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Debatte

Abschied von Preußen?

Nachdem ein Gutachten die Zerschlagung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz anregt, ist es an der Zeit, über Raum und Ort des alten Preußen in der deutschen Gesellschaft nachzudenken

René Nehring
09.07.2020

„Es wäre das endgültige Ende Preußens, zugunsten seiner Museen und Bibliotheken.“ Mit diesen Worten endet der Feuilleton-Aufmacher in der heutigen „Zeit“ (Nr. 29/2020), der sich mit dem Gutachten einer Arbeitsgruppe unter Leitung der Dresdner Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler zur Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auseinandersetzt.

Das Gutachten, das kommende Woche präsentiert und anschließend im Wissenschaftsrat, dem wissenschaftspolitischen Beratungsgremium für Bund und Länder, diskutiert werden soll, empfiehlt – auch wenn das Wort selbst nicht vorkommt – nichts geringeres als die Zerschlagung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), der bedeutendsten Kulturinstitution in der Bundesrepublik Deutschland und eine der letzten öffentlichen Einrichtungen, die den Namen „Preußen“ tragen, in vier eigenständige Institutionen.

Zur Begründung für ihre Empfehlung führen die Gutachter laut „Zeit“ an, dass die SPK in ihrer heutigen Form „dysfunktional“ sei, die Zuständigkeiten unklar wären und die vielschichtigen Hierarchieebenen verkrustet und ineffizient wirkten. Dadurch drohe die SPK den Anschluss zu verlieren an die moderne Welt der Präsentation von Kultur und Wissenschaft, gerade in globaler Perspektive: Wer „Weltsammlungen“ habe, so gibt es die „Zeit“ wieder, müsse auch ein Weltpublikum erreichen.

Die Kritik an der Funktionalität der Stiftung mag in der Sache berechtigt sein. Wer allein schonmal auf den Webseiten der SPK gewesen ist, kann in der Tat schnell zu der Erkenntnis kommen, dass die Strukturen des vielschichtigen preußischen Kulturbesitzes undurchsichtig sind.

Nur: Warum muss angesichts der genannten – und der Stiftung durchaus bekannten – Probleme gleich die ganze Institution zerschlagen werden? Wie oft haben in den vergangenen Jahren Gutachter „Dysfunktionalitäten“ bei öffentlichen Einrichtungen reklamiert – ohne dass gleich deren Auflösung gefordert wurde?

Fakt ist: Die Neuverteilung von Aufgaben, die Neustrukturierung von Unterorganisationen, die Neudefinition von Prozessen, die Verbesserung von Marketingmaßnahmen etc. können allesamt vorgenommen werden, ohne gleich die ganze Stiftung zu zerschlagen! Zumal das Gutachten laut „Zeit“-Artikel darauf hinweist, dass ein Hauptproblem der Stiftung die finanzielle Unterversorgung ist, die mit einer Zerschlagung der SPK keineswegs behoben wäre.

Die eigentliche Debatte

Womit wir bei der Verantwortung der Politik sind: Die Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 1957 war keine Antwort auf wissenschaftsorganisatorische Fragen, sondern kultur- und staatspolitisch motiviert. Sie sollte ein Dach sein für die Pflege und Erhaltung der Kulturgüter des ehemaligen Landes Preußen, das zehn Jahre zuvor per alliiertem Dekret für aufgelöst erklärt worden war. Aus diesem Grunde ist die Frage nach der Zukunft der SPK auch nicht aus der Perspektive der Wissenschaft, sondern (kultur-)politisch zu entscheiden. Dabei geht es wesentlich um eine zeitgemäße Antwort auf die Frage, welchen geistigen Raum Preußen in der Erinnerung der Bundesrepublik unserer Tage haben soll – und wo der angemessene Ort dafür ist.

Dies zeigen nicht zuletzt die ersten Kommentare auf das Münkler-Gutachten, in denen unter anderem kritisch gefragt wird, was bedeutende Sammlungsgegenstände der SPK wie die Büste der Nofretete, der Pergamonaltar oder das Ischtar-Tor eigentlich mit Preußen zu tun haben. Die scheinbar logische Antwort darauf ist, dass diese Relikte aus dem Altertum rein gar nichts mit Preußen zu tun haben – zumindest nicht direkt.

Andererseits liegen jedoch all diese Sammlungen, die seit Jahren zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, nicht zufällig in Berlin – ebenso wenig wie Berlin zufällig Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist.

Preußen und die Bundesrepublik

Vielmehr sind der Preußische Kulturbesitz und das Deutschland von heute Ergebnisse eines langen historischen Prozesses, der einst mit dem dynastischen Streben einer schwäbischen Fürstenfamilie begann. Im Verlaufe von Jahrhunderten wurde aus der unbedeutenden „Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches“ zunächst ein absolutistisches Königreich, das im 18. Jahrhundert zu den großen europäischen Mächten aufschloss und 1871 zur treibenden Kraft der Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs als modernem Nationalstaat wurde, in dessen staatlicher Tradition die Bundesrepublik Deutschland trotz aller Brüche des 20. Jahrhunderts steht. Parallel zu dieser politischen und staatlichen Entwicklung entstanden – mit der Berliner Museumsinsel als Mittelpunkt – die vielfältigen Sammlungen, die wir heute als Preußischen Kulturbesitz kennen.

Preußen war eben weit mehr als Pickelhaube, Stechschritt und Schlachtengetöse, für das es seine Kritiker gern hinstellen. Preußen – das waren auch und gerade die Aufklärer Immanuel Kant und Friedrich der Große, Dichter wie Heinrich v. Kleist, Joseph v. Eichendorff, Theodor Fontane und Ernst Wiechert, Bildhauer wie Andreas Schlüter und Reinhold Begas, Architekten wie Georg Wenzeslaus v. Knobelsdorff und Karl Friedrich Schinkel, Liberale wie Eduard von Simson und Walther Rathenau, Unternehmer wie August Borsig und Werner von Siemens, Sozialdemokraten wie Ferdinand Lassalle, Otto Braun und Paul Löbe, Sammler wie James Simon und Max von Oppenheim sowie nicht zuletzt Staatsmänner wie Otto v. Bismarck und – ja – Konrad Adenauer, der nicht nur erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war, sondern zuvor auch Präsident des Preußischen Staatsrats (wenngleich er freilich Preußen skeptisch gegenüberstand). Allein der Name Adenauer zeigt, wie vielschichtig die preußische Geschichte ist.

Besonders bizarr wird es, wenn man an die Brüder Humboldt denkt, mit deren Namen sich die Berliner Republik unserer Tage bei jeder sich bietenden Gelegenheit gern schmückt: Der eine, Wilhelm, legte als Kultusminister die Grundlagen für den rasanten Aufstieg der preußischen Wissenschaftslandschaft im 19. Jahrhundert (auf der heute noch wesentliche wissenschaftliche Institutionen der Bundesrepublik basieren). Der andere, Alexander, zog in die Welt hinaus und wird dort bis heute als aufgeklärter Forscher verehrt, der – anders als Christoph Kolumbus oder Hernán Cortés – nicht als Eroberer kam, sondern als neugieriger Entdecker. Es wäre absurd, wenn sich die Berliner Republik künftig weiterhin mit dem Namen „Humboldt“ schmücken und zugleich mit der Tilgung der Erinnerung an das alte Preußen den Kontext verdrängen würde, in dem die „Marke Humboldt“ überhaupt entstanden ist.

Aufgabe bei der Politik

Doch wie weiter in der Sache? Wenn wie geplant in der nächsten Woche das Münkler-Gutachten offiziell präsentiert wird, müssen die Kulturpolitiker in Bund und Ländern klären und erklären, wie sie einerseits die strukturellen Probleme der SPK lösen wollen – und welche institutionelle Rolle andererseits Preußen sowohl in der Stiftung als auch im kulturellen und öffentlichen Leben der Bundesrepublik künftig einnehmen soll.

Ob am Ende die SPK tatsächlich zerschlagen wird, ist offen. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitierte gestern auf ihrer Online-Seite bereits Kulturstaatsministerin Grütters mit den Worten „Möglicherweise werden nicht alle Empfehlungen 1:1 umgesetzt werden können“. Das lässt hoffen, dass es nicht zum Schlimmsten kommt.

In jedem Falle gilt: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist die institutionelle Erinnerung daran, dass die Berliner Republik nicht aus dem Nichts entstanden ist, sondern in Entwicklungslinien steht, ohne die es diese Republik schlichtweg nicht gäbe. Wer die SPK zerschlagen will, legt somit buchstäblich die Axt an eine grundlegende Wurzel der deutschen Kulturnation.


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Kommentare

Reinhard Wandberg am 12.07.20, 17:06 Uhr

Die Zerschlagung Preußens (und seines „Militarismus“) war eines der Kriegsziele der Alliierten. Preußen war jedoch immer mehr als sein Militär, es war in all seiner Verschiedenheit eine Kultur. Warum sollten man da von den kulturellen Institutionen Halt machen? Man wird es in Häppchen machen – mit der selben Unerbittlichkeit wie die Energiewende – und uns jedesmal einreden, daß dies eine Verbesserung sei. Und wir „Schäfchen“ werden es glauben!

Annette Dreihaus am 10.07.20, 14:30 Uhr

Da schreibt ein Rechtsanwalt etwas zu Preußen: Wenn das Deutsche Reich besteht und das Deutsche Reich 25 EINZELSTAATEN hat, dann ist auch Preußen noch da, denn zum Deutschen Reich gehört nun einmal auch Preußen.
Siehe Kleine Anfrage Partei Die LINKE 2015, Das Deutsche Reich wurde bestätigt...

Siegfried Hermann am 10.07.20, 11:13 Uhr

Das kann man in einen Wort zusammen fassen.
Antifaschistische Pogromstimmung und fanatische "Mao"-Kulturzerstörung.
Für die Jüngeren.
Preußen war seit Freiherr v. Stein bis 1918 das liberalste, freiste und gesellschaftspolitisch modernste Land auf der Erde.
Mit der Einführung der Bismarck`schen Sozialgesetzgebung, die die Grundlage unseres unvergleichlichen Wohlfahrtsstaates ist, haben die Briten noch lebhaft über Kinderarbeit diskutiert, die ach sooo dollen Amis, um Sklavenhaltung gerungen.
Selbst dieser hochdekorierte guudmenschen Lincoln hatte auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges den Südstaatlern versprochen, die Sklaverei beizubehalten, sofern sie der Union (Unterwerfung unter der Hochfinanz) wieder beitreten. Heuchelei vom allerfeinsten.
Preußen war, ist und wird immer Teil unserer Geschichte und Identität sein.
Sollen die Bolschewiken und wie immer sie sich nennen, erst mal die 150 Mio. Toten des Kommunismus erklären und vor der eigenen Haustür fegen!

Mahlzeit!

Heinz Fleck am 10.07.20, 11:02 Uhr

Dann wird die Fussball-Nationalelf bald in bunten Trikots spielen. Und wenn am Der-Bevölkerung-tag der bunte Stander hochgezogen wird, ist es an der Zeit auszuwandern.

Wulf Wagner am 09.07.20, 10:52 Uhr

Herzlichen Dank! Ein notwendiger Text!

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