeit entscheiden, welche Unternehmen und Produkte noch gebraucht werden und welche verschwinden können.
Die „Technikoffenheit“, bislang ein wichtiger Pfeiler wirtschaftlicher und unternehmerischer Freiheit, ist damit beendet – die Politik erlaubt nur noch Elektroautos, und jahrzehntelange Entwicklungsarbeit in verbrauchs- und schadstoffarme Verbrennermotoren werden per Federstrich hinfällig. Ob dies angesichts der tatsächlichen Emission von Elektroautos wenigstens der Umwelt nützt, wird nicht mehr hinterfragt. Grüne Wirtschaftspolitik überbetont die Schäden bekannter Technologien, verliebt sich in Utopien noch nicht ausgereifter Technologien, die als „grün“ verherrlicht“ werden, und leugnet deren wirtschaftliche Folgekosten ebenso wie ökologische Folgelasten: Die Umweltbelastung durch den flächendeckenden Bau von Windrädern für Tierwelt, Natur und Menschen wird schlicht nicht erhoben.
Die wahren Kosten der „Wasserstofftechnologie“ werden kleingeredet. Vorhandene Lösungen dagegen werden schlechtgeredet und verboten, Utopien an die Stelle jahrzehntelanger Expertise und Entwicklung gesetzt. Die Folgen sind verheerend – und trotzdem erst der Beginn.
Habeck ahnt zwar, dass „diese Veränderungen immer schwierig sind für die Menschen, die in den Firmen arbeiten, und auch für die Regionen“. Aber dafür erhofft er Arbeitsplätze an anderer Stelle, etwa bei „grünem Aluminium“. An eine Ausweitung der Aluminiumproduktion im Land mit den höchsten Strompreisen glaubt nun wirklich niemand. Vielmehr reagiert Industrie auf ihre Weise und verlagert die Produktion von Verbrennermotoren und die damit verbundenen Arbeitsplätze sowie Forschungszentren nach China. Arbeitnehmern in Deutschland bleibt eine vage Hoffnung auf ein grünes Bullerbü.
Grüne Fortschrittskepsis
Die entscheidende Frage allerdings ist: War nun das Erhardsche Modell nur aus Versehen erfolgreich? Und wird die Planwirtschaft nach Modell Habeck die zukunftsweisende Alternative? Unter Habeck hängt wieder alles von der Klugheit von Politik und Beamten ab. Wohin grüne Utopien bislang führten, ist längst klar: An den Türen der grünen Bundestagsfraktion klebten in den 1980er Jahren große, stolze Plakate: In diesen Büros werde ohne Computer gearbeitet. Die Rückständigkeit der deutschen Digital-Wirtschaft hat auch damit zu tun: Mit der Digital-Phobie, die den Fortschritt blockierte, bei der staatlichen Post, ihren Behörden und im Bundestag.
Die Ablehnung moderner Technologie setzte sich fort, als der grüne Umweltminister Joschka Fischer das damals weltgrößte Pharmaunternehmen, die Hoechst-AG, blockierte bei dem sensationellen Vorhaben, das für die Behandlung von Diabetes notwendige Insulin statt mühsam aus den Lebern Hunderttausender geschlachteter Schweine sauber aus einem schlichten Bioreaktor zu gewinnen. Hoechst reagiert auf seine Weise und verkaufte sich selbst an französische Konkurrenten. Heute wird im historischen Frankfurter Stadtteil Hoechst, statt Forschung und Pharmazie zu betreiben, nur noch im Auftrag ferner Konzernzentralen billigst produziert.
Der Kampf gegen Kernkraftwerke folgte. Die Schlacht gegen Mobilfunkeinrichtungen blieb erfolglos, aber Gen-Technologie wurde so verteufelt, dass sich viele Landkreise heute „genfrei“ zu sein rühmen und „genfrei“ zum Markenzeichen im Lebensmittelhandel wurde. Selbst kaum nachweisbare Spuren von gentechnisch verändertem Soja als Basis für entsprechende Soßen führten zu deren Verkaufsverbot. Dafür kämpfen die Grünen heute für eine Impfpflicht, die im Wesentlichen eine Gen-Therapie darstellt: Die Geschichte schlägt ironische Purzelbäume.
Übrigens: Das Jobwunder der florierenden Solarindustrie endete schon vor Jahren in Pleiten und verwüsteten Industriestandorten. Eine Erfolgsgeschichte ist grüne Industriepolitik bislang nicht – und sie wird es auch in Zukunft nicht sein. Das ahnt auch Habeck.
Teure Energie, sinkender Wohlstand
Seine Klimapolitik besteht ja im Wesentlichen darin, Energie zu verteuern. Damit sollen Verbrauch und Konsum gesenkt werden – eine Art grüne Wunderwaffe gegen den von Erhard verwirklichten Wohlstand für alle. Denn teure Energie senkt das Wohlfahrtsniveau der Bevölkerung, die einen immer höheren Anteil ihres Einkommens für Heizen, Mobilität und „Greenflation“ – die energiebedingte und gewollte Inflation bei zahlreichen Produkten – aufwenden muss, dramatisch.
Um Arbeitsplätze wenigstens notdürftig zu erhalten, soll die Industrie die schnell steigenden Energiepreise nicht bezahlen müssen; nur private Haushalte zahlen die volle Stromrechnung. Der Rest soll aus dem Bundeshaushalt kommen. Steigende Kosten der Produktion sollen durch Exportsubventionen wieder auf Wettbewerbsniveau verbilligt werden und Importe durch grüne Zölle so lange verteuert werden, bis sie das künstlich erhöhte Preisniveau der inländischen Anbieter erreichen. Auch Investitionen und grüne Technologien sollen durch ein Kostenausgleichssystem finanziert werden, verspricht Habeck.
Lassen wir mal beiseite, was passiert, wenn Deutschland als eine der exportstärksten Wirtschaftsnationen, immerhin auf Platz 3 des Welthandels, wieder Zölle einführt, die bei grünem Stahl mehrere Hundert bis 1000 Prozent betragen müssten: Der freie Welthandel wäre innerhalb von wenigen Wochen eine Veranstaltung, die ohne Deutschland weiter floriert.
Preiskontrolle durch den Staat
Habecks Pläne bedeuten innerhalb Deutschlands nicht weniger als die Abschaltung des Wettbewerbs: Kosten werden nachgewiesen und vom Staat ausgeglichen. Es ist eine Rückkehr zur staatlichen Preiskontrolle, wie sie von Ludwig Erhard im Juni 1948 abgeschafft wurde. Bis dahin mussten Kosten erst nachgewiesen werden, dann wurde der Preis staatlich festgesetzt und amtlich genehmigt. Es ist eine Schlafmützenwirtschaft. Alles geht, der Verbraucher zahlt, so war es vor Erhard. Bei Habeck übernimmt den Rest der Staat.
Längst geht es nicht mehr nur um Investitionen und grüne Produkte. Unter dem Druck der galoppierenden „Greenflation“ verspricht Habeck schon heute Subventionen für dieses und jenes. Die 60 Milliarden, die der gelbgrüne Finanzminister Christian Lindner klammheimlich am Budgetrecht des Bundes vorbei in den grünen Schattenhaushalt gepumpt hat, werden nicht lange reichen. Habecks Wirtschaft funktioniert nur über einen wachsenden Staatsanteil an der Wirtschaftsleistung, zunehmende Verschuldung und ausufernde Subventionen.
Und damit schließt sich der Kreis. Ludwig Erhards Wirtschaftswunder funktionierte nur mit einer soliden Währung. Wird Deutschland zum hochgradig verschuldeten Staat, fällt es als Stabilitätsanker für den Euro weg – mit unabsehbaren Folgen. Beide Säulen der Erhardschen Sozialen Marktwirtschaft wären damit zerstört.
• Roland Tichy ist Herausgeber des Online-Magazins „Tichys Einblick“, das unter gleichem Namen auch als Monatsmagazin erscheint.
Zuvor war er unter anderem Chefredakteur der Magazine „Impulse“, „Euro“ und „Wirtschaftswoche“. Von 2014 bis 2020 war Tichy Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.
www.tichyseinblick.de
Chris Benthe am 08.02.22, 09:44 Uhr
Es mag verrückt klingen, aber so einen wie den Habeck braucht es aktuell. Unter Merkel schlich sich die Marktwirtschafts-Feindlichkeit ein wie eine endlos verschleppte, nie richtig auskurierte Erkältung. Habeck lässt die Katze aus dem Sack, der schon lange in der Ecke stand und auf seinen Einsatz wartete, er ist das Erbe Merkels. Es braucht ein Indikatorpapier wie Habeck, um für dem Wähler die Unmittelbarkeit von fatalen politischer Vorgaben und persönlichem Wohlstandsverlust schmerzhaft zu zeigen. Es sind jetzt die nicht mehr umgehbaren Lernprozesse, die der Wähler nach 16 Jahren Merkel-Fatalität vorbereiten geholfen hat. Habeck ist das Remedium, sich endlich wieder an Erhard zu erinnern, wenn am Ende außer dem Essen nichts mehr bleibt.
sitra achra am 06.02.22, 11:46 Uhr
Es ist nicht begreiflich, dass ein solches irres, unzurechnungsfähiges Kaninchen wie Habeck die wirtschaftliche Richtung vorgibt. Welche Richtung? Wie es sich zweifellos darstellt, in den Abgrund. Soll dieser vermaledaite Kerl doch den Strick nehmen, wenn er sich unbedingt umbringen will. Einem erweiterten Suizid sollte der Riegel vorgeschoben werden, der auch Millionen unschuldiger Menschen den Tod kostet.
Wo aber sind die demokratischen Wächter, die diesem Treiben ein Ende bereiten? Wo, um Gottes willen, wo nur?
Sind wir bereits so dekadent und suizidal, dass wir unbedingt untergehen wollen?
Übrigens kann ich die Lektüre von Tichys Einblick nur empfehlen!