Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Jochen Buchsteiner versieht die Erinnerungen seiner Großmutter mit eigenen Überlegungen zur Geschichte und Gegenwart der Region
Fluchtgeschichten lassen sich noch immer spannend erzählen. Die Familie des für die „FAZ“ arbeitenden Journalisten Jochen Buchsteiner war fast 300 Jahre in Ostpreußen ansässig. Wie alle Deutschen musste sie im Januar 1945 fluchtartig ihre Heimat verlassen. Immer wieder hatte der Autor seine Großmutter gebeten, sie möge ihre Fluchtgeschichte aufschreiben. Schließlich hatte sie nachgegeben. Ihr Bericht, der Buchsteiners Darstellung zugrunde liegt, spiegelt das typische Schicksal fast aller fliehenden Ostpreußen.
Sie hatte, früh verwitwet, ein Gut in dem kleinen Ort Götzlack nahe der Stadt Friedland verwaltet und durch alle Fährnisse der Kriegsjahre gebracht. Den Flüchtlingstreck mit 84 Leuten auf elf Wagen dirigierte sie mit großer Umsicht durch Eis und Schnee nach Heiligenbeil am Frischen Haff, dann unter Lebensgefahr und kaum nachvollziehbaren Strapazen nach Gotenhafen, von wo der Treck eines der letzten Schiffe nach Westen erreichte, dann über Kopenhagen schließlich in Ueckermünde an, wo sie von Bord ging. Ihre Kinder, die sie schon vorher nach Westen geschickt hatte, fand sie in Halberstadt wieder, von wo aus die Familie nach Hessen zog und endgültig im nordhessischen Arolsen heimisch wurde.
Nach jeder Episode hat der Autor historische Reflexionen und seine Erlebnisse als „Heimwehtourist“ eingeschoben. Seine Gedanken zu Geschichte, Schuld, Vertreibung und Ostpreußen in der europäischen Politik sind anregend und originell. Durch Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die östliche Grenze der NATO unvermittelt wieder Brennpunkt der Politik. „Vor unseren Augen erodiert die Nachkriegsordnung“, schreibt Buchsteiner, nachdem er zuvor die Geschichte Ostpreußens seit dem Deutschen Orden skizziert hat und auch von Reisen mit seinem Vater in die Heimat berichtet, wobei die erste Reise für den Vater mit einem entsetzten „Nie wieder“ endet.
Aber dann lässt sich der Autor immer wieder vom „magischen Zusammenspiel von Land und Meer, Mensch und Tier“ gefangen nehmen. Ostpreußen, resümiert er, blieb in Deutschland etwas Einzigartiges: „Es fiel aus dem Rahmen, so wie Sizilien kein normaler Teil Italiens oder Schottland kein gewöhnlicher Teil Großbritanniens ist. Ostpreußen war der Ort, dessen natürliche Schönheit Einwohner wie Besucher in ihren Bann zog. Es war und blieb ein fast mystischer Ort, wie es im heutigen Deutschland keinen mehr gibt.“ Der Leser folgt dieser Verbindung von Rationalität und Emotionen mit wachsender Anteilnahme.
Jochen Buchsteiner: „Wir Ostpreußen. Eine ganz gewöhnliche deutsche Familiengeschichte“, dtv, München 2025, gebunden, 285 Seiten, 26 Euro