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Kaiserreich

Als die Gesellschaft Jesu verboten war

Mit dem Inkrafttreten des Jesuitengesetzes erreichte der Kulturkampf vor 150 Jahren einen Höhepunkt

Bodo Bost
21.07.2022

Im Zeitalter von Aufklärung und Säkularisierung erfolgte insbesondere von liberaler Seite zunehmend der Ruf nach der Trennung von Staat und Kirche, von Thron und Altar. Als Folge der Französischen Revolution wurde dieses Ideal in der Französischen Republik verwirklicht. Nach 1789 konnte die Kirche ihren Niedergang erstaunlich schnell wieder stoppen, als gerade Frankreich zum Zentrum eines Neuaufbruchs der Kirche wurde.

Mitte des 19. Jahrhunderts strotzte auch in Deutschland die katholische Kirche vor neuer Kraft. Überall entstanden erstmals neue Vereine und katholische Fakultäten, aber auch alte Wallfahrten und Klöster wurden wiederbelebt. Die neue Kraft der katholischen Kirche verwirrte vor allem die seit 1815 neuen preußischen Herren im überwiegend katholischen Rheinland, wo sich mit der rheinischen Romantik sogar eine gesamtgesellschaftliche Strömung mit dem kirchlichen Aufbruch verband. Äußerliches Zeichen dieses Aufbruchs war der Dom zu Köln, der nach Jahrhunderten des Stillstands Mitte des 19. Jahrhunderts zu Ende gebaut wurde.

Auch politisch begannen sich seit 1848 mit dem ersten Katholikentag in Mainz die Katholiken zu organisieren, vor allem in der sozialen Frage. Vorreiter waren der Bischof von Mainz von 1850 bis 1877, Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler, sowie der in Köln geborene und gestorbene Begründer des Kolpingwerkes, Adolf Kolping.

Verweis aus dem Reichsgebiet

Die katholische Restauration in vielen Ländern hatte auch den Papst gestärkt. Papst Pius IX. krönte das längste Pontifikat der Papstgeschichte 1870 mit dem ersten Konzil seit 300 Jahren. Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes war das Ergebnis des 1. Vatikanischen Konzils. Die reichsdeutschen und österreichischen Bischöfe hatten das Dogma zwar abgelehnt und Rom verlassen, aber sie setzten es danach in ihren Diözesen um. Professoren, die sich nicht daran hielten, wurden exkommuniziert. Eine „altkatholische“ Kirche, die von den Liberalen unterstützt wurde, strebte eine von Rom losgelöste Nationalkirche an.

Am 19. November 1871 brachte der bayerische Kultusminister Johann Ritter von Lutz im Bundesrat ein Gesetz zum Missbrauch der Kanzel ein. Der sogenannte Kanzelparagraph sah für Geistliche bei staatsfeindlichen Äußerungen Gefängnisstrafen von bis zu zwei Jahren vor. In der Folge wurden viele Priester und zwei Bischöfe verhaftet. Das war der Beginn des Kulturkampfes. Drei Tage vorher hatte Bischof Ketteler in einer längeren Unterredung mit dem deutschen Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Otto Fürst von Bismarck versucht zu vermitteln – erfolglos. Ketteler hatte von einem „Wahne“ in Bismarcks Kopf gesprochen.

Die nationalistische Euphorie im Zuge der Reichsgründung hatte ein politisches Klima geschaffen, das Minderheiten aller Art gleichermaßen benachteiligte. In diese Stimmung hinein fiel im Winter 1870/71 die Gründung der katholischen Zentrumspartei, mit ihrem Vorsitzenden Ludwig Windthorst, der sich selbst als Welfe bezeichnete. Bismarck sah in der „klerikalen“ Partei ein Sammelbecken aller „Reichsfeinde“ und in deren Gründung „eine „Mobilmachung gegen den Staat“. Unterstützt wurde er dabei von den liberalen Parteien, auf deren rechten, nationalliberalen Teil er sich damals stützte. Dazu kam seine Furcht vor einem außenpolitischen Bündnis zwischen den im zweiten beziehungsweise dritten Einigungskrieg geschlagenen, traditionell katholisch geprägten Nachbarn Österreich und Frankreich gegen das protestantische Deutsche Reich sowie ein Anwachsen des Nationalismus der ebenfalls katholisch geprägten polnischen Minderheit im Osten des Reiches.

Ein wahrer Gesetzesfeldzug überzog ab Sommer 1871 das Reich und Preußen, organisiert durch den nationalliberalen preußischen Kultusminister Adalbert Falck. Im März 1872 wurde durch das Schulaufsichtsgesetz den Kirchen die Schulaufsicht entzogen und staatlichen Schulinspektoren übertragen. Als im Mai 1872 Bismarck vor dem Reichstag erklärte: „Nach Canossa gehen wir nicht – weder körperlich noch geistig “, eskalierte der Kulturkampf.

Vor 150 Jahren, am 4. Juli 1872, wurde das Jesuitengesetz erlassen, das die Gesellschaft Jesu und „die ihr verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen“ aus dem Reichsgebiet verwies. Am 24. Juli 1872 trat es in Kraft.

Im Jahre 1873 folgten die Maigesetze, welche die Priesterausbildung unter die Kontrolle des Staates stellte. Das Attentat gegen Bismarck im Juli 1874 durch einen „ultramontanen“ Katholiken in Bad Kissingen ließ den Kulturkampf zusätzlich eskalieren.
Im katholischen Kirchenvolk regte sich immer mehr Protest, nicht nur auf dem Land. Auch Teile der katholischen Arbeiterschaft legten aus Protest gegen die Kulturkampfmaßnahmen ihre Arbeit nieder. Das katholische Presse- und Vereinswesen und das Zentrum, weniger Rom, bildeten das Rückgrat des Widerstandes.

Rücknahme im Ersten Weltkrieg

Im Jahr 1878 bewirkte ein Kurswechsel in mehrfacher Hinsicht eine Deeskalation. Sowohl in Berlin als auch in Rom kam es zu wesentlichen Veränderungen.

In Berlin wechselte Bismarck seine Bündnispartner, weg von den kirchenkritischen Nationalliberalen und hin zu den eher kirchenfreundlichen, aber dafür SPD-kritischen Konservativen. Der Hauptfeind war nunmehr rot und nicht mehr schwarz.

Und in Rom kam es an der Spitze der katholischen Kirche zu einem Wechsel von Pius IX. zu Leo XIII. Der neue „Sozial-Papst“ war auf Ausgleich bedacht. Den Kulturkampf kritisierte er als einen „Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte“. Und Bismarck kam er entgegen, indem er die Zivilehe und die staatliche Schulaufsicht billigte.

1882 erfolgte die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Rom. Nach der Verabschiedung der sogenannten Friedensgesetze am 21. Mai 1886 und 29. April 1887 erklärte Leo XIII. den Kulturkampf am 23. Mai 1887 öffentlich für beendet. Aus dem Kampf zwischen Kirche und Staat wurde am Ende ein neues Bündnis. Teile dieses Bündnisses sind bis heute erhalten.

Das Jesuitengesetz selbst hatte noch etwas länger Bestand. Im Ersten Weltkrieg wurde es ein Opfer der kaiserlichen Burgfriedenspolitik. 1917 wurde es aufgehoben.


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Kommentare

sitra achra am 02.08.22, 10:27 Uhr

Kulturkampf, Jesuitenverbot passé?
Keinesfalls, heute gibt es vorgekaute Denkkost für alle Braven und gesellschaftliche Ächtung und demokratisches Betätigungsverbot für sogenannte Querdenker, die neuen Radikalen, für die neue wirksame Radikalengesetze eingeführt wurden. Gähn, in D nichts Neues...

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