19.12.2024

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Die Noten kann jeder Deutsche mitsingen: Der weltweite Weihnachtshit „O Tannenbaum“
Bild: imago/blickwinkelDie Noten kann jeder Deutsche mitsingen: Der weltweite Weihnachtshit „O Tannenbaum“

Kunst

Alle Jahre wieder dasselbe Lied

Nicht nur zur Sommerzeit – Vor 200 Jahren schrieb der Thüringer Ernst Anschütz das Weihnachtslied „O Tannenbaum“

Veit-Mario Thiede
19.12.2024

Im von Ernst Anschütz 1824 veröffentlichten „Musikalischen Schulgesangbuch“ steht sein Weihnachtslied „O Tannenbaum“. Das 200 Jahre alte Lied hat sich zum in aller Welt verbreiteten Evergreen entwickelt, der altehrwürdige Vorläufer und bemerkenswerte Nachfolger aufweist.

Im Gegensatz zum Weihnachtshit ist dessen Autor Ernst Anschütz (1780–1861) kaum bekannt. Er wurde in Goldlauter geboren, das bei Suhl am Südhang des Thüringer Waldes liegt. Sein Vater war Pastor des Ortes. Er hoffte, dass Ernst einmal seine Nachfolge antritt. Doch der blieb nach seinem Studium der Theologie, Philosophie und Pädagogik in Leipzig, wo er sich als Lehrer an der 1. Bürgerschule, Organist und Kantor an der Neuen Kirche sowie Privatlehrer für Gesang, Klavier, Viola, Violine, Cello und Klarinette betätigte. Seine Einkünfte waren jedoch so bescheiden, dass er nur mit Mühe seine Frau und die sieben Kinder durchbrachte.

In Leipzigs Stadtbild hat Anschütz keine Spuren hinterlassen. Aber es gibt Archivalien. Im Stadtarchiv befinden sich die Handschriften einiger seiner bekanntesten Lieder, allen voran das im Oktober 1824 geschriebene Stück „Der Tannebaum“, heute berühmt als „O Tannenbaum“. Bereits im Juni 1824 textete er „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“. „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“ folgte im April 1835.

Für wie wichtig man früher einige seiner Lieder hielt, geht aus dem 1912 veröffentlichten „Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen“ hervor. In der Abteilung „Pflichtlieder zur Einübung an den Volksschulen“ ist für das zweite Schuljahr „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ und für das fünfte „O Tannenbaum“ verzeichnet.

Das Stadtgeschichtliche Museum bewahrt eine Abschrift der unveröffentlichten Autobiografie von Anschütz auf. Ausführlich geht er in ihr auf sein „Musikalisches Schulgesangbuch“ ein. Es erschien in vier Heften von 1824 bis 1830 im Verlag von Carl Ernst Reclam und enthält überwiegend Lieder zum Lob Gottes. Hinzu treten fröhliche Jagd-, Wander- und Kinderlieder sowie zum Andenken an die Befreiungskriege einige Schlachtgesänge.

Zu den von Anschütz komponierten oder mit Text versehenen Stücken gesellen sich Lieder und Melodien anderer Autoren. Zum Beispiel von Luther, Bach, Klopstock oder Mozart. Anschütz äußerte über sein Gesangbuch: „Wenn ich alle dabei gehabten Kosten berechne, so habe ich bei der Arbeit wenig oder nichts verdient. Daß dieses Werk nicht ohne Werth war, läßt sich daraus abnehmen, daß Fremde und Freunde mich bestohlen und ihre Hefte und Heftchen mit meiner Arbeit ausgeputzt haben. Es ist aber im Leben immer mein Schicksal gewesen, daß wo ich säete andere ärnteten; wo ich gepflanzet, andere die Früchte pflückten.“

Aber auch Anschütz hat sich bei anderen Komponisten und Textern bedient. Der unmittelbare Vorläufer seines Tannenbaumliedes stammt von Joachim August Zarnack, dem pädagogischen Leiter des Potsdamer Militärwaisenhauses. Er gab 1820 eine Liedersammlung heraus, die sein tragisches Liebeslied „O Tannenbaum“ enthält. Dessen erste Strophe zitiert Anschütz weitgehend. Aber aus Zarnacks „Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, im Winter auch, wenn's friert und schneit“ machte er „Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein auch im Winter, wenn es schneit“.

Der immergrüne Tannenbaum symbolisiert bei Zarnack ewig währende Liebe. Im Gegensatz dazu beklagen seine drei weiteren Strophen die Treulosigkeit eines Mädchens. Anschütz hingegen schlägt einen tröstlichen Ton an, indem er statt des Liebesleids die hoffnungsfrohe Weihnacht besingt: „O Tannenbaum, du kannst mir sehr gefallen. Wie oft hat nicht zur Weihnachtszeit ein Baum von dir mich hoch erfreut.“ Am Ende heißt es sogar:

„O Tannenbaum, dein Kleid will mir was lehren: Die Hoffnung und Beständigkeit gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit.“

Wie schon Zarnack unterlegte Anschütz seinem Tannenbaumlied die Melodie von „Es lebe hoch der Zimmermannsgeselle“, deren Komponist unbekannt ist. Zu dieser Melodie werden zahlreiche weitere Texte gesungen. Beispielsweise die Hymne „The Red Flag“ der britischen Labour Party, das Lied des Fußballvereins FC Chelsea oder die Hymne von Maryland und anderen US-Bundesstaaten.

Im Ersten Weltkrieg gab es die Version „O Hindenburg, o Hindenburg, wie schön sind deine Siege.“ Nach der Abdankung Wilhelms II. kam das Spottlied auf: „O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Kaiser hat in Sack gehaun.“

Der Gesang vom immergrünen Tannenbaum hat eine lange Tradition. Zarnack übernahm ihn aus einem Kinderlied, das Clemens Brentano im dritten Band der Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ (1808) veröffentlichte. Brentano wiederum ließ sich von einem alten schlesischen Volkslied anregen.

„O Hindenburg, o Hindenburg“
Beim Coburger Hofkomponisten Melchior Franck (1579–1639) heißt es: „Ach Tannenbaum, ach Tannenbaum, du bist ein edler Zweig! Du grünest uns den Winter, die liebe Sommerzeit.“ Diese Fassung deckt sich fast wörtlich mit einer Strophe des aus dem 16. Jahrhundert stammenden Liebeslieds „Es hing ein Stallknecht seinen Zaum gar hoch in einen Tannenbaum“.

Dank der Bemühungen von Goldlauter-Heidersbachs Ortsteilbürgermeister Matthias Gering und dessen Mitstreitern gibt die Post im Dezember die Sondermarke „200 Jahre Weihnachtslied O Tannenbaum“ heraus. Die Initiatoren schafften es jedoch nicht, die Post zur Nennung von Anschütz als Autor des Weihnachtsliedes zu bewegen. Und so bleibt die öffentliche Würdigung von Anschütz ein Alleinstellungsmerkmal Goldlauters.

Vor seinem Geburtshaus steht ein Gedenkstein, der seine bekanntesten Lieder nennt und uns sein Porträt präsentiert. Die Vorlage dafür lieferte das Bildnis, das Willibald Ryno Anschütz um 1830 von seinem Vater malte.

An seinem Geburtshaus befindet sich zudem eine Station des Anschütz ehrenden Liederwanderwegs. Er hat sechs Stationen. Die Liedtexte stehen auf Tafeln. Per App kann man die zugehörige Melodie aufrufen. Die Station vor dem Geburtshaus lädt zum Singen von „O Tannenbaum“ ein.

www.goldlauter-heidersbach.de, stadtarchiv.leipzig.de, www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de


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