02.05.2024

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Schleswig-Holstein

Als Dänemark seinen „Gesamtstaat“ begründete

Vor 250 Jahren beendete der Vertrag von Zarskoje Selo den dänisch-russischen Streit um das Herzogtum Holstein-Gottorf. Vorausgegangen war ein Aufmarsch der Dänen in Norddeutschland und eine Schwächung der Russen im Siebenjährigen Krieg

Jörg Ulrich Stange
04.11.2023

Am 16. November 1773, vor 250 Jahren, wurden im Kieler Schloss die Tauschverträge von Zarskoje Selo vollzogen. Die herzoglichen Anteile Holsteins wurden damit vom russischen Großfürsten Paul, zugleich letzter Herzog von Holstein-Gottorf, an Dänemark übertragen. Damit sollte der langersehnte Friedenszustand zwischen Dänemark, Holstein-Gottorf und auch Russland hergestellt werden. Vorausgegangen waren jahrzehntelange Auseinandersetzungen zwischen den nordeuropäischen Mächten um die Herzogtümer Schleswig und Holstein.

Der holsteinische Minister am Zarenhof, Caspar von Saldern, war nach dem Tod des in Kiel geborenen Herzogs von Holstein-Gottorf und russischen Kaisers Peter III. von dessen Gattin und Nachfolgerin Katharina II. beauftragt worden, die Verträge auszuhandeln, die schließlich vorsahen, die nach dem Großen Nordischen Krieg 1720 verbliebenen Anteile des Hauses Holstein-Gottorf gegen eine beträchtliche Entschädigungssumme und im Tausch gegen die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst an Dänemark abzutreten.

Die Schwäche Russlands
Dass dieser Tausch möglich wurde, wird gemeinhin mit dem Tod des Herzogs und Zaren Peter III. 1762 in Verbindung gebracht, der nicht bereit gewesen sei, sein dynastisches Erbe in Holstein an Dänemark abzutreten. Die unrechtmäßigen dänischen Begehrlichkeiten und imperialen Wünsche auf das Territorium eines deutschen Reichsfürsten, in diesem Fall auf das kleine Herzogtum Holstein-Gottorf, gelten hingegen als berechtigter Anspruch Kopenhagens und unterliegen kaum einer Kritik.

Dänemark mobilisierte bereits 1742 einen Teil seines Heeres, als der minderjährige Herzog Carl Peter Ulrich von Holstein-Gottorf zum russischen Thronfolger ernannt wurde. Im Mai 1758 – Russland konzentrierte sich seit einem Jahr auf den Krieg gegen Preußen – hatte Dänemark bereits 25.000 Mann in seinem Teil Holsteins mobilisiert, die im Laufe der weiteren Wochen im Süden Holsteins strategisch aufgestellt wurden. Der gefechtsbereite Aufmarsch dänischer Truppen im Südosten Holsteins nahe der Grenze zu Mecklenburg war ein offensives militärisches Vorgehen Dänemarks. Eine Provokation, die sicherlich mehr zur Konfrontation beitrug, als die Weigerung des Herzogs, auf seinen dynastischen Besitz zu verzichten.

So standen im Jahre 1761 in den dänischen Teilen Holsteins bereits 24.000 Mann bereit, um sich einem Krieg mit Russland zu stellen, das sich im fünften Jahr des zunehmend zermürbenden Siebenjährigen Krieges befand. Die Armeen der Zarin kämpften an unterschiedlichen Kriegsschauplätzen in einem Bündnis mit Österreich, Frankreich, Schweden und Sachsen-Polen, galten als erschöpft, und das Zarenreich war de facto zahlungsunfähig. Elisabeth und vor allem ihr Kanzler Woronzow wünschten daher ab spätestens November 1760 ein Ende des Krieges, doch Russland hatte gegenüber Frankreich und Österreich Bündnisverpflichtungen zu erfüllen. Das Zarenreich hatte zu diesem Zeitpunkt acht Millionen Rubel an Schulden angehäuft. Um die hohen Kriegskosten zu decken, wurden Verbrauchssteuern eingeführt, eine Politik, die vor allem das einfache Volk traf. Der Hof stand gegenüber den Soldaten mit über einer Million Rubel Soldforderungen in der Kreide, sodass es nicht verwundert, wenn angesichts der kriegsbedingt eintretenden Verarmung des russischen Volkes Unruhen ausbrachen. Das Aufbegehren des Volkes wirkte wie ein Fanal gegen die Kriegspolitik der Zarin.

Dänemarks Erpressung und Russlands Frieden mit Preußen
Dänemark hingegen hatte sich im Siebenjährigen Krieg neutral verhalten, seine Truppen waren ausgeruht, die Kriegsflotte, im Gegensatz zur russischen Baltischen Flotte, voll einsatzbereit. Militärisch befand sich Dänemark in diesen Jahren gegenüber Russland in einer deutlich überlegenen Position.

Entsprechend der Stärke Dänemarks wurde die wiederholt vorgetragene Forderung an den Großfürsten Peter, auf sein Herzogtum zu verzichten, jetzt mit Drohungen verbunden. So traf im August 1761 eine brisante Note des dänischen Außenministers Andreas Bernstorff beim dänischen Sondergesandten Haxthausen in St. Petersburg ein. Dieser hatte den strikten Befehl, die Mitteilung nur auf mündlichem Wege dem russischen Kanzler Woronzow vorzutragen. Die Kernaussage enthielt ein dänisches Ultimatum an den Großfürsten und an das Russische Reich. Sollte der Großfürst nicht zu einer Einigung hinsichtlich seines Herzogtums mit Dänemark bereit sein, so drohte Bernstorff, werde Dänemark feindliche Maßnahmen gegen ihn und das Russische Reich ergreifen. Welche „Maßnahmen“ das sein könnten, ließ Haxthausen zwar offen, da es sich aber um „feindliche“ handeln würde, wie er versicherte, war es naheliegend, dass es sich angesichts des demonstrativen Truppenaufmarsches der Dänen in Holstein nur um eine militärische Maßnahme handeln konnte.

Vor dem Hintergrund der dänischen Erpressung, so muss man diese Warnung bezeichnen, erscheint es wenig verwunderlich, dass Peter als neuer Zar unmittelbar nach dem Ableben Elisabeths im Januar 1762 einen Waffenstillstand mit Brandenburg-Preußen verkündete, denn er war angesichts der Bedrohungslage auf eine Allianz mit Friedrich II. gegen Dänemark angewiesen. Der neue Zar hatte objektiv betrachtet auch gar keine andere Wahl, als unmittelbar nach dem Tod Elisabeths das sofortige Kriegsende mit Preußen zu verkünden, wenn er angesichts des dänischen Vormarsches durch Holstein die Souveränität über sein Herzogtum verteidigen wollte.

Andererseits musste Friedrich II. sich auf Peters III. Forderungen einlassen, wollte er seinen vor der unmittelbaren Niederlage befindlichen Staat retten und die von den Russen eroberten Gebiete Pommern, Neumark und Ostpreußen oder auch nur Teile davon zurückerhalten.

Zar Peter III. sicherte im Friedensvertrag von St. Petersburg vom 5. Mai 1762 Preußen zu, die von russischen Truppen besetzten Territorien zu restituieren. Diese Zusage war jedoch mit der vertraglichen Einschränkung verbunden, dass Peter III. seine Armee in diesen Gebieten weiterhin belassen durfte, „da die kritischen Umstände der Angelegenheiten in Europa es nicht erlauben, die russischen kaiserlichen Truppen, ... zu dem ... genannten Zeitpunkt ... abzuziehen ...“

Diese Vertragsklausel zielte selbstverständlich auf die bedrohliche Lage ab, in der sich die Armee des Zaren und sein Herzogtum Holstein-Gottorf befanden, angesichts der inzwischen auf 37.000 Mann angewachsenen dänischen Militärpräsenz, die im südlichen Holstein, zum Teil bereits auf holsteinisch-gottorfischen Hoheitsgebiet, aufmarschiert war. Peter III. hielt daher die von Russland eroberten preußischen Territorien weiterhin und unbefristet militärisch besetzt, um die okkupierten Gebiete, insbesondere Pommern, als Bollwerk gegen den erwarteten dänischen Vormarsch zu nutzen.

Dänemarks Einmarsch in Norddeutschland
In einem weiteren Artikel des Friedensvertrages musste sich der preußische König verpflichten, sofort nach dessen Abschluss ein Militärbündnis mit Russland einzugehen, das sich offenbar gegen Dänemark richtete, dessen unverbrauchte Armee sich auf gefährliche Distanz den geschwächten russischen Truppen in Pommern genähert hatte.

Wie stark Russland beziehungsweise das Herzogtum Holstein-Gottorf tatsächlich von den dänischen Truppen bedroht wurde, verdeutlichen die ersten Kriegshandlungen, die nicht von Peter III. ausgingen, sondern von den dänischen Truppen in Holstein. Peter III. wartete nach dem begonnenen dänischen Vormarsch in Holstein mit dem Marschbefehl an seine Truppen in Pommern zunächst noch ab. Er klagte im April gegenüber seinem Kanzler Woronzow: „Dänemark hat mit einer ungeheuren Ausweitung seiner Rüstungen begonnen, gerade zu der Zeit, wo wir nicht weit von Verhandlungen entfernt sind.“

Anfang Juni stimmte Zar Peter III. dem Vorschlag Friedrichs II. zu, einen Friedenskongress in Berlin mit Beteiligung Dänemarks und Russlands einzuberufen. Nachdem man sich endlich auf Verhandlungen geeinigt hatte, besetzte Dänemark dennoch am 13. Juni das neutrale Hamburg, um sich durch eine Ablösesumme in Höhe von einer Million Reichstalern von der wohlhabenden Bürgerschaft der alten Hansestadt seinen Feldzug gegen die Russen finanzieren zu lassen.

Empörung in Europa
Das militärische Vorgehen Dänemarks gegen die freie Stadt Hamburg löste im restlichen Europa Empörung aus. Als Reaktion auf diese Aggression erging am 21. Juni der Befehl an die russische Armee in Pommern, die Oder zu überqueren. Aufgrund der von dänischen Truppen vorgenommenen Kriegshandlungen gegen einen neutralen Nachbarn schien selbst Kopenhagens Gesandtem in Russland Haxthausen die Schuldfrage an dem bevorstehenden Krieg fast schon geklärt, als er an seine Regierung schrieb: „Dänemark provoziert mit seinem Marsch auf Hamburg und Lübeck den Krieg mit Russland ...“

Am 30. Juni, unmittelbar vor Beginn des Berliner Friedenskongresses, kam es zu Kampfhandlungen zwischen den Verteidigern Lübecks und Travemündes sowie der dänischen Armee. Die weitgehend wehrlose alte Hansestadt wurde von dänischer Artillerie beschossen. Die Lübecker Bürgerschaft musste jedoch aufgrund der überlegenen dänischen Truppen die Verteidigung ihrer Stadt aufgeben. Das Fürstbistum Lübeck, zu dem auch Eutin zählte, ein symbolisch wichtiges Territorium des Herzogtums Holstein-Gottorf, wurde ebenfalls ein Opfer dänischer Okkupation.

Von Lübeck und Travemünde aus begann jetzt der Einmarsch der Dänen ins neutrale Mecklenburg, ohne dass Peter III. auch nur einen Schuss aus russischen Waffen gegen die Dänen hatte abfeuern lassen. Das Hauptkontingent der dänischen Truppen hatte sich inzwischen auf der nordsüdlichen Linie Wismar–Grabow verschanzt. Damit standen sich Dänen und Russen nur noch hundert Kilometer entfernt gegenüber.

Der Sturz Peters III.
Angesichts des bevorstehenden Kongresses in Berlin am 12. Juli verschob Peter III. seine geplante Abreise zur russischen Armee zunächst bis Ende Juli. Damit stand einer Konferenzlösung in der Schleswig-Holstein-Frage, die Dänemark seit Langem gefordert hatte, nichts mehr im Wege. Doch am 9. Juli 1762 wurde Zar Peter III. von seiner Gattin Katharina durch einen Palastputsch gestürzt und am 17. Juli in Gefangenschaft ermordet. Kaum hatte man aus diesem Grund die Berliner Verhandlungen abgebrochen, nutzten die Dänen diese Irritationen, um sogleich Kiel, die Residenzstadt des Herzogtums Holstein-Gottorf, militärisch zu besetzen.

In zahlreichen Darstellungen wird Peter III. vorgeworfen, er wollte den Friedenskongress von Beginn scheitern lassen, weil er in Wahrheit den Krieg mit Dänemark beabsichtigte. Das ist jedoch aufgrund der militärisch schwächeren Verfassung der russischen Armee gegenüber den Dänen unwahrscheinlich. Fakt ist: Die russischen Truppen, ermüdet durch den über fünf Jahre währenden Kriegseinsatz, hatten keine Kampfhandlungen gegen Dänemark oder seine Armee unternommen. Der Befehl zum Überschreiten der Oder erging erst nach der Besetzung Hamburgs durch die Dänen und kann demnach nicht als offensives Vorgehen gewertet werden, sondern als eine reine Defensivmaßnahme. Dass Peter auf eine militärische Auseinandersetzung mit Dänemark eher verzichtet hätte, untermauern seine klagenden Worte vom April 1762 darüber, dass Dänemark aufrüste, während er sich zu Verhandlungen bereiterklärt habe.

Katharina, die mütterlicherseits ebenfalls aus dem Hause Holstein-Gottorf stammte, bestritt übrigens nie, dass Kopenhagen ihr vor dem Putsch beträchtliche Summen hatte zukommen lassen. Als Zarin und Mutter drängte Katharina schließlich ihren Sohn Paul, den letzten Herzog von Holstein-Gottorf, auf sein väterliches Erbe zugunsten Dänemarks zu verzichten. Damit war der Weg frei für die Eingliederung seines Herzogtums in den dänischen Gesamtstaat. Mit dem Vertrag von Zarskoje Selo 1773 hatte Kopenhagen sein Ziel schließlich erreicht. Er sicherte Dänemark die Herrschaft über Schleswig-Holstein bis zum Jahr 1864.

Jörg Ulrich Stange ist Autor zahlreicher Beiträge zur deutsch-russischen Geschichte. Seit 2012 kuratiert er die Wanderausstellung „Der Kieler Prinz auf dem Zarenthron“ über den holsteinischen Herzog und russischen Kaiser Peter III.

Zuletzt erschien „Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757–1762. Russlands preußische Provinz im Siebenjährigen Krieg“ (Lau-Verlag 2023).
www.lau-verlag.de


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