Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Augenzeugen berichten von ihren Treck-Erlebnissen vor 75 Jahren und dem schwierigen Neubeginn in der Fremde
Trakehner Pferde – sie sind Vertreter der ältesten Reitpferderasse Deutschlands: Ihre Geschichte beginnt 1732 mit der Gründung des Hauptgestüts Trakehnens im damaligen Kreis Stallupönen durch König Friedrich Wilhelm I. Ein Gestüt, das in Größe und Bedeutung über Jahrhunderte seinesgleichen suchte, aber auch die vielen ländlichen Güter und Höfe prägten mit ihren qualitätsvollen Pferden das Bild der Trakehner Zucht. In der Blütezeit veranschlagt man die Trakehner Population auf auch heutzutage schwer vorstellbare 25 000 Stuten und 1200 Hengste. In diesen Monaten jährt sich nun zum 75. Mal ein Ereignis, das als das einschneidendste in die jahrhundertelange, bewegte Geschichte der Trakehner Zucht eingehen sollte: Die Räumung des heimatlichen Zuchtgebietes Ostpreußen, die sich anschließenden, teils monatelangen Trecks und die Ankunft zu Tode erschöpfter Menschen und Pferde im Westen in den letzten Kriegsmonaten 1945.
Ein rettender Westen war es beileibe nicht immer, der die Heimatlosen aufnahm. Sie waren längst nicht überall willkommen. Feindseligkeit, Misstrauen und Intoleranz blieben in den folgenden Jahren häufig ihre Wegbegleiter. Die gesellschaftliche Situation in den jeweiligen Besatzungszonen der Siegermächte war durch zerstörte Städte und Dörfer, Nahrungsmangel und überfüllte Aufnahmelager bedrückend gekennzeichnet. Auf den Höfen mussten die Bauern und Bewohner zusammenrücken, um den Neuankömmlingen ersten Wohnraum zu schaffen. Der Norden Deutschlands war überflutet von Pferden – Flüchtlingspferden und von der Armee zurückgelassenen Kavalleriepferden. Örtliche Aushebungen, großen Pferdemärkten ähnlich, wurden seitens der zuständigen Stellen angeordnet, wo hinsichtlich der weiteren Eignung der dort zusammengezogenen Pferde für landwirtschaftliche Arbeiten oder Gespanndienste entschieden wurde. Wie viele der Treckpferde, unersetzliche Mutterstuten darunter, daraufhin ihren letzten Weg zum Schlachter antreten mussten, darüber schweigt die Geschichte. Bewegende Berichte und Dokumente von Zeitzeugen sollen hier die Wirren dieser Zeit ins Licht setzen, aber auch die Erinnerungen an schwere Aufbaujahre wachhalten.
Jahre in Holzschlorren
Erich und Dora Krebs führten in Langenbrück, Kreis Angerapp, ein 500 Morgen großes Gut mit einer qualitätvollen ostpreußischen Warmblutzucht Trakehner Abstammung. Da sich der Ehemann in englischer Kriegsgefangenschaft befand, führte die Frau den monatelangen Treck in eigener Regie bis nach Holstein, die Wagen waren mit den Mutterstuten eigener Zucht bespannt: „Von Schwerin bis Hohenholz, Kreis Stormarn, hatten wir auch mehrmals Fliegerangriffe zu überstehen. Einmal suchten wir im Feld Schutz. Donna, unsere Bernhardinerhündin, lief zuerst mit uns, als sie aber sah, dass der Wagen mit den Pferden zurückblieb, lief sie zurück und legte sich dort als Wache nieder. Ein zweites Mal überraschten uns Flieger in einem Dorf, wir sprangen vom Wagen und liefen zum nächsten Haus, in dessen Tür eine Frau stand. Als wir sie erreichten, standen wir vor einer verschlossenen Tür. Am nächsten Morgen waren die Engländer im Dorf, und ich wurde vier Wochen dort festgehalten. Dann fuhr ich nach Roge, bei Neustadt, wo unsere Leute mit den anderen Pferden und dem Gepäck waren. Von diesem war nicht mehr viel übriggeblieben, die Leute hatten alles durchgekramt und das, was sie gebrauchen konnten, fortgenommen.
So auch meine Schuhe. Ich stand in Reitstiefeln da. So musste ich bis zur Währungsreform auf Holzschlorren laufen, ebenso meine Kinder. Dorothea hat als vier Jahre altes Kind ihre ersten Schuhe bekommen. Die acht verbliebenen Stuten gab ich in fremde Hände. Die Bauern wollten sie bei spärlichem Futter als Autoersatz benutzen. Alwine, die wunderbare Goldfuchsstute mit herrlichem Körperbau, die auf der Flucht bei geringstem Futter und größten Anstrengungen immer noch gut aussah, ist bei einem Bauern, ein halbes Jahr vor unserer Ansetzung als Siedler, verhungert. Ich besuchte sie in ihren letzten Tagen, und sie begrüßte mich mit leisem, zärtlichem Gewieher. Wenn wir es nur gekonnt hätten, ich glaube, wir hätten sie doch noch hochgepäppelt.“
Hilfe eines britischen Horseman
Das Gestüt Weedern der Familie von Zitzewitz zählte mit 70 bis 80 Mutterstuten nicht nur zu den größten Privatgestüten Ostpreußens und Deutschlands, sondern galt auch hinsichtlich seiner Ausgeglichenheit auf hohem Qualitätsniveau zu den besten. Im Winter 1944/45 ging Anna von Zitzewitz auf den Treck – erstes Ziel war Muttrin im Kreis Stolp, ein Familiensitz ihres verstorbenen Ehemanns Eberhard von Zitzewitz: „Doch die russische Heeresmacht rückte heran. Weder Beamte noch Arbeiter wollten erneut trecken und bei Wind und Schnee auf der Landstraße liegen. So ließ ich alles in Pommern und zog nur mit den Meinen und einer Familie mit zwei Treckwagen und einem Kutschwagen über Vorpommern nach Mecklenburg. Vom Kreis Rummelsburg an ritt meine kleine Tochter einen Dreijährigen und hatte drei Stuten an der Hand, wovon eine ihr beim Einmarsch der Amerikaner an der Hand erschossen wurde.
Der Weg durch Mecklenburg war hart. Nachts kampierten wir in Wäldern, die kleinen Fohlen waren morgens weiß bereift, am Tage machten wir Bekanntschaft mit Tieffliegern. Sehr bald internierten uns die Amerikaner auf einem kleinen Bauernhof nahe der Elbe. Das Gut, das uns die mecklenburgische Stutbuchgesellschaft zugewiesen hatte, nahm uns nicht auf. Die traurigen Wochen erhielten nur durch die Einladung eines englischen Pferdemannes, nach Redefin zu kommen, einen Lichtblick. Hier kamen wir zur Ruhe: Kein Hunger, keine Läuse, genügend Futter und Stroh, ein sauberer Stall und hippologisches Interesse. Als auch hier die Besetzung durch russische Truppen drohte, half mir dieser prachtvolle, englische Horseman, meine verborgten und gestohlenen Stuten einzusammeln, verschaffte mir Lastwagen, Futter, Begleitpersonal und eine Unterkunft in Schwarzenbek. Zwölf Stunden vor Sperrung der Grenze waren wir in Holstein, konnten dort 14 Tage ausruhen, ohne eine definitive Bleibe finden zu können.“
Der bis dahin gerettete wertvolle Rest der Weederner Zucht wurde von einem neuen, vernichtenden Schlag getroffen. Im Herbst 1945 waren die Pferde auf einer Weide an der Weser untergebracht. Futtermangel, Räude und Überschwemmungen führten zum Verlust fast sämtlicher dorthin gegebener Stuten. Anna von Zitzewitz war durch eine schwere Erkrankung verhindert, sich ihrer Pferde anzunehmen, und erhielt auch keine Nachricht über die Katastrophe. Eine einzige Stute überlebte. 1946 bezog die Familie eine 150 Morgen große Siedlung in Oberhode, Kreis Fallingbostel, um Ende der 50er Jahre nach Katarinental in Ostholstein umzusiedeln.
Bittere Zeitenwende
Im Westen angekommen, begann für alle Flüchtlinge der Kampf um eine neue Existenz. Einige fanden Arbeit, die sowohl sie als auch ihre Pferde ernähren konnte. Rosemarie von Maercker war mit dem Treck ihrer Familie nach Holstein gelangt: „Die meisten Trecks fuhren, von den Treckleitstellen gelenkt, ohne festes Ziel nach Westen, bis sie schließlich irgendwo zum Bleiben eingewiesen wurden. Unser Treck hatte ein Endziel, den Gutshof von Freunden meines Lehrherrn in der Holsteinischen Schweiz. Als wir ankamen, blühten die Himmelsschlüssel, um uns her eine herrliche Landschaft. Ich hatte kein Auge dafür, mir war jämmerlich zumute. Dieser Tag war gleichzeitig der Abschluss eines Zeitabschnitts und der Beginn eines neuen. Das Fahren hatte uns das Bewusstsein eines Restes persönlicher Freiheit gegeben und entsprach dem Wunsch eines Landmenschen, auf Eigentum zu sitzen, und wenn es nur der Wagen mit dem Pferd davor war.
Die Zukunft sah grau aus. Arbeitssuche in einem mit Menschen und Pferden überfüllten Land. Heimweh und Sorgen. Erst einmal musste ich meine und unserer Pferde Daseinsberechtigung nachweisen. Wir fuhren, was es zu fahren gab, Bretter für die ersten Möbel der Flüchtlingsfamilien, Gemüse, Kartoffeln. Mein Vater hatte die anderen Pferde des Trecks zur Arbeit ausgeliehen. Viele von ihnen waren vorher noch von der Wehrmacht eingezogen worden, darunter wertvolle Zuchtstuten. Viele der Leihpferde hatten ein schweres Schicksal. Diejenigen, die wie die eigenen gehalten wurden, erholten sich schnell und überwanden rasch die Anstrengungen des Trecks. Andere, die in der Arbeit ausgenutzt wurden, erlangten nie wieder ihre alten Kräfte zurück.“