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Vor 50 Jahren wurde der CDU-Politiker Peter Lorenz entführt, um verurteilte Terroristen freizupressen
Nach dem gewaltsamen Tod des Studenten Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi am 2. Juni 1967 in West-Berlin hatten die linksextremistischen Kräfte eine neue terroristische Dynamik entwickelt – die Rote Armee Fraktion (RAF) sorgte ab 1972 für blutige Anschläge. Teilweise personelle Überschneidungen gab es mit der an Ohnesorgs Todestag erinnernden „Bewegung 2. Juni“, die vor 50 Jahren, am 27. Februar 1975, nur drei Tage vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus, den CDU-Spitzenkandidaten Peter Lorenz (1922–1987) entführte.
Die terroristisch agierende Berliner Gruppe hatte sich 1972 gegründet, nachdem der sozialistisch organisierte Student Georg von Rauch, der bereits seit fünf Monaten zur Fahndung ausgeschrieben war, bei dem Versuch der Festnahme in Berlin-Schöneberg erschossen worden war. In jenem Jahr verübte die Gruppe unter anderem einen Sprengstoffanschlag auf den britischen Yachtclub in Berlin-Kladow und einen weiteren auf das Landeskriminalamt Berlin. Sie beging Bank- und Raubüberfälle und mietete anschließend ein Ladenlokal in der Schenkendorfstraße 7 in Berlin-Kreuzberg an. Dort baute sie einen Kellerraum für die geplante Geiselnahme aus. Den Raum nannten sie „Volksgefängnis“.
Nach der Entführung von Lorenz fertigte die Gruppe dort mit einer Sofortbildkamera von Polaroid ein Foto ihres Opfers an. Die Aufnahme ließ sie der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit der Mitteilung zukommen, dass sie die Freilassung mehrerer verurteilter Terroristen, darunter auch der später als Rechtsextremist aktive Rechtsanwalt Horst Mahler, fordere.
Erste Geiselnahme dieser Art
Lorenz gilt als der erste Politiker der Bundesrepublik, der als Geisel genommen wurde. In Berlin und Bonn wurden mehrere Krisenstäbe eingerichtet, ein großer Krisenstab stand unter dem Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD). Zum Stab gehörten auch Vertreter der Opposition, darunter Schmidts späterer Nachfolger im Kanzleramt, der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl. Während in Berlin die Polizei erfolglos nach Lorenz suchte, diskutierte der Krisenstab, ob der Staat sich derart erpressen lassen dürfe. Letztlich war es der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, der als Lorenz' Gegner im Wahlkampf die Richtung vorgab. Lorenz müsse unversehrt bleiben, alles andere sei erst einmal nachrangig, so Schütz, dem auch Kohl zustimmte. Mahler lehnte seine Freilassung ab und las stattdessen in seiner Zelle Hegel, bis 1980 sein damaliger Anwalt Gerhard Schröder, der spätere Bundeskanzler, die vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung erreichte.
Am 3. März übertrug das Fernsehen live, wie die fünf entlassenen Häftlinge in Begleitung des vormaligen Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz eine Lufthansa-Maschine bestiegen, die nach zehn Stunden im jemenitischen Aden landete. Albertz sollte als Geisel die Sicherheit der Terroristen gewährleisten. Der Sozialdemokrat hatte sich nach der Erschießung Benno Ohnesorgs konsequent hinter die Polizei gestellt und die Demonstranten Rowdies genannt, die als Minderheit „die Freiheit missbraucht, um zu ihrem Endziel der Auflösung einer demokratischen Grundordnung zu gelangen“.
In Aden verließen die Freigelassenen Verena Becker, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ingrid Siepmann, Rolf Heißler und Rolf Pohle das Flugzeug. Albertz musste eine vorgefertigte Erklärung verlesen, bevor Lorenz mit verbundenen Augen in einem Park in Berlin-Wilmersdorf freigelassen wurde. Lorenz gab später an, „korrekt“ behandelt worden zu sein.
15 Beteiligte der „Bewegung 2. Juni“ wurden im Laufe der Zeit verhaftet. Fünf von ihnen 1980 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Einmal gab der Staat nach
Lorenz' CDU wurde bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus stärkste Partei, den nächsten Senat indes bildeten SPD und FDP. Angesichts des wachsenden Terrorismus wurde Lorenz aus den Reihen der CDU vorgeschlagen, sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe einzusetzen. Er wies das aber strikt zurück und betonte, er wolle auch künftig derartige Bestrebungen bekämpfen. Lorenz äußerte sich nur einmal öffentlich zu den sechs Tagen im Keller der Berliner Terrorgruppe: „Ich hatte Gottvertrauen, aber natürlich auch Angst.“
Der Fall Lorenz blieb die einzige Entführung, bei der den Forderungen der Terroristen nachgegeben wurde. Es war ein Signal an Terroristen, dass dieses Mittel im Kampf funktioniert. „Der Staat war erpressbar geworden“, wertete Kohl die Folgen in seinen Erinnerungen. Die Regierung Helmut Schmidt gab ab da nicht mehr nach. Mit Folgen.
Schon zwei Monate später folgte der Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm. Andreas Baader, und Ulrike Meinhof sowie 24 weitere Terroristen sollten freigepresst werden. Da die Regierung nicht darauf einging, wurden zwei Diplomaten erschossen – wie auch 1977 der entführte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer im „Deutschen Herbst“.
Für diese harte Haltung des Staates sprach nicht nur die Botschaft für potentielle Nachahmertäter, dass dieser nicht mehr erpressbar sei und sich von daher weitere Entführungen nicht lohnten, sondern auch, dass sich die freigepressten Terroristen in den Folgejahren wieder an ihr blutiges Werk machten. Becker war später als RAF-Terroristin unter anderem in die Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback im April 1977 verwickelt. Kröcher-Tiedemann galt als Haupttäterin bei der Ermordung zweier Personen bei der OPEC-Geiselnahme 1975, wurde aber 1990 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Sie sagte sich später von der RAF los. Siepmann blieb im Nahen Osten, lebte eine Weile in einem Ausbildungscamp einer palästinensischen Terrorgruppe und kam mutmaßlich 1982 im Libanonkrieg ums Leben. Zu dem Zeitpunkt war sie die meistgesuchte Terroristin der Bundesrepublik. Kröcher-Tiedemann war 1977 in die Entführung des österreichischen Industriellen Walter Michael Palmers verwickelt. Auch sie hat sich in den 90er Jahren vom Terrorismus losgesagt. Heißler erschoss 1978 zwei niederländische Zollbeamte und soll von sich behauptet haben, auch Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer persönlich erschossen zu haben. Er blieb bis zu seinem Tod 2023 bei seinem Bekenntnis zum bewaffneten Terror. Pohle reiste nach Griechenland, wo er 1976 verhaftet wurde. Nach Verurteilung und sechsjähriger Haft ließ er sich erneut in Griechenland nieder, wo er 2004 einer Krebserkrankung erlag.